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Ezequias Duran an seinem Arbeitsplatz im Berliner Krankenhaus Bethel Berlin.

© Bethel Berlin

Von Ecuador nach Berlin: Zwischen Welten

Ezequias Duran stammt aus einer armen Bauernfamilie in Ecuador. Heute arbeitet er als Chirurg in Berlin. Alle zwei Jahre reist er in seine Heimat zurück, um dort in unwegsamen Regionen zu operieren.

Der Arzt war der letzte Ausweg. Schließlich war die Behandlung bei ihm teuer. Ihn suchten die armen Hochlandbauern nur dann in seiner Praxis in der zwölf Kilometer entfernten Kleinstadt auf, wenn sowohl die Dorfheilerin als auch Don Esteban nicht weiterwussten. „Don Esteban war auch ein Heiler, ein Curandero, aber kein Arzt“, sagt Ezequias Duran. „Wenn wir Kinder richtig krank wurden, ritt jemand die 20 Kilometer zu ihm und holte ihn.“ Einen ganzen Tag dauerte das im Hochland Ecuadors. Meist konnte der Curandero die Fieber- und Krampfanfälle in den Griff bekommen, wegen der er gerufen worden war.

Aber manchmal war die Krankheit doch zu schwer, dann überwand Ezequias Durans Mutter ihr Misstrauen gegenüber dem Arzt und reiste mit dem kranken Kind in die Stadt. „Der Arzt war ein kräftiger Mann mit machtvoller Stimme und sorgte meist für eine Rettung in letzter Minute“, sagt Duran. „Das kam meiner Mutter dann wie ein Wunder vor.“ Sie war nur zwei Jahre in die Schule gegangen.

Man muss solche Geschichten aus Ezequias Durans Kindheit kennen, um zu bemerken, wie außergewöhnlich es ist, dass der 47-Jährige heute selbst einen weißen Kittel trägt und im Krankenhaus Bethel Berlin in Lichterfelde Ost als Chirurg arbeitet. Alle zwei Jahre fährt er für einen Monat nach Ecuador zurück, um dort mit einem Operationstruck der Nichtregierungsorganisation Cinterandes durch unwegsames Gelände zu fahren und Menschen zu behandeln, die noch immer so leben wie er damals. Seine Familie tut es noch heute. Seit dem Studium ist er beim Cinterandes-Projekt dabei – seit sein Professor Edgar Rodas, der spätere Gesundheitsminister Ecuadors, es ins Leben rief. Auf den Fahrten operiert Duran in dem 7,5 Meter langen Lkw mit OP-Tisch und einfachen Geräten vor allem Gallensteine und Hernien – Eingeweide, die durch die Bauchdecke gebrochen sind. Kompliziertere Tumore können sie aber oft nicht operieren: „Da man in dem Lastwagen weder Endoskopie noch Sonografie zur Verfügung hat, müssen wir manche Patienten doch in ein richtiges Krankenhaus schicken.“

Ecuador ist das zweitärmste Land Südamerikas. Das soziale Gefälle innerhalb der Gesellschaft ist groß. Der Großteil der Bevölkerung lebt auf dem Land, 15 Prozent der Einwohner haben weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung. Internet und Telefon sind auch heute noch wesentlich weniger verbreitet als in anderen lateinamerikanischen Staaten.

Das Gesundheitssystem des Landes sei zwar in der Theorie „wunderbar“, funktioniere aber in der Praxis überhaupt nicht, sagt Duran. „Die öffentlichen Krankenhäuser sind kostenlos für alle. Aber dort will kein Arzt arbeiten, weil man im Monat weniger verdient als in Privatkliniken bei einer Operation. Und weil die öffentlichen Krankenhäuser so schlecht ausgestattet sind.“ Oft fehlten nötige Medikamente. Also versuchten sogar die Ärmsten, die Behandlung in einer Privatklinik zu finanzieren. Außerdem gebe es zwar eigentlich ausreichend Ärzte, aber nur in den großen Städten. Auf dem Land will niemand arbeiten. Schließlich stammen die meisten Medizinstudenten aus der Oberschicht in den Städten.

Jemand wie Ezequias Duran wird in Ecuador eigentlich kein Mediziner – sondern Bauer. „Ich wäre als Kind nie auf die Idee gekommen, ich könnte eines Tages Arzt sein“, sagt Duran. „Nur wer extrem intelligent und reich ist, kann Medizin studieren, dachte ich.“

Mit zwölf verließen die Kinder im Hochland meist die Schule. Jungs mussten auf den Feldern arbeiten. Duran jedoch schaffte es nach vier Jahren Arbeit auf dem Acker, seine Familie zu überreden, wieder zur Schule gehen zu dürfen. Das große Ziel: Abitur. Er kam auf ein Internat mit landwirtschaftlichem Schwerpunkt. Und begann danach Geologie zu studieren, weil das nicht allzu weit von der Landwirtschaft entfernt schien. Doch das lag ihm nicht, er brach das Studium ab. Kehrte ins Hochland zurück, auf die Felder. Sein Traum schien gescheitert. „Da wurde ich depressiv.“

Als seine Mutter sah, wie schlecht es ihm ging, überwand sie mal wieder ihre Scheu vor dem Arzt in der Stadt. Er gab ihr für ihren Sohn ein Antidepressivum und empfahl, es mit einem anderen Fach zu probieren. Duran entschied sich für Tiermedizin, wieder weil das etwas mit Landwirtschaft zu tun hatte. „Geld verdiente ich mir, indem ich auf Bauernhöfen Tiere kastrierte.“ Humanmedizin schien ihm noch immer unerreichbar. Doch dann kam jenes Semester, in dem die Lehrbücher und Prüfungsaufgaben aus der Humanmedizin stammten. Als er alles bestanden hatte, war das Eis gebrochen. „Das war gar nicht so kompliziert, wie ich gedacht hatte.“ Und so begann er noch einmal von vorn.

Einer der Lkw, in denen Ezequias Duran in Ecuador operiert.
Einer der Lkw, in denen Ezequias Duran in Ecuador operiert.

© Bethel Berlin

Nach sieben Jahren Uni war er mit 34 endlich Arzt. In seinem letzten, dem praktischen Jahr im Krankenhaus in der Großstadt Cuenca, hatte er eine deutsche Medizinstudentin kennengelernt. Und sich verliebt. Bald heirateten sie und lebten zunächst in Ecuador. Denn wer dort Medizin studiert, muss als Gegenleistung für das gebührenfreie Studium anschließend ein Jahr in einem der öffentlichen Gesundheitszentren auf dem Land arbeiten, die sonst nicht besetzt werden könnten. Duran wurde in die Anden geschickt, das Zentrum war eine staubige Hütte, seit Jahren nicht benutzt. In der dazugehörigen „Apotheke“ fand er nichts außer Pflaster und einer einzelnen Penicillin-Kapsel.

Er versorgte Menschen, die vor einem Vulkanausbruch in der Nähe geflohen waren. Und brachte unter widrigsten Bedingungen Kinder zur Welt. „Einmal war ich in einer Hütte ohne Licht. Die Batterie der Taschenlampe ging zu Ende und die Herztöne des Babys wurden immer schwächer.“ Er brachte die Gebärende auf der Ladefläche eines Lkw ins Krankenhaus in die 30 Kilometer entfernte Stadt. Mutter und Kind wurden gerettet.

In dieser Zeit kam er auch mit Ureinwohnern in Kontakt, die noch leben wie vor Jahrhunderten und ihre eigene Sprache sprechen: den Salasaca. Sie lassen sich hauptsächlich von ihren Schamanen behandeln und misstrauen Schulmedizinern – auch weil die Regierung die Schamanen in den Siebzigern verfolgte und die Gesundheitszentren baute, um die Schulmedizin durchzusetzen.

Duran hat selbst Ureinwohner unter seinen Vorfahren: „Meine Kinder sagen: Du hast Indianerblut, Papa, und musst das zeigen.“ Auf ihr Drängen hin ließ er sich deshalb im vergangenen Jahr die Haare wachsen, trägt sie jetzt im Pferdeschwanz. Die Praktiken der Schamanen sah er sich interessiert, aber auch distanziert an: „Sie halten ein Meerschweinchen über den Körper des Patienten, dann schlachten sie es und sezieren die Organe des Tieres. An der Veränderung der Organe sehen sie, welches Organ des Menschen betroffen ist. Als ich dabei war, hat das tatsächlich funktioniert.“ Er fand es aber schwierig, Vertrauen zu den Salasaca aufzubauen. „Dafür war das eine Jahr zu kurz.“ Für seine eigene Arbeit hat er von den Schamanen nichts übernommen. „Aber von den Curanderos, den Heilern habe ich einiges gelernt. Etwa den Umgang mit ängstlichen Patienten.“ Auch heute noch legt er viel Wert darauf, seinen Patienten „Vertrauen zu geben. Das kommt hier in Deutschland vor allem in großen Krankenhäusern oft zu kurz.“ Im Jahr 2000 gingen er und seine Frau in ihre Heimat, nach Berlin. „Eigentlich wollten wir in Ecuador leben, aber dort kam uns eine große Wirtschaftskrise dazwischen.“

In Deutschland war es anfangs nicht leicht für ihn. Er musste eine neue Sprache lernen. Und es dauerte drei Jahre, bis sein ecuadorianischer Universitätsabschluss hier anerkannt wurde. Bis dahin wusch er Teller in Restaurants, außerdem arbeitete er als Pflegehelfer. Selbst nach der Anerkennung seiner Zeugnisse bekam er für das erste halbe Jahr nur eine Ausbildungsstelle für das damalige AIP (Arzt im Praktikum). Irgendwann möchte er zurück nach Ecuador, wenn die Kinder größer sind vielleicht. Bis dahin ist die Arbeit im OP-Truck alle zwei Jahre „Beruhigung für meine Seele.“

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