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Gesundheit: Wenn Nachtigallen singen

Die Vögel haben ein erstaunliches Gedächtnis, sie können sich 200 Strophen merken. Forscher suchen nach Parallelen zur menschlichen Sprache

Kleine Kinder lernen sprechen, indem sie zuhören, sich das Gesprochene merken und üben. So können sie die gespeicherten Informationen in Laute umsetzen. „Wenn Vögel singen lernen, spielen sich ganz ähnliche Vorgänge wie im menschlichen Gehirn ab“, erklärte Constance Scharff, Verhaltensbiologin an der Freien Universität Berlin, jetzt auf einer internationalen Vogelgesangs-Konferenz in Berlin. Umso interessanter ist es, die Gesänge der Vögel zu erforschen und Parallelen zur menschlichen Sprache zu suchen.

Die Biologen interessieren sich vor allem für den Gesang der Nachtigall. Diese Vogelart verfügt über ein besonders gutes Gedächtnis. Nachtigallen können sich mehr als 200 verschiedene Strophen merken, die sie höchst effizient verwalten. Ihr Gedächtnis erlaubt es ihnen, innerhalb einer halben Sekunde präzise auf den Gesang eines anderen Vogels zu antworten. Solche Leistungen haben die Nachtigallen zu wichtigen biologischen Modellen der Lern- und Gedächtnisforschung werden lassen.

Beim seriellen Lernen beispielsweise, das Menschen beim Auswendiglernen einer Telefonnummer anwenden, spielt das Kurzzeitgedächtnis eine wichtige Rolle. Es steuert die ersten Schritte des Merkvermögens, hat allerdings nur begrenzte Kapazität. Daher müssen wir Menschen unsere Lernmengen strukturieren, etwa indem wir die Ziffern einer Telefonnummer gruppieren. Die Nachtigallen lösen dieses Problem ähnlich. Ihnen dienen die einzelnen Strophen als Lerneinheit. Zunächst werden drei bis sieben Strophen im Kurzzeitgedächtnis zwischengespeichert. Dann wird das Gehörte schnell und „paketweise“ ans Dauergedächtnis weitergeleitet. Das Kurzzeitgedächtnis steht sodann gleich wieder für die Aufnahme eines neuen „Pakets“ zur Verfügung.

In Deutschland leben rund 9000 Nachtigallenpaare, von denen etwa ein Sechstel den Sommer in den Grünanlagen Berlins verbringt. Da es keine andere Großstadt gebe, in der so viele Nachtigallen leben, so sagt Dietmar Todt, Verhaltensbiologe der FU, „nennen wir Berlin auch die Hauptstadt der Nachtigallen“.

Doch der Großstadtlärm störe die Vögel, meinen die Wissenschaftler. Die Tiere wären zwar in der Lage, lauter zu singen oder zu höheren Tönen auszuweichen, um trotz des Lärms hörbar zu sein. Ab einem bestimmten Lärmpegel wird jedoch der Lebensraum der Tiere stark eingeschränkt, da lebenswichtige Nachrichtenübertragung nicht mehr möglich ist. Die Vögel nutzen ihren Gesang einerseits, um ihr Territorium zu verteidigen, und andererseits, um Partner anzulocken.

Die Forscher haben nun herausgefunden, dass die Zahl der Strophen, die die Vögel gelernt haben, wichtig ist. Denn je mehr Strophen die Männchen singen können, desto beliebter werden sie bei den Weibchen. „Ein großes Strophenrepertoire weist daraufhin, dass die Männchen in der Lage sind, sich – und also auch mögliche Nachkommen – gut zu ernähren“, erklärt Henrik Brumm, Biologe an der schottischen St. Andrews Universität.

Der Aufbau eines großen Sprachrepertoires kostet aber viel Energie. FU-Forscher stellten fest, dass die Körpergröße der Nachtigallen, und vor allem deren Ernährung, mit der Anzahl der Strophen, die die Vögel beherrschen, zusammenhängt. Wie die Ernährung in den ersten Lebensmonaten der Vögel die Struktur des Gehirns beeinflusst, soll nun genauer untersucht werden.

Obwohl nur männliche Nachtigallen singen, ist das Lernen von Strophen aber auch für die Weibchen wichtig. Weibchen, die viele Strophen erkennen könnten, seien deutlich wählerischer bei der Partnerwahl, sagt Mark Naguib von der Universität Bielefeld.

Maxie Eckert

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