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Gesundheit: Weltmeister der Lehrpläne

Minister, Lehrer und Schulräte suchen gemeinsam nach Wegen aus der Bildungsmisere

Der Pisa-Schock wirkt noch immer. Dass die deutschen Schüler schlechter lesen können als die Jugendlichen in vielen Ländern der OECD, hat die Bundesbürger nachhaltiger schockiert als die mangelhaften Kenntnisse in Mathematik und den Naturwissenschaften. Diese waren schon durch die TIMS-Tests seit 1997 bekannt. Seitdem wird nach einer neuen Didaktik gesucht. Vor Pisa warben viele Schulpolitiker mit einem Allheilmittel gegen die Misere. Nach Pisa versprechen sie sich von diesem Mittel auch die Behebung der Leseschwäche: von mehr Autonomie für die einzelne Schule. Ob dadurch der Unterricht besser wird, kann allerdings niemand vorhersagen.

Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Bildungsverwaltung in Esslingen wurden die verschiedenen Rezepte von Schulräten, Schulleitern und Ministerialbeamten jetzt kritisch unter die Lupe genommen. Am ehesten konnte man sich noch darauf verständigen, nicht mehr auf ausgefeilte Lehrpläne zu setzen. Denn hätten die Bildungsforscher der OECD die deutschen Lehrpläne statt der Schüler getestet, „so hätten wir wahrscheinlich super abgeschnitten”. So ideal sind unsere Curricula formuliert, kritisierte Wilfried Lohre, der nach 17 Jahren Lehrtätigkeit heute für die Bertelsmann-Stiftung Konzeptionen für Schulversuche entwirft. Nur ist die Messlatte in den Curricula so hoch gelegt, dass viele Lehrer leicht darunter wegtauchen. Viel effektiver könnte es sein, sich auf Mindeststandards zu verständigen und deren Einhaltung wenigstens in länderübergreifenden Tests jährlich zu überprüfen. Darauf haben sich die Kultusminister verständigt. Die nächste wesentliche Neuerung ist das Kerncurriculum, das für jedes Fach nur noch einen Rahmen vorgibt, der jeweiligen Schule jedoch den Spielraum gewährt, diesen Kern so zu erweitern, wie es dem eigenen Schulprogramm entspricht.

Die baden-württembergische Schulministerin Annette Schavan (CDU) spricht sich genau für diese Reihenfolge aus. Das Kerncurriculum bezeichnet sie als „Wortschatz eines jeden Faches”. Der eigentliche Konflikt der Zukunft werde sich darum drehen, was in das Kerncurriculum aufgenommen wird. Was die einzelne Schule daraus macht, bleibt ihr überlassen. Der Staat soll auch nicht mehr vorgeben, wie viele Stunden pro Jahr ein Fach unterrichtet werden muss. Dies zu entscheiden, wird den Pädagogen überlassen. Nur ist die Kehrseite der neuen Freiheit die Rechenschaft jeder Schule darüber, dass sie ihre Ziele erreicht und wie.

Schavan erläuterte, dass der Staat trotzdem in der Verantwortung bleibe – etwa beim Schutz gegen eine Instrumentalisierung der Schule, beim Interessenausgleich zwischen den Interessen der Eltern und übergeordneten Interessen der Gesellschaft sowie für Gerechtigkeit beim Zugang zu Bildungsangeboten. Außerdem müsse der Staat garantieren, dass die Schulabschlüsse in ihrer Qualität vergleichbar bleiben. In Deutschland hätten die Pisa-Tests gezeigt, dass es zwischen einzelnen Schulen und einzelnen Ländern Leistungsunterschiede im Umfang von bis zu zwei Jahren gebe. Diese Mängel belegten die Notwendigkeit vergleichbarer Standards für alle, so Schavan. Doch wenn diese neue Linie funktionieren soll, kommt alles darauf an, die richtigen Lehrer einzusetzen.

Aber wie kommt man zu geeigneten Pädagogen? Auf der Tagung berichteten Schulleiter von ihren Erfahrungen. Nicht die jungen Lehrer machen ihnen Sorgen, denn die sind als Beamte auf Zeit kündbar, wenn sie den Anforderungen nicht genügen. Das Problem sind die Älteren, die nach einer Lebenskrise so ausgebrannt wirken, dass sie keinen guten Unterricht mehr bieten, die Krankenstatistik anführen, auf Kur gehen oder dem Alkoholismus verfallen. Sie geben ein schlechtes Beispiel und verderben das Schulklima – besonders aus Sicht der Schüler. Wie kann man sie loswerden, wenn der Beamtenstatus sie schützt? Selbst wenn alle Lehrer nicht mehr Beamte auf Lebenszeit würden, sondern Angestellte, ist damit allein kein Fortschritt erzielt. Denn nach einigen Jahren genießen sie einen ähnlichen Schutz wie Beamte.

Mehr Autonomie für die einzelne Schule, so lautet auch hier das Zauberwort. Die Schule soll sich ihre Lehrer auswählen. Sie darf die Stellen ausschreiben, bekommt die Bewerbungen und führt Auswahlgespräche. Aber schon hier beginnt die Überforderung; denn wie soll eine Schule mit der Flut von 400 Bewerbungen für eine freie Stelle fertig werden?

Die Bundesregierung will den Ländern mit einem Vier-Milliarden-Programm beim Aufbau von Ganztagsschulen helfen. Aber die Bedingungen dafür lehnt beispielsweise Bayern ab, weil daraus nur Schulbauten gefördert würden. Bayern möchte mehr Flexibilität für den Einsatz der Mittel. So sollen auch zusätzliche Programme für den Nachmittag finanziert werden können, forderte der bayerische Ministerialdirektor Josef Erhard. Die Bundesregierung solle den Ländern das Geld ohne weitere Bedingungen zur Verfügung stellen.

Uwe Schlicht

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