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Gesundheit: Wer sich berufen fühlt

Tausende Privatdozenten warten auf eine Professur. Einer von ihnen ist der Romanist Kian–Harald Karimi

„Entweder man ist Professor oder man ist nichts. Die Alternative ist Hartz IV.“ Professor – Hände zum Himmel, Hartz IV – Handflächen nach unten: Kian-Harald Karimi gestikuliert heftig, als er in seiner Berliner Wohnung über seine Zukunftsängste spricht. Den 49-jährigen Romanisten, der aus einer deutsch-persischen Familie stammt, treibt die Gefahr um, dass seine über viele Jahre ehrgeizig verfolgte Hochschulkarriere scheitern könnte. Karimi hat sich vor fünf Jahren habilitiert, bewarb sich seitdem um etliche Professuren, hat viermal vor einer Berufungskommission „vorgesungen“ – und landete bislang noch nie auf dem sicheren ersten Listenplatz.

Karimi erlebt ein typisch deutsches Akademikerschicksal: Mit ihm suchen tausende Privatdozenten einen Job an der Universität. Ihre Situation sei so schlecht wie nie zuvor, sagt der Vorsitzende des Philosophischen Fakultätentages, Reinhold R. Grimm: „Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wo es keine Laborarbeitsplätze gibt, sind Professuren nahezu die einzigen Stellen, auf die sich Privatdozenten bewerben können.“

Hinzu kommt die Zwölf-Jahres-Regelung für wissenschaftliche Mitarbeiter: Bis 2002 konnten sich Wissenschaftler von Stelle zu Stelle hangeln – in vielen Fällen bis zur Rente. Um dem Nachwuchs mehr Chancen zu geben, regelte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn 2002 mit dem Hochschulrahmengesetz, dass Wissenschaftler nach dem Ende der zwölfjährigen Qualifizierungsphase (bei Medizinern 15 Jahre) im Grundsatz nur noch einmal für zwei Jahre befristet weiterbeschäftigt werden können. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juni dieses Jahres erklärte die fünfte HRG-Novelle für nichtig – und damit auch die Befristung. Bulmahn hat jetzt allerdings einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, nach dem die Fristen weiter gelten sollen. Auf einen eigenen Wissenschaftstarifvertrag, nach dem Mitarbeiter so lange bleiben könnten, wie ihre Stelle mit Drittmitteln finanziert ist, konnten sich Bund, Länder und Gewerkschaften bislang nicht einigen. Der Berliner Romanist Karimi gehört zu der Generation von Nachwuchswissenschaftlern, die sich durch die Hochschulreformen „verschrottet“ fühlen.

Dabei ist der Berliner Privatdozent in einer vergleichsweise glücklichen Lage: Er hatte vor der Habilitation sechs Jahre lang eine Assistentenstelle an der Uni Leipzig, danach kamen ein Lehrauftrag und die zweijährige Vertretung einer C-4-Professur in Leipzig. Seit dem Wintersemester 2002/03 vertritt Karimi eine Romanistik-Professur an der Universität Bonn. Das weite Themenfeld, das sich Karimi in den Jahren an den Universitäten in Bonn, Berlin und Leipzig erarbeitet hat, beschreiben seine beiden großen Bücher: Die Dissertation über das portugiesische Gegenwartsdrama unter der politischen Zensur (1960 bis 1974) und die Habilitationsschrift über das Bild Gottes in den Erzählungen des spanischen Realismus im 19.Jahrhundert. Mehrsprachig und kulturwissenschaftlich orientiert – Eigenschaften, auf die Berufungskommissionen Wert legen –, ist Karimi zweifellos. Aber die Zeit wird knapp. Das Höchstalter für Erstberufungen liegt bei 52 Jahren.

Viele Privatdozenten halten sich mit Brotjobs über Wasser, nehmen unbezahlte Lehraufträge an, um ihre Lehrbefugnis zu erhalten – und leben zeitweise von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe. Den 294 Romanistik-Professuren (Stand 2001) stehen gut 50 Privatdozenten auf Stellensuche gegenüber, schätzt der Deutsche Romanistenverband.

Der fast 50-jährige Nachwuchswissenschaftler Kian-Harald Karimi ist kein Einzelfall. Die meisten Geisteswissenschaftler hätten „mit der Habilitation ihre Lebensmitte erreicht“, sagt der Konstanzer Philosoph und Wissenschaftsmanager Jürgen Mittelstraß. Und damit stünden sehr viele Privatdozenten schon „am Ende eines beruflichen Weges, ohne diesen jemals wirklich beschritten zu haben“. Das durchschnittliche Habilitationsalter in Deutschland liegt bei 42 Jahren, Karimi war 44 als er habilitiert wurde.

Bundesbildungsministerin Bulmahn hat daraus radikale Konsequenzen gezogen: Mit der fünften Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) führte sie die Juniorprofessur ein und wollte die Habilitation bis 2010 faktisch abschaffen. Das ist ihr nicht gelungen: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bund verboten, den Ländern die Juniorprofessur als alleinigen Qualifikationsweg vorzuschreiben. Aber derzeit arbeiten Bund und Länder daran, die Nachwuchsstellen zu retten.

Die Juniorprofessoren fürchtet der klassisch habilitierte Karimi nicht nur als Konkurrenten um einen Lehrstuhl. Schon für die Einrichtung der Stellen wurden an zahlreichen Universitäten C-2-Stellen für Oberassistenten und Akademische Räte gestrichen; Stellen, auf die sich der Romanist gerne bewerben würde: „Es ist ja klar, dass nicht jeder Professor werden kann, aber es muss doch alternative Dauerstellen geben – auch im Interesse der Studenten.“ Es sei ein großer Fehler der Universitäten, den Mittelbau zusammenzustreichen. Denn gerade die neuen Bachelor-Studiengänge seien doch besonders betreuungsintensiv. Reinhold R. Grimm schlägt vor, Stellen für Universitätslektoren zu schaffen: Dozenturen auf Zeit, die auch für Juniorprofessoren, die nicht gleich auf Dauerstellen berufen werden, eine Zwischenstation schaffen.

„Mir macht die Arbeit mit den Studenten wirklich Freude“, sagt Karimi. Zu unterrichten, zu forschen und zu publizieren, sei sein Leben, sagt Karimi. Der Romanist kann sich kaum vorstellen, etwas anderes zu machen. Dabei hat er während seiner Promotionszeit Buchhandelsvolontariate absolviert und in Sprach- und Computerschulen gearbeitet. Er wollte „nicht in ein Loch fallen“, falls es mit der Unikarriere nicht klappt. Mit 38 Jahren verteidigte Karimi seine Dissertation, bekam die Assistentenstelle in Leipzig – und setzte weiter auf die akademische Laufbahn. Ihm und tausenden anderen Privatdozenten nach dieser langen Ausbildungszeit, ihren Leistungen in Forschung und Lehre nicht die Chance auf eine Zukunft an der Universität zu geben, hält der Wissenschaftler für eine „idiotische Ressourcenverschwendung“. Es könne doch dem Staat, der so viel in den wissenschaftlichen Nachwuchs investiert habe, nicht egal sein, was aus ihm werde.

Dazu kommt: Immer mehr Professuren werden angesichts der Sparzwänge an den Hochschulen gestrichen. Zwar gibt es auch in der Romanistik bis 2006 eine Emeritierungswelle, aber der erhoffte Generationswechsel findet nur bedingt statt – viele frei werdende Stellen werden nicht wiederbesetzt. Teilweise müssen ganze Institute schließen, wie jetzt in Hannover und Chemnitz; bedroht sind Bielefeld und Aachen.

Vielleicht gibt es einfach zu viele Privatdozenten? Auf eine ausgeschriebene Romanistik-Professur bewerben sich bis zu 80 Habilitierte, sagt Reinhold R. Grimm, der selber die Romanistik an der Uni Jena leitet. Mindestens die Hälfte von ihnen sei so gut, „dass man sie berufen könnte“.

Karimi ist zweifellos ein leidenschaftlicher Romanist. Das zeigt seine lange Publikationsliste, aber auch seine Wohnung in Berlin-Mitte: Romanische Literatur in endlosen Regalreihen, stapelweise aktuelle Publikationen auf dem Schreibtisch. Karimi ist auch ein guter Redner. Sein Habilitationsthema, „Der Gottessignifikant in spanischen Erzähl- und Diskurswelten“, kann er so schlüssig erklären, dass sich der Verdacht, es könnte vielleicht ein wenig abseitig sein, sofort verflüchtigt. Und so hofft Karimi wie so viele Privatdozenten, eines nicht allzu fernen Tages doch noch eine Berufungskommission von sich überzeugen zu können.

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