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Gesundheit: Wenn plötzlich alles anders ist

Eine Krebsdiagnose ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen eine schwere Belastung. Konflikte können die Folge sein Es gibt aber eine Vielzahl an Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Familienmitglieder – auch in Berlin und Brandenburg.

Am liebsten hätte Franziska Gramenz ihre Mutter gepackt und über der Schulter hinausgetragen, ganz schnell weg aus dem Krankenhaus. „Da kommt dieses Gift angefahren und man weiß, das tun die jetzt in die Mama rein“, sagt sie. Gleichzeitig aber war der Gang zur Chemotherapie der Mutter auch hilfreich. „Ich hatte einen dunklen, abgetrennten Teil des Krankenhauses erwartet, wo alle total traurig sind, weil sie so krank sind“, sagt die Tochter. Dabei war die Stimmung beinahe heiter, „Mama hat geschnattert mit den anderen Patienten.“

Franziska war 19 Jahre alt, als ihre Mutter Sabine vor zwei Jahren die Diagnose Brustkrebs bekam. Ihr Abitur stand kurz bevor. Dennoch informierte die Mutter sie von Anfang an über die Entwicklungen – schon als sie den Knoten in ihrer Brust ertastete, wusste die Tochter Bescheid. Als die Diagnose dann da war, ging Sabine Gramenz nie allein zur Chemotherapie, immer mit Mann oder Tochter.

Sabine Gramenz wird noch mit Hormonen therapiert, aber die schlimmste Zeit ist ausgestanden. Für sie hat sich bestätigt, „dass ich mich unwahrscheinlich auf meine Familie verlassen kann“. Mit Mann und Schwiegereltern lebt sie auf einem Hof bei Bad Belzig, Tochter Franziska ist zum Jurastudium nach Berlin gezogen.

Eine Krebsdiagnose ist für Familien eine schwere Belastungsprobe. Uta Büchner, Vorsitzende des Landesverbands der Frauenselbsthilfe nach Krebs Berlin Brandenburg e. V., weiß das aus eigener Erfahrung, nachdem sie vor 17 Jahren an Brustkrebs erkrankte. „Man geht als gesunder Mensch zum Arzt, bekommt die Diagnose und danach kommt man todsterbenskrank nach Hause zurück.“

Nach dem Schock folgt meist die schwere Zeit der Therapie. Angehörige investieren oft ihre ganze Kraft, weil sie das Gefühl haben, alles für den Patienten tun zu müssen. Die Kommunikation ist oft erschwert, da Angehörige die Erkrankten nicht mit den eigenen Ängsten belasten wollen. Umgekehrt fühlen sich die Patienten verantwortlich für das Leid ihrer Familien. Das kann Konflikte hervorrufen und auch bei Familienmitgliedern zu schweren Überlastungserscheinungen führen: Grübeleien, Sorgen, Burn-out, Angststörungen, Depressionen.

Franziska Gramenz wusste, dass ihre Mutter während der Chemotherapie auf keinen Fall krank werden durfte. „Überall hatte ich Desinfektionsmittel stehen“, erinnert sich die heute 21-Jährige. In der Schule setzte sie sich in die letzte Reihe, um keine Keime einzufangen. Keinem ihrer Freunde und Klassenkameraden erzählte sie von der Krebserkrankung der Mutter. „Ich habe erklärt, ich will nicht krank werden, wegen des Abiturs.“ Sie hatte nicht das Bedürfnis, sich auszusprechen – das konnte sie in der Familie tun.

Jede Familie geht anders mit der Krebserkrankung eines Angehörigen um. Ute Goerling ist Leiterin der Psychoonkologischen Beratung im Charité Comprehensive Cancer Center. Sie empfiehlt, möglichst offen miteinander zu reden. Oft bewältigen Menschen Belastungssituationen unterschiedlich. „Ziel ist, Patienten und Angehörige zusammenzuführen“, sagt Goerling. Sonst komme es zu unausgesprochenen Spannungen, etwa wenn der Partner dem oder der Erkrankten unter großer Anstrengung alle Aufgaben des Alltags abnimmt, der Patient aber gerne etwas zu tun hätte. „Oft haben Angehörige das Gefühl, sie müssten alle Fäden in die Hand nehmen, um die Kontrolle zurückzuerlangen", erklärt Goerling. Auch Uta Büchner von der Frauenselbsthilfe kennt die Problematik. „Es ist gut für den Betroffenen, wenn er gebraucht wird“, sagt sie. Bei der Frauenselbsthilfe können auch Angehörige regelmäßig an Treffen teilnehmen.

Psychoonkologin Ute Goerling empfiehltFamilienmitgliedern, psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen, wenn Konflikte spürbar werden. Oft bietet das örtliche Krankenhaus so etwas an. Unterstützung erhalten Angehörige auch bei der Berliner Krebsgesellschaft. Neben Kursen und Gruppen, an denen auch Familienmitglieder teilnehmen können, trifft sich dort auch eine reine Angehörigengruppe. Außerdem beraten Mediziner, Psychoonkologen und Sozialpädagogen die Familien kostenfrei. Familien mit kleinen Kindern erhalten Unterstützung, die Erkrankung möglichst kindgerecht zu erklären, Kinder ab vier Jahren können zudem eine Einzelberatung besuchen.

Bei Familie Gramenz hat die Kommunikation gut geklappt. „Es hat geholfen, dass Mama immer gleich gesagt hat, was sie will und was sie nicht will“, sagt Franziska. Vieles hat die Tochter auch aus eigenem Antrieb getan. Die Wochenenden hat sie meist zu Hause verbracht. Den Freunden sagte sie, sie habe kein Geld oder müsse lernen, der Mutter sagte sie, es sei nichts los. Dann hat sie meist Tee gekocht und sich zur Mutter gesetzt.

Auf die richtige Dosis aus Offenheit, Unterstützung und Inanspruchnahme kommt es bei einer Krebserkrankung an. Es ist keine Schande, das passende Maß nicht gleich zu Anfang zu finden. Professionelle Hilfe kann sehr lohnenswert sein. Und schließlich, sagt Psychoonkologin Goerling, sei „familiäre Unterstützung die beste Unterstützung, die ein Patient haben kann.“

Frauenselbsthilfe nach Krebs, www.frauenselbsthilfe.de; Berliner Krebsgesellschaft, Tel. 283 24 00; www.berliner-krebsgesellschaft.de

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