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Gesundheit: Weltoffene Multitalente auf der Baustelle

Die Auffahrt zur Fachhochschule hat den Charme einer Baustelleneinfahrt.Wäre da nicht das blaue Logo mit dem quergelegten Smiley auf den Resten einer Betonmauer, könnte man sie glatt übersehen.

Die Auffahrt zur Fachhochschule hat den Charme einer Baustelleneinfahrt.Wäre da nicht das blaue Logo mit dem quergelegten Smiley auf den Resten einer Betonmauer, könnte man sie glatt übersehen.Und tatsächlich befindet sich dieser Teil des Campus der Potsdamer Fachhochschule am nordwestlichsten Ende der Stadt inmitten einer Baustelle.Wo die einen an einem neuen Stadtviertel basteln, experimentieren die anderen in den ehemaligen Kasernen auf dem Bornstedter Feld mit einem bundesweit einzigartigen Studiengang.

Der Modellstudiengang Kulturarbeit geht in sein viertes Jahr, im nächsten Sommer werden die ersten Diplome verteilt.Was genau die "basics" sind, die der oder die angehende KulturarbeiterIn lernen muß, kann die Gründungsbeauftragte Helene Kleine nicht genau sagen."Das ist noch in der Erprobung, die Festlegung eines endgültigen Curriculums ist eine der Aufgaben der Modellphase.Auf jeden Fall soll er oder sie ein Multitalent sein.Die vier Kernbereiche des Studiums umfassen Kulturgeschichte, -politik und -theorie, Kulturmanagement und -verwaltung sowie Medientheorie und -praxis mit Schwerpunkt auf den "neuen Medien" Computer und Internet.Dazu kommt die konkrete Projektarbeit: Wie entwickle und inszeniere ich ein Kulturprojekt, wie kann ich es finanzieren und wie wird Werbung dafür gemacht?

Ein bißchen Betriebswirtschaftslehre, vor allem grundlegende Management- und Marketingkenntnisse, sollten Kulturarbeiter heutzutage schon haben, ist Helene Kleine überzeugt.In Zeiten leerer Staatskassen seien viele Kultureinrichtungen auf neue Finanzierungsmodelle angewiesen."Dadurch steigen die Anforderungen an die Beschäftigten in diesem Bereich", erklärt die Soziologie-Professorin.In diese Lücke sollen die Kulturarbeiter stoßen.Fundraising, Marketing, Sponsoring - das alles werden für sie bald keine Fremdworte mehr sein.

Der Sprung ins kalte Wasser der Praxis erfolgt bereits im Grundstudium.Die Studierenden belegen ein Projekt ihrer Wahl, das zwei bis drei Semester dauert.Melanie Polascheck hat mit anderen Studenten eine Ausstellung entworfen.Anlaß war der 60.Jahrestag der Reichspogromnacht.

"Die Ausstellung sollte zeigen, was damals in Potsdam los war", erläutert sie die Idee, "und zum Teil in Schaukästen auf der Straße präsentiert werden, um auch Leute anzusprechen, die nicht ins Museum gehen".Ein anderes Projekt hat Kontakt zum Klosterstift "Zum Heiligen Grabe" in der Nähe von Rheinsberg aufgenommen.In dem evangelischen Damenstift finden regelmäßig Orgelkonzerte und Führungen statt.Die Studierenden sollen Ideen entwickeln, wie die kulturellen Aktivitäten ausgebaut und das Stift mit anderen Einrichtungen der näheren Umgebung vernetzt werden kann.Zum Beispiel könnten dort Workshops mit bildenden Künstlern stattfinden - aber wie wäre das zu finanzieren?

Direkt nach dem Abschluß des Grundstudiums folgt ein Praxis-Semester.Hier können die künftigen Kulturarbeiter Kontakte zu möglichen Arbeitgebern knüpfen.Das Spektrum ist breit: vom Jugendzentrum in Potsdam über das Internationale Design Zentrum Berlin bis zum "Museum of Contemporary Arts" in Chicago oder einem Tanztheater in Sidney, Australien, ist alles möglich.Helene Kleine begrüßt die Weltoffenheit ihrer Studierenden: "Gerade von den USA oder Großbritannien können wir sehr viel lernen in bezug auf Kulturmanagement und private Kulturförderung." Melanie Pollaschek ist eher "durch Zufall" bei der Kulturarbeit gelandet, aber nach wie vor begeistert von der Breite und Vielfalt, die der Studiengang bietet - ihr gelernter Beruf der Fremdsprachenkorrespondentin war ihr nämlich zu einseitig.

Die bunte Mischung am Fachbereich gefällt ihr gut: der abgebrochene Jura-Student, die praktizierende Feuerschluckerin und der Fast-Theologe ergänzen sich ihrer Meinung nach prima: "So machen wir uns auch weniger Konkurrenz!"

Mit vier Professoren, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter und rund 100 Studierenden - davon zwei Drittel Frauen - ist das Fach recht klein.Um eine Spezialisierung zu ermöglichen, ist ein Nebenfach Pflicht: Architektur und Städtebau, Archiv-, Bibliotheks- und Bauingenieurwesen, Design oder Sozialwesen stehen zur Auswahl.

Im Februar 2000 läuft die Modellphase aus.Helene Kleine geht davon aus, daß Kulturarbeit danach als Regelangebot fortgeführt wird.Die Zugangsbedingungen werden jedoch ähnlich streng bleiben: Wer Kulturarbeit studieren will, muß sich schon vorher ein bißchen anstrengen.

Für die pro Jahr zur Verfügung stehenden 30 Studienplätze gibt es ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren.Die Bewertung eines Aufsatzes zu einem gegebenen Thema entscheidet darüber, ob man zum Gespräch eingeladen wird.Wer dann als "geeignet" angesehen wird, muß "nur" noch die Hürde des Numerus Clausus nehmen und praktische Erfahrungen im Kulturbereich nachweisen können - dem Studium auf der experimentierfreudigen Baustelle steht dann nichts mehr im Wege.

Formlose Bewerbungen können bis jeweils zum 1.April eines Jahres an die Fachchochschule Potsdam, Studiengang Kulturarbeit, Postfach 60 06 08, 14406 Potsdam gerichtet werden.

MARTINA KRETSCHMANN

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