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Gesundheit: Verrat nach Eiweißart

Die Erreger von BSE und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit haben Helfer, die sie erst richtig gefährlich machen

Prionen – das sind jene tückischen Eiweißmoleküle, die vermutlich Krankheiten wie den Rinderwahnsinn BSE oder die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) beim Menschen auslösen. Die heute gängige Theorie besagt, dass es mit den Prionen wie mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde ist: aus einem freundlichen, friedlichen, nützlichen Mitbürger wird ein mordendes Monster. Ein normales Nerveneiweiß verwandelt sich in einen nutzlosen, unverdaulichen Proteinkrümel, der sich mit seinesgleichen zusammenschließt und das Gehirn allmählich zerstört.

Diese „Nur-Protein“-Theorie war so außergewöhnlich, dass der kalifornische Forscher Stanley Prusiner mit ihr den Medizin-Nobelpreis gewann – obwohl sie nie wirklich bewiesen wurde. Prusiner war es auch, der den Begriff „Prionen“ prägte. Trotzdem bezweifeln auch heute noch manche Wissenschaftler, dass Eiweißmoleküle Krankheiten auslösen und sich ausbreiten können, ohne dass dabei Erbsubstanz im Spiel ist.

Jetzt bekommen die Zweifler Unterstützung von ungewohnter Seite. Ein Team von Prionenforschern an der Dartmouth Medical School im amerikanischen Hanover glaubt, einen Mittäter der Prionen ermittelt zu haben. Es handelt sich um einen alten Bekannten – um die Erbsubstanz RNS, den „kleinen Bruder“ der DNS.

Die Wissenschaftler untersuchten eine der zentralen Schwachpunkte der Prionen-Hypothese: Wie schaffen es wenige gefährliche Prionenmoleküle, innerhalb von Monaten ein ganzes Gehirn zu zerstören? Wie gelingt es ihnen, die intakten und ungefährlichen Eiweißmoleküle in den Nervenzellen in Prionen umzuwandeln?

Um das zu prüfen, vermischten die Forscher die Hirnsubstanz scrapiekranker Hamster (Scrapie ist eine BSE-artige Prionen-Erkrankung, die vor allem bei Schafen auftritt) mit der von gesunden Tieren. Wie nicht anders zu erwarten, beobachteten sie, dass sich die Prionen rasch vermehrten. Ihre Menge stieg um das Sechsfache. Dann gaben sie ein Ferment (Enzym) hinzu, das einsträngige RNS spaltete – und waren verblüfft: Je mehr RNS auf diese Weise zersetzt wurde, umso weniger Prionen wurden gebildet. Fügte man erneut Hamster-RNS hinzu, stieg die Prionenbildung wieder auf das 24-fache, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“ (Band 425, Seite 717).

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die RNS entscheidender Motor der krankhaften Prionenproduktion ist. Vielleicht ist BSE ohne RNS gar nicht denkbar.

Welche Aufgaben hat die RNS normalerweise? Die fadenförmigen Moleküle sind sehr vielseitig – anders als die DNS, die träge im Zellkern vor sich hin döst. RNS transportiert die Erbinformation aus dem Zellkern zu den Ribosomen, den Eiweißfabriken der Zelle. Hier arbeitet ebenfalls RNS an zentraler Stelle als Enzym. Sie ist also nicht nur Informationsträger wie die DNS, sondern auch biologisch aktiv – wie die Proteine, die Produkte der DNS.

Über die prionenfördernde RNS ist bisher wenig bekannt, abgesehen davon, dass sie einsträngig ist, mehr als 300 Bausteine (Nukleotide) enthält und vielleicht Bestandteil der Ribosomen ist. „Diese stimulierende RNS scheint eine ganz bestimmte Form zu haben, die sie zu einem aufregenden Studienobjekt macht“, sagt der Studienleiter Surachai Supattapone. „Wenn wir diese typische RNS identifizieren, kopieren und herstellen können, haben wir vielleicht einen Ansatzpunkt für Therapien und ein Handwerkszeug zur Früherkennung.“ Zum Beispiel könnte es möglich sein, mit der „Prionen-RNS“ auch geringe Spuren der gefährlichen Eiweißstoffe festzustellen, weil sie rasch vermehrt werden können.

Bedeutet der Fund von Erbsubstanz nun den Abschied von der „Nur-Protein“-Hypothese? Erwartungsgemäß verneinen das die Wissenschaftler. Denn sie nehmen an, dass die RNS nicht aus den infektiösen Prionen selbst stammt, sondern vom Empfänger des tödlichen Erregers. Ein Fall von molekularem Verrat – körpereigene RNS produziert tödlichen Hirnballast.

Die Behandlung der vCJK steckt noch ganz in den Anfängen. Auch die neuen Erkenntnisse werden daran so schnell nichts ändern. Die Erkrankten sterben im Mittel nach zwei Jahren. Erfreulicherweise breitet sich die Krankheit jedoch längst nicht so schnell aus wie erwartet. 1997 hatten Schätzungen zehn Millionen Opfer für möglich gehalten. Die jüngste Prognose vom Mai 2003 hält es für denkbar, dass in den nächsten 80 Jahren nur noch 40 Menschen an vCJK erkranken. Insgesamt wurden in Großbritannien bisher 143 bestätigte oder mutmaßliche Fälle registriert, Tendenz rückläufig. In Deutschland trat bislang kein Fall von vCJK auf.

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