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Gesundheit: Wenn Wissenschaftlern die Stunde schlägt

Allgegenwärtig und unfassbar: Die Akademien der Wissenschaften diskutierten in Berlin über den Zeitfaktor in der Forschung

In unserer Just-in-time-Gesellschaft, in der jeder über obligatorische Zeitnot klagt, kommt offensichtlich auch ein Wissenschaftler nicht mehr ohne gutes Zeitmanagement aus. Aber gerade der Faktor Zeit wird in den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen nach Art von Einsatz und erwartetem Ergebnis sehr unterschiedlich bewertet. Diese Unterschiedlichkeit sollte stärker als bisher in der Wissenschaftsförderung und –politik berücksichtigt werden, forderte der Berlin-Brandenburgische Akademiepräsident Dieter Simon jetzt beim 7. Symposium der Akademien der Wissenschaften. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften war in diesem Jahr Gastgeber des seit 1995 von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften jährlich ausgerichteten Treffens.

Während Historiker mitunter nach zehn Jahren das Erscheinen einer Publikation feiern, kann die Forschung eines Ingenieurs gescheitert sein, liegt nicht innerhalb von Jahresfrist ein Ergebnis vor. Aber auch geisteswissenschaftliche Langzeitvorhaben, an denen mehrere Generationen arbeiten, können von der Zeit überrollt werden, wie Simon an einem Beispiel zeigte. Theodor Mommsen (1817-1903), ständiger Sekretär der Königlichen Akademie der Wissenschaften, hatte die Ausarbeitung eines Vokabulariums des römischen Rechts ins Leben gerufen. Als das Akademieprojekt schließlich nach 100 Jahren – unter anderem durch zwei Weltkriege und die Teilung Deutschlands verzögert – seinen planmäßigen Abschluss fand, waren die Bedürfnisse der Wissenschaft verändert. Das römische Recht, das noch im 19. Jahrhundert in Deutschland dominierte, war durch das Deutsche Gesetzbuch abgelöst und Geschichte worden.

Leben, Werden und Vergehen

Für den Philosophen Jürgen Mittelstraß ist Zeit „allgegenwärtig, unfassbar, rätselhaft und in der Erfahrung mal langsam und mal schnell, sozusagen die Tür zwischen Mythos und Rationalität“. Mit Zeit verbinde sich der Begriff des Lebens, des Werdens und Vergehens. In der Biologie gilt Zeit als „das wissenschaftskonstituierende Moment, da die Evolutionstheorie die für die Biologen grundlegende Theorie ist“, sagte Eva-Maria Engelen (Konstanz). Dennoch orientiere sich die Biologie nach wie vor an der Theoriebildung der Physik, in der die Gesetze universal und damit zeitlos verstanden werden.

In künstlichen Zeiteinteilungen der Geschichte sah der Historiker Kurt Flasch (Mainz) eine Behinderung der wissenschaftlichen Forschung. Bei aller Notwendigkeit eines Bewusstseins von Zeitzäsuren, Umbrüchen und schweren Einschnitten, die eine Zeit davor und eine Zeit danach zulassen, führe die Festlegung von „Epochen“ zu eine Stigmatisierung. Dadurch werde dem jeweiligen Zeitabschnitt gleichsam ein Stempel aufgedrückt, wie es seinem Forschungsgegenstand Mittelalter widerfahren sei. Ein Verzicht auf dieses „Epochenbewusstsein“ könne zur Erkenntnis bisher unbeachteter Zusammenhänge führen. Es käme zwar dem Verlust einer Orientierung im Umgang mit der Geschichte gleich, aber das Wissen würde sich möglicherweise durch die unbelastete Auswertung von Texten ändern.

Unkalkulierbare Geniestreiche

Ein effektiver Umgang mit der Zeit gilt auch in der Wissenschaft als Voraussetzung für Erfolg. Besonders da Zeit als eine „limitierte Ressource“ sowohl des Arbeitstages als auch der Lebenszeit begriffen werden müsse, wie es Entwicklungspsychologin Alexandra Freund vom Max-Planck-Institut ausdrückte. Oft verhinderten Alltagsaktivitäten eine effiziente Zeiteinteilung. Gute wissenschaftliche Arbeit setze voraus, dass man sich auf das Forschungsthema konzentrieren könne und nicht durch Fragen der Verwaltung oder der Fördermittelbeschaffung abgelenkt sei. Denn gerade die zündende Idee, der „wissenschaftliche Geniestreich“, sei zeitlich nicht kalkulierbar.

Cornelia Höhling

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