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Gesundheit: Walnüsse in Gefahr

Kulturwandel bedroht Kirgistans Wildobstwälder

„Apfel, Nuss und Mandelkern ...“ – Weihnachten ohne Nüsse, insbesondere Walnüsse, ist hierzulande schwer vorstellbar. Außerhalb der Adventszeit aber spielen die bizarr geformten Früchte bei uns eine eher untergeordnete Rolle. Ganz anders im fernen Tien-Schan-Gebirge im äußersten Südosten der ehemaligen Sowjetunion. Im Gebiet der kirgisischen Stadt Dschalalabad an der Grenze zu Usbekistan sind die weltweit einzigartigen Walnuss-Wildobstwälder zentral für das Leben der Menschen. Sie liefern neben den wertvollen Nüssen auch Pilze, Früchte und Heizmaterial – und das in weit größerem Maße als noch vor 20 Jahren.

Das sensible Ökosystem leidet unter den Folgen des dramatischen sozialen und politischen Wandels seit der kirgisischen Unabhängigkeit. Auf Satellitenbildern kann der Vegetationsgeograf Sebastian Schmidtlein von der Uni Bonn nachweisen, dass der Wald nicht ausreichend nachwächst. Schmidtlein gehört zu einem deutsch-kirgisischen Forscherteam, das, finanziert von der Volkswagen-Stiftung, seit 2003 untersucht, was die veränderte Nutzung des Waldes bewirkt und was man tun kann, um Natur und Mensch wieder in Einklang zu bringen. Zu den Wissenschaftlern gehören auch der Humangeograf Matthias Schmidt von der Freien Universität Berlin und Landschaftsökologen um Udo Schickhoff an der Uni Hamburg.

Schmidt hat beobachtet, wie eng die Bindungen der Menschen an den Wald sind. Einmal war er dabei, als eine Familie erfuhr, dass man „ihren“ Baum in der Nacht gefällt hatte. „Sie standen urplötzlich vor dem Nichts“, sagt Schmidt. Zwar hatte die Familie von der Forstverwaltung das Recht gepachtet, die Nüsse des Baumes zu ernten. Doch solche Verträge sind nicht einklagbar. Walnussbäume zu fällen, ist verboten, aber die Forstverwalter drücken mitunter ein Auge zu, wenn die Bestechungsgelder hoch genug sind. Seit Anfang der 1990er Jahre bemühen sich westeuropäische und amerikanische Holzkonzerne, an das Walnusswurzelholz heranzukommen – als Furnier für Luxuslimousinen.

Dagegen nimmt es sich harmlos aus, dass sich die Einheimischen im Wald mit Brennholz eindecken. Tatsächlich aber vernichten sie damit das Unterholz und verhindern so, dass sich die Bäume selbst aussäen. Die Menschen aber haben keine Alternative: Seitdem Kirgistan unabhängig ist, sind die Preise für Gas und Steinkohle rapide gestiegen, weil sie nicht mehr staatlich subventioniert werden. Hinzu kommt, dass viele Menschen ihre Arbeitsplätze in den Kolchosen und wenigen Industriebetrieben verloren haben.

Gefahr für die Nusswälder geht auch von Schafen, Ziegen und Rindern aus. Die Tiere werden in den Walnusswald oder auf Hochweiden getrieben. „In der Sowjetzeit durften die Menschen privat kaum Vieh halten. Traditionell aber investieren nomadische Völker wie die Kirgisen in Vieh – es verursacht keine großen Kosten und kann im Notfall schnell zu Geld gemacht werden“, sagt Schmidt. Die Tiere stampfen den Waldboden fest – ein weiteres Hindernis für die natürliche Aussaat, da die Wurzeln nicht tief genug in den Boden eindringen können, um den ersten Winter zu überstehen. Außerdem knabbern die Ziegen die Triebe an.

Die Forscher sind sich einig, dass die Menschen ohne den Wald nicht existieren können. Die Ökologen befürworten eine mäßige Nutzung, die sich positiv auf die Artenvielfalt auswirke. Einig waren sich die Forscher auch darin, das Projekt auszuweiten: Auch die oberhalb der Wälder gelegenen Hochweiden werden nun einbezogen, da sie gleichermaßen bedeutsam für die Existenzsicherung der Familien sind. Die Forscher wollen Empfehlungen aussprechen, wie intensiv die Anwohner den Wald nutzen dürfen. Bislang diskutieren sie Konzepte, nach denen einige Waldstücke völlig gesperrt werden müssten, während andere partiell oder saisonal freigegeben würden.

Elke Kimmel

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