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Volkskrankheiten: Gute Besserung!

Es hat schon Tradition: An dieser Stelle zeigen wir auf, was das neue Jahr für die Heilung der großen Volkskrankheiten bringen wird. Fettsucht, Alzheimer, Burnout und Krebs - die Forschung verspricht neue Therapien und alternative Ansätze

ALTERSLEIDEN ALZHEIMER
Die Tücken der Früherkennung

„Alzheimer lässt grüßen“, sagen heute manche schon, wenn ihnen der Name des Hauptdarstellers im Film nicht mehr einfällt, den sie erst am Vorabend gesehen haben. Geht es ernsthaft um die Frage, ob Alzheimer die Ursache für Gedächtnisstörungen ist, die Angehörige oder der Betroffene selbst bemerken, dann müssen vom Arzt zunächst andere Ursachen ausgeschlossen werden. Etwa eine Unterfunktion der Schilddrüse, Durchblutungsstörungen oder eine Depression. Außerdem werden heute in der Krankheitserkennung Gedächtnis- und Merkfähigkeitstests und bildgebende Verfahren wie Computer- oder Kernspintomografie eingesetzt. Dass sich die Hirnmasse vermindert, erkennt man hier aber erst im fortgeschrittenen Stadium.

Seit Kurzem macht es eine Untersuchung des Nervenwassers möglich, Vorboten der Krankheit schon zu einem Zeitpunkt zu erkennen, zu dem die Betroffenen noch nicht unter einer Demenz leiden, aber schon Vorboten wie Gedächtnisstörungen zeigen. Im Nervenwasser, von Medizinern als Liquor cerebri bezeichnet, können schon vier bis sieben Jahre vor dem Auftreten der typischen Symptome biochemische Veränderungen erkannt werden.

Die verräterischen Stoffe, Biomarker genannt, sind bestimmte Eiweißmoleküle, Beta-Amyloidpeptide und Tau-Proteine. Die Amyloidpeptide sind prinzipiell auch im Blut zu finden. „Im Blut zeigt sich allerdings nur verdünnt und verwischt, was sich im Gehirn abspielt“, sagt Jens Wiltfang (48), Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Duisburg-Essen. Der Grund sind Zellen aus anderen Organen als dem Gehirn, deren Spuren sich ebenfalls im Blut finden. Ein Routinebluttest auf Alzheimer wäre deshalb noch zu ungenau.

„Wir haben allerdings Hinweise auf weitere Biomarker im Blut, die eng mit dem krankhaften Geschehen bei der Entwicklung einer Alzheimerkrankheit verbunden sind“, berichtet Wiltfang. Im EU-Projekt „Klinische Neuroproteomik neurodegenerativer Krankheiten“, das der Psychiater koordiniert und an dem sich 17 europäische Partner beteiligen, sind die Forscher solchen charakteristischen frühen Veränderungen des Stoffwechsels auf der Spur.

Auch wenn sie gefunden sind, wird man die folgenschwere Diagnose im Frühstadium nicht auf eine kleine Blutprobe stützen können. „Das wird nur ein Mosaikstein sein“, sagt der Psychiater, „und wir würden auch nicht jedem automatisch einen Bluttest empfehlen.“

Noch ist Alzheimer eine unheilbare Krankheit. Wiltfangs Erfahrung nach würden die meisten Menschen, die an sich selbst frühe Symptome bemerken, sich einen solchen Test trotzdem wünschen. „Es gibt schließlich Hinweise darauf, dass man mit Sport, mediterraner Diät und geistiger Anregung den Verlauf verlangsamen kann. Außerdem werden schon jetzt Medikamente in großen Studien untersucht, die wahrscheinlich den Krankheitsprozess verzögern können.“ Beides wirke wahrscheinlich besser, wenn man früh damit beginne.

KINDERKRANKHEIT ADIPOSITAS
Hoffnungsschimmer für den dauerhaften Erfolg beim Abnehmen

Über dicke Kinder wird viel gesprochen und geschrieben. Die Kinderärztin und Hormonspezialistin Annette Grüters-Kieslich (53), Leiterin des Charité-Zentrums für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin, ist Spezialistin für die besonders schweren Fälle. Im Sozialpädiatrischen Zentrum der Charité werden jedes Jahr 700 krankhaft übergewichtige Zwei- bis 15-Jährige vorgestellt.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass diesen Kindern und Jugendlichen Programme zur Veränderung ihres Lebensstils dabei helfen, dauerhaft abzunehmen, ist nicht sehr groß. Besonders schlechte Chancen bestehen bei Kindern aus unteren Einkommensschichten und bei Migranten. Das ist für uns Ärzte bitter. Es zeigt uns aber auch, dass wir für diese Kinder besondere Ansätze finden müssen.“

Besonders traurig ist es, wenn ein junger Patient es geschafft hat, zumindest etwas abzunehmen – und das neue Gewicht dann nicht halten kann. Ein Forschungsprojekt, mit dem die Charité-Professorin und ihre Arbeitsgruppe in diesem Jahr starten wollen, heißt aus gutem Grund „Maintain“ („Aufrechterhalten“). Die Wissenschaftler wollen herausfinden, ob dem berüchtigten Jo-Jo-Effekt bei Kindern durch das Hormon Leptin Einhalt geboten werden kann.

Studien, in denen Leptin direkt beim Abnehmen helfen sollte, sind zwar enttäuschend ausgegangen. Doch Forschern von der New Yorker Columbia-Universität ist es bei Erwachsenen gelungen, durch die Gabe des Sättigungshormons Leptin nach einer erfolgreichen Diät die Gegenregulation des Stoffwechsels zu verhindern.

Das Hormon wird im Fettgewebe gebildet und gibt dem Körper eine Rückmeldung über den Gehalt an Körperfett. Mit der Fettmasse steigen die Leptinwerte, beim Abnehmen nehmen auch sie ab. Mit der Gabe des Hormons täuschten die US-Forscher dem Organismus ihrer Versuchspersonen vor, dass die Fettpolster durch die Diät nicht dahingeschmolzen seien. „Das könnte auch Kindern helfen, das Gewicht zu halten“, hofft die Charité-Ärztin Grüters-Kieslich.

Zunächst muss der Versuch nun bei Tierkindern gemacht werden, erst dann kann die Studie starten, an der 100 Kinder teilnehmen sollen, die noch keine Begleiterkrankungen wie Diabetes haben – und denen es zuvor gelungen ist, deutlich abzunehmen.

„Nur fünf bis zehn Prozent der schwer übergewichtigen Kinder kommen für eine solche Therapie in Frage“, sagt Grüters-Kieslich. Ihren Kampfgeist hat die Kinderärztin deshalb aber noch nicht verloren. Denn es gibt weitere Ideen: „Auch andere körpereigene Hormone wie etwa die der Schilddrüse könnten helfen. Und wir dürfen die Suche nach wirkungsvolleren Angeboten zur Veränderung des Lebensstils nicht aufgeben.“

BERUFSKRANKHEIT „BURNOUT“?
Von ausgebrannten Lehrern zur Stressbewältigung am Arbeitsplatz

Jeder dritten vorzeitigen Berentung liegt heute als Begründung ein psychisches Leiden zugrunde. Weil Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen es auch nach einer Behandlung oft schwer haben, wieder in der Arbeitswelt Fuß zu fassen, hat der Psychiater und Psychotherapeut Andreas Hillert (46) an der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee Therapieangebote entwickelt und bewertet, in denen Patienten speziell auf den möglichst stressarmen Umgang mit beruflichen Belastungen vorbereitet werden sollen. Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Studie zeigte, dass denjenigen Patienten, die parallel zur stationären Behandlung an einem intensiven Therapieprogramm zur „Stressbewältigung am Arbeitsplatz“ teilgenommen hatten, die Rückkehr in den Beruf deutlich leichter fiel. Den Wunsch nach vorzeitiger Berentung äußerten sie deutlich seltener.

Hillert beschäftigt sich seit Jahren praktisch und wissenschaftlich-theoretisch mit dem Wechselspiel zwischen beruflichen Belastungen und psychischen Erkrankungen. In die Klinik am Chiemsee kommen die Patienten häufig mit den ärztlichen Diagnosen Depression und Angststörung. Viele sagen allerdings von sich selbst, dass sie am „Burnout-Syndrom“ leiden. Eigentlich ist das keine anerkannte psychiatrische Diagnose.

„Doch ein Begriff wie Depression hat für die Betroffenen den Nachteil, dass er keine Erklärung bietet“, sagt Hillert, der zusammen mit seinem Kollegen, dem Psychologen Michael Marwitz, im letzten Jahr das Buch „Die Burnout-Epidemie. Oder: Brennt die Leistungsgesellschaft aus?“ veröffentlicht hat.

Hillert und Marwitz stört an dem beliebten Begriff Burnout einerseits die Unschärfe, andererseits das damit verbundene Bild eines völlig kraft- und hilflosen Menschen. „Das Erklärungsmodell von der abgebrannten Kerze oder dem leeren Akku ist zu simpel.“

In der Klinik Roseneck bilden Lehrerinnen und Lehrer eine auffallend große Patientengruppe. Sie sind für Hillert zudem wissenschaftlich wie therapeutisch besonders interessant: „Aufgrund der beruflichen Rahmenbedingungen ist es eine relativ homogene Gruppe – mit ganz erheblichem Stress zumal im sozial-interaktiven Bereich.“ Speziell auf die Belastungen des Lehrerberufes bezogen entwickelte Hillert gemeinsam mit Kollegen das Handbuch „Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf“, abgekürzt „Agil“.

Jetzt arbeitet der Psychiater daran, die für die Entstehung psychosomatischer Störungen bei Lehrern entscheidenden Aspekte in einer Studie detaillierter aufzuzeichnen. Ziel ist es herauszufinden, was gesunde eigentlich von kranken Lehrern unterscheidet. Dafür werden Patienten der Klinik mit gleich alten Kollegen „draußen“ verglichen. Zudem ist, in Kooperation mit Ewald Kiel vom Institut für Schul- und Unterrichtsforschung der Uni München, ein „Agil“-Präventionsprogramm für Referendare in Vorbereitung. Damit es erst gar nicht so weit kommt.

„Es ist doch grotesk, dass viele angehende Lehrer bis heute nicht angemessen darauf vorbereitet werden, was in der Schule tatsächlich auf sie zukommt und wie man angemessen mit seinen Kräften haushaltend damit umgeht“, sagt Hillert.

DARMKREBS
Wettstreit der Therapien

Beim Darmkrebs, einer der häufigsten Krebsformen in den industrialisierten Ländern, ist die Behandlung inzwischen schon sehr ausgefeilt. Im Detail gibt es jedoch immer noch und immer wieder Streitfragen. Eine von ihnen wird gerade in einer Vergleichsstudie geklärt, für die die Berliner Krebsgesellschaft über eine Million Euro bereitgestellt hat. Worum es geht, erklärt Peter M. Schlag (59), Direktor der Klinik für Chirurgie und Chirurgische Onkologie Campus Buch der Charité und Vorsitzender der Berliner Krebsgesellschaft: „Wir wissen, dass bei Krebs im Enddarm, der an Ort und Stelle schon fortgeschritten ist, eine Vorbehandlung die Ergebnisse verbessern kann.

Derzeit gibt es aber fast einen Glaubenskrieg darüber, ob es besser ist, vor der Operation vier Wochen lang eine Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie einzusetzen, oder ob eine kurzzeitige, fünftägige Bestrahlung vor dem Eingriff gleich gut wirkt.“ Während in Skandinavien und in den Niederlanden der Kurzzeitbestrahlung der Vorzug gegeben wird, wird in Deutschland die längere und dementsprechend belastendere Kombinationstherapie favorisiert.

Streitfragen wie diese können nicht im Labor beantwortet werden, sondern nur in aufwändigen klinischen Studien mit vielen Patienten. Diese werden nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Behandlungsgruppen zugeteilt. Auf diese Weise kann objektiv ermittelt werden, welches Vorgehen besser hilft, also zum Beispiel die Gefahr eines Rückfalls senkt. Die Patienten kommen aus 40 Kliniken, die meisten von ihnen im Berliner und Brandenburger Raum. Über 400 Patienten nehmen schon teil. Schlag leitet das Vorhaben zusammen mit seinem Charité-Kollegen Volker Budach von der Klinik für Strahlentherapie am Campus Mitte und ist zuversichtlich, dass in den nächsten zwei Jahren noch einmal knapp so viele Teilnehmer gefunden werden.

Schon wegen des standardisierten Behandlungsablaufs und der sorgfältigen Betreuung haben Patienten direkt etwas davon, an solchen klinischen Studien teilzunehmen. Erste Ergebnisse der Studie werden für das Jahr 2013 erwartet. Sie betreffen vor allem die Aussichten der Erkrankten, von einem erneuten Tumorbefall im Enddarm verschont zu bleiben, und ihre Überlebenschancen.

Sollten beide Strategien im Kampf gegen den Krebs gleich gut abschneiden, dann könnten die Aussagen der Patienten zur Lebensqualität den Ausschlag geben. Natürlich würde es Schlag und seine Kollegen erleichtern, sollte die weniger belastende Kurzzeittherapie sich behaupten können. „Vor allem aber freut es mich, dass wir nun in der Frage, welche der beiden Vorgehensweisen die bessere ist, endlich Klarheit bekommen werden“, sagt der Wissenschaftler.

Adelheid Müller-Lissner

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