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Gesundheit: „Was soll Ihr Streik bewirken?“

FRITZ VILMAR (74) ist emeritierter Professor des OttoSuhr-Instituts der FU Berlin. Seit 1991 koordiniert er die „Forschungsgruppe Kritische Analyse der Vereinigungspolitik“.

FRITZ VILMAR (74)

ist emeritierter Professor des OttoSuhr-Instituts der FU Berlin. Seit 1991 koordiniert er die „Forschungsgruppe Kritische Analyse der Vereinigungspolitik“.

Foto: privat

DIE AKTUELLE FRAGE

Drei Professoren des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin – Peter Grottian, Wolf-Dieter Narr und Fritz Vilmar – haben gestern wie berichtet ihre Arbeit niedergelegt. Zwei Wochen lang wollen sie gegen die „desaströse Bildungs- und Hochschulpolitik“ des Senats von Berlin und „grundrechtswidrige Zustände“ an ihrem Institut „streiken“. Narr und Vilmar sind emeritiert, bieten aber weiterhin reguläre Lehrveranstaltungen an.

Herr Vilmar, Sie sind emeritierter Professor. Welche Veranstaltungen lassen Sie ausfallen – und was soll das bewirken?

Ich bestreike meine Vorlesung über „Das politische System der Bundesrepublik Deutschland“ und mein Seminar zur kritischen Würdigung der DDR. Aber „Streik“ heißt bei mir nicht, einfach zu Hause zu bleiben. Ich vertrete die Form des aktiven Streiks. Bei meiner Vorlesung werde ich einen Abriss dessen geben, was Thema der Vorlesung wäre. Und dann werden ich gemeinsam mit Peter Grottian über die politische Misere am OSI informieren und mit den Studenten diskutieren.

Von den OSI-Profs haben nur drei Ihren Aufruf unterschrieben. Auch die Studenten wählen heute meist mildere Protestformen als früher, um keine Zeit zu verlieren. Trauern Sie dem Unistreik von 1988/89 nach, als Studenten das OSI blockierten?

Dem Streik als solchem trauere ich nach, aber den Formen nicht. Das Dilemma 88/89 war, dass alles zugemacht wurde und die Hochschullehrer die Streikzeit als zusätzliche Forschungsferien genutzt haben. Daher mein Eintreten für den aktiven Streik.

Wie schlecht steht es denn um Ihr Institut?

Die Stellenausstattung ist unzumutbar, seit 1993 haben wir fast zwei Drittel des wissenschaftlichen Personals verloren – bei gleich bleibenden Studentenzahlen. Statt früher 90 sitzen jetzt 230 Studierende in meiner Vorlesung. Wenn nur die Hälfte eine Klausur schreiben will, müsste ich 115 Arbeiten korrigieren. Ich denke nicht daran und werde das auch der Institutsleitung mitteilen. Die Studenten wären noch viel schlechter betreut, wenn nicht auch andere Emeriti aus pädagogischem Eros weiter unterrichten würden. Die Unileitung reagiert mit rigiden Zulassungsbeschränkungen. Wir dürfen aber nicht alle vom Politologie-Studium ausschließen, die einen schlechteren Notendurchschnitt als 1,7 haben. Deshalb muss die Stellenausstattung sofort verbessert werden.

Wie soll das finanziert werden?

Wenn der Senat von Berlin die Bankgesellschaft dazu zwingt, die bisherigen Landeshilfen von zwei Milliarden Euro schrittweise zurückzuzahlen, könnte er ein Notprogramm für Bildung, Schule und Hochschule auflegen. Außerdem sollten die Kommunen eine zusätzliche Erbschafts- und Vermögenssteuer für die Wohlhabenden einführen. Mit unserem Streik kritisieren wir auch den Sozialabbau. Auch Rot-Grün ist unfähig, die Lasten gerecht zu verteilen. Deshalb habe ich jetzt nach über 50 Jahren meine Mitgliedschaft in der SPD gekündigt.

Ihr Aufruf richtet sich auch gegen das „verschlimmbessernde Studienkontenmodell“. Reihen Sie sich also in die studentischen Proteste gegen Gebühren ein?

Ich bin für Studiengebühren, wenn sie wie das Bafög vom materiellen Status der Eltern abhängig gemacht werden. Eine grundsätzliche Ablehnung von Gebühren als „repressiv“ halte ich für pseudo-links. Die Gebühren müssten allerdings direkt der personellen Ausstattung der Institute zugute kommen.

Sie wollen jetzt auch Spenden für die Verbesserung der Lehre sammeln und in Grunewaldvillen „betteln“ gehen.

Das ist das Imponierende an Peter Grottian. Er ist da besonders innovativ, wo es um neue Formen der gesellschaftlichen Partizipation neben dem Parlamentarismus geht – ein Thema, das mich seit langem umtreibt. Unmittelbar an Menschen heranzutreten, die Geld haben, finde ich gut.

Sie kritisieren auch die neuen Studiengänge Bachelor und Master. Was haben Sie gegen ein effektiveres und internationalisiertes Studium?

Wir sind nicht pauschal gegen die Internationalisierung, sondern gegen das Hau-Ruck- Verfahren. Es ist Teil der zunehmenden Amerikanisierung des deutschen Wissenschaftsbetriebs. Vor allem darf nicht das bewährte Diplomstudium wegfallen. Das Lernen in Modulen ist diskutabel. Aber es könnte die Studenten dazu bringen, nur noch darauf hin zu arbeiten, die formalen Leistungen zu erfüllen. Das wäre das Ende der kritischen Reflexion, die ein wissenschaftliches Studium doch bestimmen sollte.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

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