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Gesundheit: Wem die „Abwasch-Uhr“ schlägt

Irgendwie funktioniert es mit dem Geschirrspülen – meistens. Wie in einer Familie eben

Weg von den Eltern, rein in die Gruppe. Die 68er wollten die Revolutionierung des Alltags, das Ende aller Hierarchien. Vorbild vieler WGs war die Berliner Kommune 1. Und heute? In dieser Rubrik sehen wir nach, wie die jetzige Studentengeneration mit dem anti-autoritären Modell von einst umgeht.

Vor der Tür parkt ein Dutzend Umzugswagen, ein Generator brummt, viele wichtige Menschen laufen herum. Gleich links um die Ecke wird für „Herr Lehmann“ gedreht. Rechts liegt die Oranienstraße, die hier nur kurz die „O“ heißt. Mehr Kreuzberg ist nirgends. Und geradeaus steht die Tür offen, symbolisch wie in echt. Auf dem Flur streunt eine kräftige Katze herum, die Mitch genannt wird, aber eigentlich Mickey heißt. Mitch gehört Florian, der aber ist gerade in Indonesien. Seinen Kumpel hat er hier gelassen, jetzt kümmern sich Carina, Sibyl, Timo, Isa, Gunnar, Mea und ein zweiter Florian um ihn. Plus die zahlreichen Besucher und Kurzzeitunteruntermieter, die ein- und ausgehen. Elf waren es allein zur Loveparade, davor 300 bei der Einweihungsparty. Die siebeneinhalb Dauersesshaften teilen sich 180 Quadratmeter Hochparterre, Kühlschrank und den Fernseher mit drei Programmen.

Carina und Timo haben die WG vor einem Jahr gegründet. Die anderen kamen später, auf immer und ewig, auf Zeit, per Internet und Anzeige. Mea hält es seit zwei Monaten mit Freund Gunnar im kleinsten der sechs Zimmer aus und sucht allsonntäglich eine eigene Wohnung. Gunnar ist seit März da. Florian wohnt nacheinander in den Zimmern von Lisa, Isa und Flo. Jetzt beschnuppern sie sich erstmal, denn die Neuen und die Alten kennen sich erst seit ein paar Tagen. Seitdem ist Gunnar aus Australien zurück, Carina aus Indonesien und Sibyl aus England. Die WG-Zusammenstellung sei eher Zufall, erzählt Carina, „trotzdem passt es klasse“. Sibyl, die nur Sib heißen will, kommt aus London, hat Architektur studiert und möchte ein Praktikum machen. Gunnar aus Kiel fängt jetzt mit Architektur an. Carina und Mea studieren Soziologie, Florian Produktdesign. Timo macht Abitur. Alle sind zwischen 21 und 26 Jahren alt. Eine Generation, sieben Stile.

Das Zimmer von Lisa, wo jetzt Florian zur „Untermiete“ wohnt, ist ganz in weiß getaucht, von der Decke bis zum Fußboden. Einzige Ausnahme: Die E-Gitarre, die in der Ecke steht. Nebenan bei Isa stapeln sich die Mitbringsel aus aller Welt von Vorgänger Florian, an den Wänden hängen ein paar halbe Bäume, als Regale. Auch die Nichtanwesenden sind irgendwie präsent. Sibyls Zimmer hat einen blauen Boden, Carina hat ihren weiß gestrichen und eine schwarze Spirale draufgemalt. Eine Wäscheleine mit Wäsche zieht sich von Wand zu Wand. Bei Timo liegt Sisalteppich. Die Löcher in den Wänden haben die WG-Gründer in einem mehrwöchigen Arbeitseinsatz gestopft und überstrichen, die Räume bewohnbar gemacht. Dafür gab es dann sechs Monate mietfrei. Möbel machen sich dünne, Matratzen breit. Ikea? Bloß nicht, findet Gunnar, „das sieht alles gleich aus und hat ja jeder“. Das meiste ist also zweit-, dritt- oder vierthändig gekauft, gebraucht und generationengezeichnet: die Ledersessel, Plastikstühle, Kitschbilder, Goldrandspiegel. Der Rest ist zusammengetragen wie die Poster, Fotos, Sprüche und Postkarten an den Wänden. Oder selbstgebastelt. Oder zweckentfremdet.

Für die Ausstattung von Küche und Bad sind alle verantwortlich und so toben sich die unterschiedlichen Geschmäcker der Sieben auf knapp zehn Quadratmetern knallrotem Boden aus. Jeder hängt auf, was ihm gefällt, und der andere nimmt es vielleicht wieder ab. Das gemeinsame Wohnen fördert eine gewisse Beharrlichkeit und Ausdauer.

Auf dem gemeinsamen Küchenregal stapelt sich asiatische Sauce neben Katzenfutter und ganz vorn steht eine XXL-Packung Hustentabletten. Ansonsten kauft jeder für sich, in der Not wird geteilt. Streitereien drehen sich daher vorwiegend um Fragen wie: Wer hat das Schokomüsli aufgefuttert? Warum sind die Teller nicht sauber? Wieso hat eigentlich keiner Klopapier gekauft?

Putzen nach Plan haben sie schon aufgegeben, aber die Zusammenkunft von Seife, Wasser und dreckigem Geschirr ist geregelt: Über dem Waschbecken hängt die „Abwasch-Uhr“. Ein Pfeil zeigt auf das Bild vom jeweiligen Spülkandidaten, danach wird die „Uhr“ weitergestellt. Funktioniert das? Irgendwie wohl schon. Im Moment stapelt sich allerdings das Geschirr, drüber baumeln Pfannen und Töpfe an der Wäscheleine. „Früher haben wir einmal monatlich WG-Abende gemacht, jeder hat eine Flasche Rotwein gekauft und dann wurde gekocht und gequatscht.“ Carina findet, das sollten sie mal wieder einführen. „Wir sind ja keine Zweck-WG, eher so ein bisschen Familie.“

Sie sitzt in der Küche, kippelt und schmiert sich einen Toast. Zwei müde Gäste, die über Nacht geblieben sind, kauern wortlos in einer Ecke. „Die blöde Katze hat auf den Flur gekotzt“, flucht eine körperlose Stimme. Der solcherart erleichterte Mitch kommt unschuldig blickend in die Küche getapst. Unschlüssig verharrt er erst vor dem einen, dann vor dem anderen Kühlschrank.

Denn bei der Nahrungsmittel-Kalthaltung herrscht Geschlechtertrennung: Einer ist für die Mädels, der andere für die Jungs. „Dämlich und herrlich“, Mea und Carina lachen. „Bei uns ist aber viel Leckeres und Gemüse drin, bei den Jungs mehr Bier und Fleisch.“ Mitch, ein Weibchen mit maskulinem Namen, weiß das anscheinend auch. Und kratzt am Männerkühlschrank.

Juliane von Mittelstaedt

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