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Gesundheit: Wie Babylon nach Berlin kam

Im Auftrag des Kaisers: Dem Archäologen Robert Koldewey zum 150. Geburtstag

Seit dem Mittelalter zerbrach man sich in Europa die Köpfe darüber, wie der im Alten Testament nur vage beschriebene „Turm von Babel“ ausgesehen haben könnte, ja, ob es ihn überhaupt gegeben hat. Als der deutsche Archäologe Robert Koldewey 1918, in der Hochzeit des Expressionismus und ein Jahr, nachdem er aus Babylon zurückgekehrt war, seine Rekonstruktion vorstellte, sorgte er nicht nur in der Fachwelt für Aufsehen.

Koldeweys Vorschlag erwies sich zwar bald schon als unhaltbar, doch bis heute ist sein von filigranen Zinnen und Lisenen gegliederter Kubus von 90 Metern Kantenlänge die schönste aller archäologischen Hypothesen geblieben. Das Modell steht nun in einer viel zu kleinen Ausstellung, die die Berliner Museen aus Anlass seines 150. Geburtstages veranstalten. Acht Wandtafeln, fünf Tischvitrinen, ein licht- und luftloses Kabuff im Pergamonmuseum: Ehrt man so seine Helden?

Robert Koldewey war Ausgräber, kein Museumsmann. Und doch ist er zum eigentlichen Begründer des Berliner Vorderasiatischen Museums geworden. Die Rekonstruktionen des Ischtar-Tors, der Prozessionsstraße und der Thronsaalfassade Nebukadnezars II. (604-562 v. Chr.) im Pergamonmuseum basieren auf den Grabungen, die unter seiner Leitung zwischen 1899 und 1917 in Babylon stattfanden. Gesehen hat Koldewey sie nicht mehr. Als das Museum 1930 eröffnet, ist er seit fünf Jahren tot.

Der Sohn eines preußischen Steueraufsehers wurde am 10. September 1855 im Harzstädtchen Blankenburg geboren. Als er in Berlin, Wien und München Architektur, Archäologie und Kunstgeschichte studierte, beschäftigten sich deutsche Altertumswissenschaftler noch fast ausschließlich mit den „klassischen“ Epochen Roms und Griechenlands.

Auch Koldewey begann seine Karriere bei Ausgrabungen in der Nähe Trojas, auf Lesbos und Sizilien. Dort vermaß er griechische Tempel. Als einer ihrer „Erfinder“ stieg er rasch zum führenden Vertreter der archäologischen Bauforschung auf. Sein Schüler Walter Andrae sah die besondere Qualität von Koldeweys Methode im „Zeichnen nach der Natur, also nicht am Tisch zu Hause, wo man nur die trigonometrischen Festpunkte aufträgt. Alles andere wird draußen vor dem Objekt zu Papier gebracht. Das ist die einzige Methode, alle Fehlerquellen zu vermeiden.“ Für Archäologen und Bauforscher eine Grundregel, die trotz Computertechnik bis heute gilt. In Babylon kam sie erstmals systematisch zum Einsatz.

Bei den Königlichen Museen zu Berlin hatte man sich schon lange darüber geärgert, dass im Louvre und im British Museum altorientalische Kunst im großen Stil gesammelt wurde. Kaiser WilhelmII. interessierte sich persönlich für den Vorderen Orient und die Kulturgeschichte Altassyriens. Seit 1887 fanden deutsche Grabungen im Zweistromland statt. An ihnen und an der ersten deutschen Großgrabung in Südanatolien nahm auch Koldewey teil. Danach der Karriereknick: Koldewey muss drei Jahre lang als Lehrer einer Baugewerkschule in Görlitz pausieren. Er sehnt sich nach der Feldforschung zurück: „Der Dunst der Schulstube widert mich an, meine Freunde sind nicht bei mir, meine Wissenschaft lässt mich im Stich.“

1898 wird zum entscheidenden Jahr. Wilhelm II. reist auf Einladung des osmanischen Sultans Abdul Hamid über Konstantinopel nach Jerusalem und Damaskus. Dort beschwört er die deutsch-arabische Freundschaft und stellt die Weichen für den Bau der Bagdad-Bahn. In Berlin gründet der Mäzen James Simon die Deutsche Orient-Gesellschaft, die fortan Grabungen mitfinanzieren wird. Und Robert Koldewey kann, nachdem er mit seinem Kollegen und Konkurrenten Eduard Sachau Mesopotamien auf der Suche nach einem geeigneten Grabungsort bereist hat, den Generaldirektor der Königlichen Museen Richard Schöne davon überzeugen, Babylon zu erforschen. Am 6. Dezember 1898 schiffen sich Koldewey und sein Assistent Walter Andrae in Triest ein. Koldewey wird, abgesehen von zwei Urlaubsaufenthalten, erst 1917 nach Berlin zurückkehren.

Damals musste er auf der Flucht vor den Engländern die reichen Grabungsfunde zurücklassen, die Andrae erst 1927 in Berlin in Empfang nehmen sollte. Eilig wurden nun Zehntausende glasierte Ziegelsplitter gereinigt, entsalzen und sortiert, um Babylons Prachtarchitektur mit ihren goldgelben Löwen, Stieren, Drachen und Palmstämmen auf tiefblauem Grund wenigstens ansatzweise rekonstruieren zu können – im Museumsformat: 300 Meter Prozessionsstraße schnurrten im Pergamonmuseum auf 30 zusammen, die Straßenbreite halbierte man auf acht Meter. Ein kleines Wunder musealer Inszenierungskunst vollbrachten Andrae und seine Mitarbeiter dennoch – Koldewey zu Ehren. Der hatte schon 1913 seinen archäologischen Bestseller „Das wiedererstehende Babylon“ genannt.

Ausstellung „Robert Koldewey – ein Archäologenleben“ bis zum 31. Dezember im Vorderasiatischen Museum im Pergamonmuseum. Am 21. November findet dort auch ein wissenschaftliches Symposium zu Koldewey statt. Informationen unter Tel.: 030-314 796 11 (TU Berlin).

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