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Gesundheit: Verunsicherte Erben

Von Frankreich oder von England lernen: Wie sollen deutsche Museen mit dem „Patrimonium“ umgehen?

Erst seit wenigen Jahren ist der Begriff auch hierzulande im Gebrauch. Der Duden übersetzt „Patrimonium“ noch in „väterliches Erbgut“. Unseren französischen Nachbarn hingegen ist das „patrimoine“ als nationales (Kultur-)Erbe ein seit zwei Jahrhunderten geläufiger Begriff.

„Gibt es ein deutsches Patrimonium?“, fragte jetzt ein Kolloquium der Staatlichen Museen und der Kulturstiftung der Länder. Die Museen sehen sich mehr und mehr in der Rolle des Nationalmuseums, also des Bewahrers eben jenes kulturellen Erbes. Die Kulturstiftung hat mit dem Patrimonium tagtäglich zu tun, wenn sie versucht, national bedeutsames Kulturgut in Deutschland zu halten. So viel Einigkeit besteht jedenfalls: Ein bedeutendes Kulturvolk häuft auch ein reiches Patrimonium an und trägt es weiter. Worin aber dieses Patrimonium besteht, was also Gemeingut aller Deutschen sei, liegt weitgehend im Nebel der Interpretationsversuche. Und die Frage, ob dieses Patrimonium denn auch erworben sei – in jenem Goetheschen Sinne des „Was Du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ –, muss beständig neu gestellt und beantwortet werden.

Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen, suchte eine Antwort in der Geschichte der Staatlichen, ehedem Preußischen Museen. Ihnen sei die nationale Aufgabe von Anfang an zugewiesen worden. In dieser historischen Analyse berührte sich Schuster mit Thomas Gaehtgens, dem Gründungsdirektor des „Deutschen Forums für Kunstgeschichte“ in Paris. Dieser leitete die Entstehung des Patrimoniums-Begriffs aus den Wirren der Französischen Revolution, aus dem Vandalismus und der sofort sich anschließenden Denkmalbewahrung her. Zugleich hatte die französische Nation sich als Hort der Kunstschätze aus aller Welt verstanden, um auch diese – und nicht nur etwa die Bewohner absolutistisch beherrschter Länder – zu „befreien“. Unter Napoleon gewann der Kunstraub eine strategische Dimension. Und ihr folgte als Reaktion die Besinnung der beraubten Länder, zumal Deutschlands, auf ihr eigenes Erbe.

Der scheinbar aufs Nationale verengte Patrimoniumsbegriff besitzt neben seiner nationenbildenden immer auch eine übernationale Kehrseite. Denn was als dem Patrimonium zugehörig erachtet werden kann, ist weder von seiner Herkunft noch seiner Autorschaft auf das Land beschränkt, dem es solcherart zuwächst. Dem „Studium der Altertümer aller Art und Herkunft“ ist bereits Schinkels Altes Museum inschriftlich gewidmet, ganz wie sich zuvor schon das Pariser „Musée Napoléon“ als Universalmuseum verstanden hatte.

Am Patrimoniumsbegriff kann neuzeitliches Geschichtsverständnis gemessen werden, erklärte Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der mitveranstaltenden Kulturstiftung der Länder. Denn das Patrimonium „ist“ nicht einfach, sondern es kann entstehen und auch verloren gehen. Damit ist die spannende Frage noch gar nicht berührt, wie es sich mit dem immateriellen Erbe verhält, das doch zur Bildung einer Nation – man denke an das Nibelungenlied für die Deutschen – ganz unverzichtbar dazugehört. Eine der drei erhaltenen Handschriften des Nibelungenliedes war es übrigens auch, deren drohender Verkauf zu jener kulturpolitischen Verständigung beitrug, die 1988 die Kulturstiftung der Länder quasi als „Feuerwehr“ hervorbrachte.

Kontrapunktisch dann der Auftritt von Neil MacGregor, dem Direktor des British Museums als dem ersten, vor 203 Jahren gegründeten, Universalmuseum der Welt. Der Begriff des Patrimoniums ist auf der Insel verpönt, man spricht schlicht vom Erbe. Die Kernfrage, um ein Objekt unter Veräußerungsschutz zu stellen, lautet dort, ob dieses „eng verknüpft mit unserer Geschichte und unserem nationalen Leben“ sei. Diese Frage ist weit genug gefasst, um der gesellschaftlichen Dynamik zu folgen. So können für Robert Clive, dem Begründer der britischen Macht in Indien, gefertigte indische Mogul-Herrscheraccessoires nicht nur wegen ihres kunsthistorischen Wertes, sondern auch wegen ihrer Bedeutung für anderthalb Millionen Mitbürger indischer Abstammung gewürdigt werden.

MacGregor zeigte sich ironisch-provozierend „überrascht, wie schüchtern die Deutschen mit ihrer Kultur umgehen“, und verwies auf die herausragende europäische Rolle der deutschen Kultur seit Luther. Der Museumsleiter führte die Fragwürdigkeit eines national beschränkten Patrimoniumsbegriffs an Hand der überwältigenden Vielfalt von Objekten seines eigenen Hauses vor. Er zeigte, wie diese Objekte, ob aus Neuseeland oder Hawaii, heutzutage zum Sprechen gebracht werden können, indem sie Fragen der Gesellschaft aufgreifen. „Wir haben in allen Weltstädten Menschen aus aller Welt, die in den Museen ihre Kulturen finden können.“

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