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Gesundheit: Weltwissen der Vierjährigen

Wie bringt man Bildung in die deutschen Kindergärten? Einige Vorschläge für Reformen

Seit rund fünf Jahren wird bundesweit darüber geredet, dass Kindertageseinrichtungen eine Bildungsfunktion haben. Allerdings geschieht dies unter negativen Vorzeichen: Vor allem Wissenschaftler beklagen, dass Kleinkinder in Kindertagesstätten zu wenig „gebildet“ würden. Das Buch von Donata Elschenbroich (2001) über das, was Siebenjährige an Weltwissen haben sollten, wurde sogar zu einem Bestseller – und verdeutlichte der Öffentlichkeit, wie wenig davon Kinder im Kindergarten lernen. Seit der Veröffentlichung der Pisa-Studie fordern auch die meisten Politiker „mehr Bildung“ in Kindertageseinrichtungen.

Damit sind eine ganze Reihe „neuer“ Aufträge an Kindertagesstätten verbunden. Gewünscht werden unter anderem mehr Angebote in der mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Bildung, eine intensivere Sprachförderung, die Heranführung an eine Fremdsprache und an den Computer, mehr musikalische Früherziehung und die Förderung hochbegabter Kinder.

Mit der Betonung des Bildungsauftrags steigen die Anforderungen an Erzieher und Erzieherinnen. Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen – große Gruppen, schlechter Personalschlüssel, wenig Vorbereitungszeit – können sie den hohen gesellschaftlichen Erwartungen aber kaum gerecht werden. In den letzten Jahren mussten sie bereits zusätzliche Aufgaben übernehmen – angefangen mit der verstärkten Elternarbeit über die Aufnahme behinderter Kinder bis zum Qualitätsmanagement. Man bedenke: Erzieherinnen haben kaum Zeit, um „bildende Aktivitäten“ vorzubereiten. Lehrern steht hierfür der ganze Nachmittag zur Verfügung.

Die Verfügungszeit der Erzieherinnen ist dagegen immer mehr geschrumpft, auch weil viele Kindertageseinrichtungen ihre Öffnungszeiten verlängert haben, was in der Regel nur durch eine Verkürzung von Verfügungszeiten oder durch Schichtbetrieb erreicht werden konnte. Erzieherinnen müssen daher die Vorbereitung von Projekten und anderen Aktivitäten mit Kindern, Verwaltungsaufgaben, Teamsitzungen und Elterngespräche entweder in ihrer Freizeit erledigen, oder die Fachkraft muss die Gruppe ihrer Mitarbeiterin überlassen und sich in ihr Büro zurückziehen, um sich Gesprächen mit ausländischen Eltern oder der Koordinierung von Maßnahmen für behinderte oder sonstwie hilfsbedürftige Kinder zu widmen. Damit wird das Gegenteil des Angezielten erreicht: Anstatt Betreuung, Erziehung und Bildung von Kleinkindern zu verbessern, werden sie verschlechtert. Den Kindern wird die Erzieherin entzogen.

Wenn Bildung in Kitas intensiviert werden soll, dann heißt das, dass Erzieherinnen:

- Bildungserfahrungen für die Kinder ihrer Gruppe planen müssen, etwa anhand von Jahres-, Monats- und Wochenplänen;

- alle Bildungsbereiche wie naturwissenschaftliche, musische, wirtschaftliche, ästhetische, mathematische und kulturelle Bildung berücksichtigen sollten, mit Hilfe der derzeit in vielen Bundesländern entstehenden Bildungspläne;

- die Bedürfnisse und den Erziehungsbedarf jedes Kindes beachten müssen, was ein systematisches Beobachten und eine Dokumentation der Beobachtungen voraussetzt;

- anhand ihrer Beobachtungen für jedes Kind individuelle Erziehungsziele entwickeln sollten, erst recht für so genannte „Problemkinder“.

Stuhlkreis am Morgen

Eine solche Intensivierung von Bildung und Erziehung ließe sich am besten erreichen, wenn die Gruppengröße auf 15 Kinder und der Personalschlüssel auf anderthalb Stellen herabgesetzt werden würden. Dies bedeutet eine Erzieherin-Kind-Relation von 1 zu 10 – eine deutliche Verbesserung zur Personalsituation in den meisten deutschen Kindergärten. Bei 15 Kindern reicht die Anwesenheit einer Fachkraft in der Gruppe. Folgender Tagesablauf wäre dann denkbar: Am Vormittag ist die Erzieherin alleine in der Gruppe; Stuhlkreis/Kinderkonferenz, Freispiel und Bildungsangebote finden statt. Auch können die Gruppen geöffnet werden, so dass die Kinder zwischen mehreren Bildungsangeboten wählen können.

Am Nachmittag übernimmt die Zweitkraft die Gruppe; neben Freispiel werden auch einfachere Bildungsangebote gemacht. Die Erzieherin ist in der Kindertageseinrichtung anwesend, um sich auf den nächsten Tag vorzubereiten, Wochenpläne zu erstellen, Elterngespräche zu führen, einzelne Kinder systematisch zu beobachten und Einzelmaßnahmen für verhaltensauffällige oder behinderte Kinder abzustimmen. Sie sollte auch zusammen mit der Zweitkraft Exkursionen in die Nachbarschaft leiten.

Die Bedingungen im Elementarbereich – und dazu gehört auch: die Ausbildung der Erzieherinnen – zu verbessern, kostet Geld. Da Bund, Länder und Gemeinden wohl kaum die Bildungsausgaben steigern werden, müsste der Sekundarbereich die Kosten dafür erbringen: In Deutschland wird unverhältnismäßig viel Geld für den Sekundarbereich ausgegeben. Vergessen wir nicht: Die frühe Kindheit ist gekennzeichnet durch eine besonders große Bildsamkeit – und das heißt auch: Umerziehbarkeit – des Kindes. In keiner anderen Lebensphase kann Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen oder Sprachstörungen so leicht entgegengewirkt werden.

Der Autor ist Wissenschaftler am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München und Mitherausgeber des Online-Familienhandbuchs (www.familienhandbuch.de)

Martin R. Textor

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