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Gesundheit: Wer die Charité im Griff hat

Rot-rote Koalition entmachtet Berlins Unipräsidenten – und bietet Kompromisse an

Die Proteste der Berliner Unipräsidenten scheinen wirkungslos zu verhallen: SPD und PDS sind fest entschlossen, sie aus dem Aufsichtsrat der Charité auszuschließen. Das geht aus dem neuen Entwurf des Berliner Senats für das Universitätsmedizingesetz hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt. Eigentlich sollte gestern der Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses abschließend beraten. Terminüberschneidungen mit dem SPD-Parteitag und anderen Gremiensitzungen haben das aber verhindert; die Sitzung wurde kurzfristig auf den 23. November verschoben.

Die Charité bleibt eine Gliedkörperschaft der Freien Universität und der Humboldt-Universität – trotz der Entmachtung ihrer Präsidenten. Diese Rechtskonstruktion hat Folgen: Die von Unis und Charité-Vorstand beklagte doppelte Fachaufsicht durch den Aufsichtsrat und den Wissenschaftssenator besteht weiter. Fachaufsicht bedeutet, dass Aufsichtsrat und Wissenschaftssenator jederzeit die Zweckmäßigkeit von finanzwirksamen Entscheidungen in der Krankenversorgung eigenständig überprüfen dürfen. Dazu gehören der Gesamtwirtschaftsplan, der Struktur- und Entwicklungsplan der Charité, die Aufnahme von Betriebsmittelkrediten, die Übernahme von Bürgschaften, die Entscheidung über die Veräußerung von Grundstücken und die Entscheidung über die „Rahmenkonzeption“ für die Gestaltung von außertariflichen Arbeitsverträgen.

Nur wenn die Charité Anstalt öffentlichen Rechts werden würde, wäre die doppelte Fachaufsicht zu vermeiden. Diese Rechtsform wird von den meisten Universitätsklinika in Deutschland gewählt, weil sie auch eine Privatisierung der Krankenversorgung ermöglicht. Zum jetzigen Zeitpunkt lehnt das der Gesetzgeber in Berlin ab. Bert Flemming, Hochschul- und Medizinexperte der SPD-Fraktion macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Rechtsform einer Anstalt lieber wäre, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.

Die Neufassung des Gesetzentwurfs stellt klar, dass das Land Berlin unbeschränkt für Verbindlichkeiten der Charité haftet. Auf das Vermögen der beiden Universitäten soll nicht zurückgegriffen werden. Angesichts eines Finanzierungsrisikos der Charité in Höhe von 266 Millionen Euro, ist diese Klarstellung für die Universitäten wichtig.

Die beiden Universitätspräsidenten werden aus dem Aufsichtsrat verdrängt, weil sie zu stark die lokalen Interessen von FU und HU vertreten hätten, heißt es. Das habe nach der Fusion zu erheblichen Spannungen geführt. Die Präsidenten sehen dagegen ihre Rolle im Aufsichtsrat als unentbehrlich an – um die Verbindung der Medizin zu den Naturwissenschaften sowie den Sozial- und Geisteswissenschaften zu halten. Sie fürchten, dass die Charité ohne ihre Mitwirkung zu einer selbstständigen medizinischen Hochschule werden könnte.

Diese Bedenken versuche der Gesetzgeber auf anderer Ebene zu entkräften, erklärt Flemming. Der Vorstand soll ein Konzept für die Charité als Innovationsstandort für die Lebenswissenschaften erarbeiten. Lebenswissenschaften basieren auf einer Kooperation der Medizin mit Natur- und Geisteswissenschaften – ein Konzept, das der neue HU-Präsident Christoph Markschies in den Mittelpunkt seiner Amtszeit stellen will.

Gleichzeitig werden die Kompetenzen des Medizinsenats als Beratungsgremium erweitert. Bislang ist der Medizinsenat unter Vorsitz der Präsidenten für die Einrichtung von Studiengängen und für Stellungnahmen zu Berufungsvorschlägen zuständig. Außerdem kann er Vorschläge zur interdisziplinären Zusammenarbeit der Medizin mit anderen Fakultäten unterbreiten. Als neue Kompetenz soll jetzt das Recht zur Stellungnahme zur strategischen Rahmenplanung und dem Gesamtkonzept der Charité hinzukommen. Im Aufsichtsrat konnten die Präsidenten dagegen mitbestimmen, wenn es um finanzwirksame Entscheidungen ging.

Reagiert hat die Senats-Koalition auf Kritik an der Vielzahl der Gremien in der Charité. Sie wird in einem Bereich verringert: Das neue Gesetz verfolgt zwar den Hauptzweck, den 17 neuen Zentren eine Rechtsgrundlage zu geben. Aber die Zentrumsleitungen bekommen keinen „Organcharakter“. Das heißt, sie können keine rechtsverbindlichen Entscheidungen für die gesamte Charité treffen.

Uwe Schlicht

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