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Gesundheit: Vor dem ersten Spatenstich

Jäger antiker Goldschätze und moderne Migrationsforscher: 175 Jahre Deutsches Archäologisches Institut

In antiker Zeit gehörte es zum guten Ton, den eigenen Ursprung mit fantastischen Behauptungen auszuschmücken. Wer auf sich hielt, leitete seine Herkunft direkt von den Göttern ab. Ganz so weit geht das Deutsche Archäologische Institut (DAI), das in dieser Woche seinen 175. Geburtstag in Berlin mit einem Festakt, einer Ausstellung und einem internationalen Kongress feiert, zwar nicht zurück. Doch als eine der ältesten deutschen Wissenschaftsinstitutionen pflegt auch sie ihre Gründungslegende.

Eduard Gerhard, ein vom preußischen Schuldienst nach Rom beurlaubter Altphilologe, ging den preußischen Kronprinzen im November 1828 frontal an. Der spätere König Friedrich Wilhelm IV. war in gelöster Stimmung, weil er Italien mit 33 Jahren endlich einmal leibhaftig sehen durfte. Auf dem Marktplatz von Pozzuoli bat Gerhard ihn darum, die Schirmherrschaft über ein neues archäologisches Institut in Rom zu übernehmen – mit Erfolg. Gerhards Marmorbüste steht noch heute im Berliner Arbeitszimmer des DAI-Präsidenten. Auch Hermann Parzinger, seit Februar 2003 im Amt, wird nicht an seinem Sockel rücken.

Allerdings ist es nicht bewiesen, wer den Thronanwärter nun tatsächlich vom Gründungsplan überzeugen konnte: ob Gerhard, Friedrich Wilhelms Reisebegleiter in Süditalien, oder Christian Carl Josias von Bunsen, auch er ein begeisterter Altertumsforscher, enger Vertrauter des Kronprinzen und seit 1823 Gesandter Preußens am Heiligen Stuhl. Am 21. April 1829 wurde jedenfalls das „Instituto di corrispondenza archeologica“ im Palazzo Caffarelli, der preußischen Gesandtschaft, feierlich aus der Taufe gehoben.

Bis dahin war Archäologie eine Domäne wohlhabender Hobbyausgräber gewesen. Nun trat eine Gesellschaft von Freunden an, um ihr gemeinsames Steckenpferd als Wissenschaft zu etablieren. Antikenkenner wie der dänische Bildhauer Berthel Thorvaldsen, der päpstliche Konservator Carlo Fea oder der englische Archäologe James Millingen planten Publikationen, suchten Mäzene, etwa in Paris, wo ein Gutteil des Startkapitals aufgetrieben werden konnte. Es ging um nichts Geringeres als einen grenzübergreifenden Wissensverbund. Eine Utopie, die im Jahrhundert der Nationalstaaten eigentlich keine Chance hatte.

Dass die Neugründung nicht nach wenigen Jahren eingegangen ist, verdankt sich einem Kompetenzgerangel. Während Bunsen in Rom noch Kontakte knüpfte, verlagerte Gerhard, der 1833 ans Berliner Museum berufen worden war, die Direktion des Instituts vom Tiber an die Spree. Heute residiert die DAI-Zentrale stilgerecht in jener Villa, die sich Theodor Wiegand, Direktor der Berliner Antikensammlung und DAI-Präsident zwischen 1932 und 1936, von Peter Behrens in Dahlem bauen ließ. Rom wurde zum ersten Außenposten einer inzwischen auf sieben Abteilungen, vier Außenstellen und drei Kommissionen über mehrere Erdteile verteilten Forschungsrepublik.

Das populäre Bild des Archäologen changiert noch immer zwischen dem wortkargen, Tonscherben abstaubenden Pfeifenraucher und dem virilen Großwildjäger antiker Goldschätze. Tatsächlich ging es lange ausschließlich um den Erwerb attraktiver Fundstücke für die heimischen Museen, blieben all die mühsam zu sammelnden Informationen über den Fundort, die ein archäologisches Objekt jenseits des Materialwertes erst bedeutsam machen, unberücksichtigt. Moderne Grabungsmethoden entwickelten sich vor etwa 100 Jahren. Einer ihrer Väter, der durch seine Olympia-Rekonstruktionen bekannte Bauforscher Wilhelm Dörpfeld, leitete seit 1882 die DAI-Abteilung in Athen.

Inzwischen haben sich Ausgrabungen zu multidisziplinären Forschungsvorhaben gewandelt. Satellitenbilder und geophysikalische Prospektionsmethoden legen Stadtpläne vor dem ersten Spatenstich offen. Naturwissenschaft ermöglicht die genaue Datierung von Holz und organischen Stoffen. Archäologische Stadtforschung fragt nach Migrationen und Umweltschäden. Der Archäologe ist heute Spezialist unter Spezialisten, nicht mehr Kommandeur einer Hundertschaft einheimischer Grabungshelfer.

In einer sich rasant wandelnden Welt erweiterte sich die kulturpolitische Bedeutung des DAI: Neben die traditionellen Schwerpunkte im Mittelmeerraum und Vorderen Orient sind Forschungsprojekte in Südamerika, Nordafrika und Südostasien getreten. Die Grabungen im irakischen Uruk, dem biblischen Erech, ruhen seit dem Dritten Golfkrieg. In Arisman, einer prähistorischen Industrieansiedlung, kann dagegen seit vier Jahren wieder geforscht werden – obwohl es noch immer kein Kulturabkommen mit dem Iran gibt.

Für fast alle der 100 pro Jahr laufenden Projekte werden Kooperationspartner gewonnen, bei ergänzenden Finanzierungen springen DFG und Wissenschaftsstiftungen ein. Schwerer als die Etatkürzungen im vergangenen Jahrzehnt habe das DAI der vom Auswärtigen Amt auferlegte Personalabbau getroffen: bisher etwa 40 von knapp 300 Planstellen. Mit jedem Wissenschaftler, dessen Stelle nicht neu besetzt wird, sagt Präsident Parzinger, der selbst lange in Sibirien geforscht hat, verliere man unersetzliches Spezialwissen. Zum 100. und 150. Geburtstag bekam das Institut von seinem obersten Dienstherrn neue Abteilungen in Istanbul und in Bonn geschenkt. Diesmal ginge es auch eine Nummer kleiner.

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