zum Hauptinhalt

Gesundheit: Vom Selbstversuch zum Nobelpreis

Ein australisches Forscher-Duo wird für die Entdeckung des Magengeschwür-Keims Helicobacter geehrt

Man belächelte, verspottete, verachtete sie. Man glaubte ihnen kein Wort. Da beschloss der Draufgänger der beiden, Barry Marshall, es allen zu zeigen: Der junge Arzt schluckte die Bakterien selbst, Milliarden von Mikroben.

„Typisch Barry“, meinte seine Frau damals nur.

Gespannt warteten Barry Marshall und sein geistiger Vater, der australische Pathologe Robin Warren, auf ein Ergebnis. Tage vergingen. Nichts geschah. Dann, nach einer Woche, passierte es: Barry Marshall wurde übel, er erbrach sich – die Erreger, so stellte sich heraus, hatten ihm eine akute Gastritis, eine Magenentzündung, beschert.

Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch der Rest der Welt von ihrer Entdeckung überzeugt sein würde.

Gut 20 Jahre nach dem Selbstversuch gibt es für Warren und Marshall sogar den Medizin-Nobelpreis. Am gestrigen Montag verkündete das Komitee in Stockholm: Das australische Forscher-Duo erhält die mit einer Million Euro dotierte höchste Auszeichnung, die es für Wissenschaftler gibt. Sie wird am 10. Dezember in Schwedens Hauptstadt verliehen.

„Ein toller Nobelpreis“, jubelte Peter Malfertheiner, Magen-Darm-Experte der Universität Magdeburg, der sich seit 20 Jahren mit dem von Warren und Marshall entdeckten Bakterium Helicobacter pylori beschäftigt. „Hier geht es um Hunderttausende von Menschenleben.“

Zum Zeitpunkt der Entdeckung, 1982, glaubte man genau zu wissen, woher Magenentzündungen und Magengeschwüre kommen: vom Stress oder auch von scharfen Speisen. Bakterien? Die Vorstellung galt als lächerlich: Die Säure des Magens, so die Vorstellung, mache jedem Erreger den Garaus.

Doch Warren und Marshall behielten Recht. Heute ist ziemlich klar, dass Helicobacter nicht nur Entzündungen und Geschwüre, sondern auch Magenkrebs verursachen kann. „In China, wo bis zu 90 Prozent der Bevölkerung mit Helicobacter infiziert sind, stirbt alle zwei bis drei Minuten ein Mensch an den Folgen eines durch das Bakterium verursachten Magenkarzinoms“, sagt Thomas Meyer, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.

Angefangen hatte die Entdeckungsgeschichte, als Robin Warrens Ehefrau Win an einem Magengeschwür erkrankte. Sie wurde seine erste Patientin.

Nachdem der Wissenschaftler immer mehr Patienten untersucht hatte, stellte er fest: Die Entzündungen befanden sich immer in der Nähe von Bakterienansammlungen. Nun hatte man schon lange zuvor entdeckt, dass der Magen kein keimfreier Raum ist – keiner aber legte den Zusammenhang zwischen Magenentzündungen und Erregern offen.

Barry Marshall, frustriert von der Medizin, in der in seinen Augen bereits alles Wesentliche entdeckt worden war, stieß als angehender Arzt auf Warren. Zusammen fanden sie in Gewebeproben von Patienten den Übeltäter (der später dann Helicobacter getauft wurde). Sie versuchten, das Bakterium zu vermehren, um es genauer untersuchen zu können. Doch die Experimente scheiterten – bis die beiden ihre Proben eines Tages über Ostern tagelang stehen ließen. Als sie zurückkehrten, hatte sich Helicobacter munter auf den Petrischalen ausgebreitet.

Inzwischen, gut 20 Jahre später, sind über 20000 Fachartikel zu Helicobacter erschienen. Dutzende von Forschern sind dem Erreger auf der Spur. Was man heute weiß: Das Bakterium wird meist von der Mutter aufs Kind übertragen, zum Beispiel, wenn die Mutter beim Füttern den Löffel ableckt. Ist man einmal infiziert, bleibt man es sein Leben lang. „Dabei kommt es immer zu Entzündungen, man merkt es nur oft nicht“, sagt Malfertheiner.

In Deutschland und Westeuropa sind etwa 20 bis 30 Prozent der Menschen infiziert, in Südamerika, Asien und Afrika sind es über 60 Prozent, auf Grund der schlechteren hygienischen Bedingungen. Bei zehn bis 20 Prozent werden die Symptome gravierend. Der Erreger nistet sich in der Schleimschicht ein, die die Magenwand vor der Säure schützt. Dann schafft sich das Bakterium um sich herum einen Mini-Schutzraum: Mit Hilfe eines Eiweißes namens Urease spaltet es Harnstoff im Magen, dabei wird die Säure neutralisiert. Das bleibt nicht unbemerkt. Magenzellen registrieren den Keim, senden chemische Hilferufe aus und alarmieren so das Immunsystem. Die Abwehrarmee rückt vor in den Magen, wo sie eine Entzündung hervorruft. Die Verteidigungszellen sind dem Keim jedoch nicht gewachsen – Helicobacter bleibt im Magen, die chronische Entzündung kann zum Geschwür führen.

Selten hat eine Entdeckung die Medizin so revolutioniert wie der Fund von Helicobacter pylori. Bis dahin tat sich die Medizin bei der Behandlung des Magengeschwürs schwer. Stress und Übersäuerung wurden angeschuldigt, Diätvorschriften erlassen und Beruhigungsmittel verschrieben. Häufig wurde operiert, große Teile des Magens herausgenommen oder Nerven durchtrennt. Und doch kehrten die Geschwüre wieder.

Seit der Entdeckung von Warren und Marshall ist alles anders geworden. Die Behandlung des Magenkeims mit Antibiotika, hochwirksame Säureblocker in Pillenform und die Möglichkeit, bei der Magenspiegelung zu behandeln, haben der Krankheit ihren Schrecken genommen. Aus einem früher mitunter tödlichen Leiden wurde fast eine Lappalie – zumindest in unseren Breiten. Operiert werden muss nur noch selten.

Mittlerweile gibt es an die 30 Leiden, bei denen ein Zusammenhang mit dem Bakterium vermutet wird, darunter Gefäßverkalkung, Hautprobleme, Blutarmut und Wachstumsverzögerung. Doch manche glauben, dass der Keim auch vor einer Entzündung der Speiseröhre durch Magensäure und vor Krebs des Mageneingangs schützen kann.

Weil es bereits Anzeichen dafür gibt, dass Helicobacter auf Medikamente nicht mehr anspricht, setzen Mediziner neuerdings auf eine Impfung. Sie könnte die Koexistenz von Mensch und Magenkeim beenden. Auch wenn erste Tests gut verlaufen sind – ein Impfstoff wird nicht vor 2010 verfügbar sein.

Robin Warren lebt heute im Alter von 68 zurückgezogen in Perth, einer Stadt im Südwesten Australiens. Er war der Entdecker, der 14 Jahre jüngere Marshall der Verkäufer. Seit Jahren träumten sie vom Nobelpreis: Immer vor der Bekanntgabe verabredeten sie sich im Swan Berry Café in Perth. So auch diesmal. „Als ich sie auf dem Handy erreichte“, sagte Komiteesekretär Göran Lindvall gestern, „saßen sie zusammen in einer Kneipe und guckten aufs Wasser.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false