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Gesundheit: Wie Elite wächst

Nur mit Gleichstellung und Genderforschung kommt die Wissenschaft weiter

Ein Evaluationsforscher verfocht unlängst die These, Gleichstellung trage zu mehr Ungleichheit bei, Wissenschaft dürfe auf das Geschlecht nicht achten. Ein Kollege meinte, Gender Studies seien eine Mode, die man schnellstens ad acta legen solle. Im „Spiegel“ war zu lesen, Gleichstellungspolitik wolle uns zu „neuen Menschen umerziehen“, und in der „FAZ“ hieß es, nun werde offiziell „Geschlechtsumwandlung“ betrieben. – Warum ist Gleichstellung ein so schwieriges Thema, und warum ruft die auch an deutschen Hochschulen etablierte Genderforschung bei manchen noch immer so merkwürdige Reaktionen hervor?

Eigentlich sind Befund, Diagnose und Therapie eindeutig: Gleichstellung ist in der deutschen Wissenschaft nicht erreicht. Das ist zumindest ein Wettbewerbsnachteil, der zu beseitigen ist. Und Gender Studies sind international Teil anerkannter Forschung. Wissenschaftsrat und DFG haben im Rahmen der Exzellenzinitiative denn auch vorgegeben, Gleichstellung zu berücksichtigen. Und alle großen Wissenschaftsorganisationen haben Ende 2006 eine „Offensive“ gestartet, die mehr Gleichstellung bringen soll.

Doch gelingt es dem Thema nicht wirklich, aus der Schmuddelecke herauszukommen: Viele Kolleginnen und Kollegen reagieren empfindlich, genervt, gelangweilt, bagatellisierend oder aggressiv, wenn die Frage nach Gleichstellung in der Wissenschaft gestellt wird. Sie geben an, sich „lieber mit Wissenschaft“ befassen zu wollen. Eben deshalb scheuen sich akademische Eliten gerade in Leitungspositionen wohl auch, aktiv für Gleichstellung zu sorgen. Ausgeblendet wird, dass Wissenschaft und Geschlechterfragen untrennbar zusammenhängen.

Die Folgen: Deutschland steht auch im internationalen Vergleich schlecht da. In den akademischen Eliten herrschen oft geschlechtshomogene Verhältnisse, nur 14,3 Prozent der Professuren und neun Prozent der hoch dotierten Stellen haben Frauen inne. Noch weniger Frauen – 6,5 Prozent – gibt es in Führungspositionen in außeruniversitären Einrichtungen.

Daneben zeigt das deutsche Wissenschaftssystem weitere Schwächen. Wenn attraktive, einflussreiche Posten vergeben werden, orientiert es sich nicht so sehr an der Leistung wie an der sozialen Herkunft. Auch ist evident, dass Forschende mit Migrationshintergrund in Deutschland kaum zu finden sind. Wir sind also noch weit davon entfernt, das in der Wirtschaft angepeilte Ziel der Vielfalt („diversity“) im akademischen Feld zu realisieren. Das erstaunt umso mehr, als gerade dann Innovationseffekte zu erwarten sind, wenn sehr unterschiedliche Menschen über ein Problem nachdenken.

Es schadet nicht, auf diesem Gebiet weiter zu forschen. Allerdings wollen manche mit dem Ruf nach mehr Daten auch nur verhindern, dass gehandelt wird. Andere verweisen auf den Zeitablauf: Das Problem werde sich von selbst erledigen. Es dauere einfach, bis zunehmend mehr Frauen in den wissenschaftlichen Nachwuchs aufsteigen und dann auch in größerer Zahl auf Professuren berufen werden könnten.

Tatsächlich zeigt sich bei Karriereverläufen in der Wissenschaft aber das Phänomen einer „leckenden Pipeline“ („leaky pipeline“), in der an bestimmten Stellen auffällig viele Frauen auf der Strecke bleiben. Belegt ist, dass weder Frauen die Wissenschaft immer freiwillig verlassen noch sich alles auf die Kinderfrage reduzieren lässt. Vielmehr wird der weibliche talentierte Nachwuchs insbesondere zum wichtigen Schritt der Promotion von den ganz überwiegend männlichen Professoren seltener ermutigt; Studentinnen haben weniger informelle Kontakte zu Professoren als Studenten. Doch die Neigung, diese Ergebnisse der Forschung zugunsten eigener anekdotisch selektierter Erfahrung zu ignorieren, ist gerade hier sehr groß. Kennt nicht jeder eine vielversprechende junge Frau, der die Familie wichtiger war?

Es gibt drei gute Gründe für die Gleichstellung in der akademischen Welt: Gerechtigkeit, ökonomischer Mehrwert und qualitativer Gewinn. Die Frage nach der Qualität ist die, an der es hakt. Zunächst: Frauen haben schlicht ein Recht auf die Chance, an einer so begeisternden Sache wie der Wissenschaft mitwirken zu können. Damit geht es um mehr als um junge Frauen in einer „rush hour of life“. In Deutschland verengt sich die Debatte ja oft auf Kinder, die damit nur noch mehr allein den Frauen anvertraut werden. Grundsätzlicher müssen antiquierte Vorstellungen über Bord geworfen werden, sowohl über die Rolle von Eltern als auch über den Präsenzmythos im „Beruf als Berufung“. Kitas und Elternzuschüsse sind für forschende Frauen und Männer zwingend, aber nicht ausreichend. Vielmehr ist auch sinnvolle Zeitpolitik gefragt.

Für die OECD wie auch für die EU und Teile der Öffentlichkeit geht es auch um Gerechtigkeit, aber mehr noch ums Überleben. Wenn China seit Jahren erfolgreich Frauen zum Beispiel in die Technikwissenschaften integriert und so weit mehr Talente erschließt als die Wettbewerber USA oder Europa, dann beunruhigt das. Es sei zu schade, dass so viele schlaue Frauen verloren gehen, heißt es hierzulande. Diese Argumentation ist charmant, weil sich niemand angegriffen fühlen muss und alles nach Win-win klingt – jedenfalls dann, wenn man sich nicht daran stört, als „Humankapital“ oder gar als „Reservearmee“ gesehen zu werden.

Wenn allerdings gesagt wird, zugunsten der Konkurrenzfähigkeit europäischer Forschung gelte es, Talente vorurteilsfrei zu identifizieren, ist der Vorwurf impliziert, die Entscheider und die „peers“ hegten Vorurteile. Spätestens hier wird Gleichstellung in der Wissenschaft weithin als externe Zumutung, gar als Eingriff in die akademische Freiheit, als Störung des Strebens nach Erkenntnis empfunden. Das ist der Grund, kognitiv zu verweigern, Zielvorgaben zu ignorieren oder zu unterlaufen. Der Glaube, Qualität entscheide und werde vorurteilsfrei gemessen, dominiert. Wer infrage stellt, dass Wissenschaftler frei von persönlichen Annahmen urteilen, zielt auf den Kern akademischer Identität.

Durch die Abspaltung des Privaten, Subjektiven, vulgo Weiblichen von der Person des Denkers wurde schon in der Antike die Kategorie Geschlecht in das Wissen eingeschrieben: Weiche Empfindung gehört nicht zum harten Denken. Im 19. Jahrhundert musste „aperspektivische Objektivität“ zum Credo werden, um Forschung denken zu können. Der Forscher war nun der eigenschaftslose Beobachter. Unterschiedliche soziale Verhältnisse, die Wissenschaft eben auch ausmachen, konnten heimlich weiter wirken.

Wenn heute Journale wie „Science“ und „Nature“ Beiträge zum „gender bias“, dem Vorurteil, publizieren, ist es an der Zeit, sich von dieser Illusion zu befreien. „Nature“ dokumentierte, dass Frauen etwa zweieinhalb Mal produktiver sein müssen als Männer, bevor sie für gleichermaßen kompetent gehalten werden. Und Naturwissenschaftler verwiesen darauf, dass reine Männerteams dazu neigen, die Welt eingeschränkt wahrzunehmen.

Aus dieser Beobachtung ergibt sich das entscheidende dritte Argument für Gleichstellung. Solange Wissenschaft unter einem tradierten „gender bias“ leidet, leidet die Qualität. Das gilt eben nicht nur fürs Personal, sondern auch für die Inhalte von Wissenschaft. Forschung ohne Reflektion auf Gender, also auf die jeweilige Bedeutung von Geschlecht im Zusammenwirken mit anderen sozial wirksamen Kategorien wie Alter oder Herkunft, weist schlicht Defizite auf.

Die Medizin riskiert schwere Behandlungsfehler, solange sie paradigmatisch am männlichen Patienten orientiert arbeitet. Ingenieurwissenschaften verfehlen Märkte, wenn nicht reflektiert wird, dass Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen an Technik unterschiedliche Erwartungen haben. In den Geistes- und Sozialwissenschaften werden riesige Problemfelder wie die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates oder der „neuen Kriege“ nur partiell behandelt, solange die Dimension Geschlecht außen vor bleibt.

Eine Gleichstellungsoffensive ist daher nicht nur eine Reaktion auf Fragen der Gerechtigkeit und ökonomisch notwendig, sondern in der Wissenschaft auch eine Qualitätsoffensive. Wer das thematisiert, macht sich nicht beliebt. Wer verdeutlicht, dass formale und informelle Strukturen mehrfach diskriminierende Wirkung entfalten, greift Personen und das System an, mit dem sich diese identifizieren und dem sie ihren Status wesentlich verdanken. Es mag schmerzen, diesen Haken aus dem Fleisch des Akademischen zu lösen, doch ist Linderung gewiss.

Gewinnen lässt sich, wenn der „gender bias“ in der Wissenschaft beseitigt wird, sowohl im Wettbewerb um Personal als auch im Wettbewerb um die beste Erkenntnis. „Blinde“ Bewertungen in transparenten Verfahren, Kompetenz in der Genderforschung bei jeder Begutachtung, Sondermittel für Forscherinnen, die sich ihre akademische Heimat damit selbst aussuchen, oder auch die sinnvolle Quotierung bestimmter Positionen, wie sie der ehemalige DFG-Präsident Winnacker in die Debatte warf – es gibt der Instrumente viele. Nur weiter warten, prüfen, wägen – das ist nicht mehr angesagt.

Die Autorin, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität, hält heute das Impulsreferat auf dem Kongress „Gender in der Forschung – Innovation durch Chancengleichheit“ in Berlin. Anlass der vom Bundesforschungsministerium geförderten Tagung ist das Europäische Jahr der Chancengleichheit.

Susanne Baer

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