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Gesundheit: Weißt du, wie es ist, auf eine Sanddüne zu steigen?

Von Juliane von Mittelstaedt Kurfürstendamm, an einem trüben Nachmittag. Zwei Polizisten in Zivil kontrollieren eine Gruppe junger Männer, die dort stehen und reden, weiter nichts.

Von Juliane von Mittelstaedt

Kurfürstendamm, an einem trüben Nachmittag. Zwei Polizisten in Zivil kontrollieren eine Gruppe junger Männer, die dort stehen und reden, weiter nichts. Sie fallen fast nicht auf. Einziges Merkmal: Die Vier sind schwarz. Sie zücken ihre Ausweise und die Polizisten ziehen unverrichteter Dinge wieder ab. Sonst haben sie niemanden überprüft, noch nicht einmal forsch gemustert.

Cyril Fegue, der aus Kamerun kommt, könnte noch viel mehr solcher Geschichten erzählen. Auch er ist schwarz – vom Zeh bis in die Rastalocken, von der Lederhose bis zum „Cats"-T-Shirt, nur das Gold der Brillenfassung blitzt heraus. Der 23-jährige Cyril ist seit November vergangenen Jahres Vorsitzender der Afrikanischen Studenten Union (ASU) in Berlin. Der Verein vertritt die Interessen afrikanischer Studenten, die in die Hörsäle der Berliner Hochschulen streben, um Jura, Betriebswirtschaft oder Physik zu lernen. Etwa 1800 sind es derzeit, aus Kamerun, Marokko, Ägypten und Ghana.

Rund zehnmal so viele Afrikaner studieren in Deutschland insgesamt. Damit stellen sie die drittgrößte Gruppe nach den Studenten aus West- und Osteuropa sowie aus Asien. An ihrer Repräsentation haperte es jedoch bisher. Das hat viele Gründe. Für Veranstaltungen rieselt es lediglich ein paar Euro Zuschuss vom Studentenwerk; Papier, Telefon sowie Büro spendiert der AStA der TU. Überhaupt, das Büro: Graffiti umschlängelt die Risse im Linoleumboden und von den Wänden schälen sich der Gilb und eine Vielzahl vergessener Revolutionen.

Doch das eigentliche Problem harrt außerhalb der AStA-Villa: Die meisten afrikanischen Studenten wollen sich nicht engagieren, gesteht Cyril Fegue. „Leider!", setzt er seufzend dazu. Hunderte Sprachen und Kulturen querbeet, der kleinste gemeinsame Nenner, dass sie alle auf dem gleichen Kontinent geboren sind. Nur ein spärlicher Kreis von zehn bis zwanzig Interessierten findet sich bei den wöchentlichen Treffen zusammen.

Aber jetzt soll alles anders werden. Am abgewetzten Schreibtisch, hinter fest gepappten Tassen und mannshohen Papierbergen galoppiert der quirlige ASU-Vorsitzende durch sein zehnseitiges Aktionsprogramm, mit dem er die Studentenvereinigung aus ihrem Dornröschenschlaf reißen will: Eine dreisprachige Zeitung soll produziert, enge Kooperation mit den afrikanischen Botschaften in Berlin und afrikanischen Studentenvertretungen in ganz Deutschland angebahnt sowie ein Netzwerk mit ehemaligen Studenten geknüpft werden, um besonders bedürftigen Kommilitonen „finanziell unter die Arme zu greifen".

Ein Jahr im Kulturschock

Zudem strebt der ASU an, den afrikanischen Neu-Berlinern eine bessere Orientierung im bürokratischen Dickicht von Ausländerbehörde, Arbeitsamt und Universität zu bieten. Einiges ist bereits im Gange: Für die letzte Veranstaltung „Afrika kulinarisch entdecken" organisierte die ASU-Gruppe Räume, lud afrikanische Botschafter und viele andere Gäste ein, kochte, tanzte und musizierte.

Bloß nicht still sitzen! Neben dem Politikstudium engagiert Cyril sich bei Amnesty International, ist Stipendiat der Ebert-Stiftung und Mitglied der SPD. Vom Vorsitz bei der ASU verspricht er sich viel: Die afrikanischen Studenten sollen zum einen Kunst, Kultur und Alltagsleben aus dem vermeintlich „katastrophalen Afrika" den Hauptstädtern nahe bringen und das „negative Konzept" in ein positives umwandeln. Zum anderen soll ein Forum für Afrikaner und Deutsche entstehen; denn so der ASU-Vorsitzende, „Begegnung findet nicht statt", die Afrikaner bleiben unter sich. Die Neuen zu integrieren und zu unterstützen ist daher gerade in den ersten Monaten wichtig. Wenn die afrikanischen Studienanfänger in Berlin ankommen, glauben die meisten, schon alle Hürden überwunden zu haben: Die Anerkennung des Schulabschlusses, Zulassung an der deutschen Universität, Geld zusammengekratzt, Visum. Doch nach der Paragraphenklauberei zu Hause stürzt der Alltag am Studienort auf sie ein. Deutschland verschlägt ihnen die Sprache, buchstäblich. Fremde Sitten, fremde Sprache. Cyril: „Der Kulturschock hält durchschnittlich ein Jahr an." Dann geht es. Mehr aber auch nicht.

Das sagen zumindest Patrice und Pierre, ebenfalls Mitglieder der ASU, der eine auf dem Weg zum Bauingenieur, der andere will Anwalt werden. Beide sprechen gut Deutsch und wirken zufrieden. Aber für immer in Deutschland bleiben? Nein, das wollen sie nicht. Warum? Sie blicken verlegen, finden gar keine richtige Antwort. „Es ist mehr so ein Gefühl ganz tief drin", sagt Patrice. Trotz des Luxus einer „geschenkten" Ausbildung bleibe ein schaler Nachgeschmack zurück, so die beiden Kameruner. Der Ägypter Marei nennt es „Deutschland mit Drehtüreffekt": Rein zum Studieren, dann sofort wieder raus. Schluss ist nach längstens zehn Jahren. Im Gegensatz zu deutschen Studenten federt sie kein Bafög und kein Bildungskredit ab. Die afrikanischen Kommilitonen müssen oft Zeitungen austragen und Würstchen braten was das Zeug hält, um sich zu finanzieren. Und dauert das Studium dadurch länger als zehn Jahre, gibt es keine Übergangsfrist und kein Beratungsgespräch mehr: Die Tür fällt endgültig zu. Und nach bestandenem Diplom oder Examen müssen die in Deutschland ausgebildeten Fachkräfte das Land verlassen - „ nur um andere per Green Card wieder anzulocken“, kritisiert Cyril.

Die meisten werden Ingenieur

„Hi Potentials! International careers made in Germany" nennt die Bundesregierung ihre Kampagne, aber wer sind diese „High Potentials", wenn nicht die hier ausgebildeten Studenten aus aller Welt? Die meisten Afrikaner lernen schließlich Ingenieurberufe, und diese Absolventen werden gesucht. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz können sie bleiben, wenn der Bundespräsident es denn unterzeichnet. Das würde mit einer praktizierten Sinnlosigkeit aufräumen. Ausländische Studienabsolventen könnten dann für einen zunächst begrenzten Zeitraum Arbeit suchen.

Denn trotz des Desasters beim Hochschulranking und der Pisa-Studie: Deutsche Hochschulen sind noch immer ein begehrtes Ziel. Nach den USA und Großbritannien ist Deutschland das beliebteste Gastland für Studenten. Von weltweit etwa 1,8 Millionen, die nicht in ihrem Heimatland studieren, ist nahezu jeder Zehnte an einer deutschen Universität oder Fachhochschule immatrikuliert. Ein knappes Drittel von ihnen sind allerdings Bildungsinländer, in Deutschland aufgewachsen und mit hiesigem Abitur in der Tasche. Bei rund acht Prozent kauerte die Zahl ausländischer Studenten bisher und soll nach dem Willen der Bundesregierung in den nächsten Jahren steigen. „Für afrikanische Studenten ist Deutschland attraktiv", meint der Politikstudent Marei. Für viele sei es das gelebte Beispiel, wie man ein durch Krieg verwüstetes Gebiet zum Industriestandort aufpäppeln könne.

Sie alle wollen es, Pierre, Patrice, Marei und Cyril: zurückkehren und das eigene Land „von innen entwickeln". Eine Frage platzt heraus, eine deutsche Frage, wie die Vier meinen: Ist die Rückkehr „moralische Pflicht"? Cyril fasst zusammen: „Hauptsache, man trägt zur Entwicklung seines Landes bei, egal von wo, egal wie." Sie zaudern zwischen Moral und Profit, verständlicherweise. Wer will es ihnen vorwerfen? Zurückgehen - das ist der Sprung ins kalte Wasser. Die Vision von der Rückkehr ins Heimatland überlebt indes. Denn diese Heimat ist auch nach Jahren in der Fremde immer Afrika, Deutschland dagegen nur eine „Zwischenstation". Warum? Marei aus Ägypten gibt die afrikanische Antwort: „Weißt du, wie es ist, auf eine Sanddüne zu steigen?"

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