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Gesundheit: Wie oft haben Sie gefehlt?

Verbesserung der Lehre: Am FU-Institut für Soziologie werden Studenten befragt VON DOROTHEE NOLTEWas befürchtet eine ängstliche oder einfach nur leidgeprüfte Soziologie-Studentin zu Beginn einer Statistik-Vorlesung? Vielleicht eine langweilige Darbietung durch den Dozenten, einen hohen Arbeitsaufwand, eine unkritische Stoffvermittlung, Überforderung.

Verbesserung der Lehre: Am FU-Institut für Soziologie werden Studenten befragt VON DOROTHEE NOLTE

Was befürchtet eine ängstliche oder einfach nur leidgeprüfte Soziologie-Studentin zu Beginn einer Statistik-Vorlesung? Vielleicht eine langweilige Darbietung durch den Dozenten, einen hohen Arbeitsaufwand, eine unkritische Stoffvermittlung, Überforderung.Vielleicht befürchtet sie auch unproduktive Diskussionen, vulgo: "Rumgelaber".Aber egal was sie am meisten ängstigt: Sie braucht ihre Sorgen nicht im Herzen verborgen zu halten.Sie kann sie ankreuzen. Seit fünf Semestern werden am FU-Institut für Soziologie in der Babelsberger Straße fleißig Fragebögen verteilt: zu Beginn und am Ende zahlreicher Lehrveranstaltungen werden die Studenten nach Strich und Faden ausgequetscht.Auf sechs Seiten können sie sich anonym dazu äußern, ob sie neben dem Studium arbeiten, ob sie diese Veranstaltung aus Pflicht oder aus Interesse besuchen, welche Art der Stoffvermittlung für sie sinnvoll ist.Auch eher heikle Fragen werden nicht ausgespart: ob sie die Lehrveranstaltung regelmäßig oder nur sporadisch besuchen wollen und wieviel Vor- oder Nachbereitungszeit sie dafür einkalkulieren. "Auf diese Weise erfahren die Lehrenden erstmal, wen sie da vor sich haben", sagt Professor Helmut Kromrey, der zusammen mit einer studentischen Hilfskraft die Befragungen organisiert: das Projekt ist auf drei Jahre bewilligt worden.Wenn der Dozent oder die Dozentin etwa in den Fragebögen liest, daß sehr viele Teilnehmer nebenbei arbeiten, können sie ihren Lehrplan für das Semester eventuell ändern. Oder auch nicht: "Es kann ja auch sein, daß die Teilnehmer einfach falsche Erwartungen haben, die sich aus verschiedenen Gründen nicht erfüllen lassen", sagt Kromrey."Dann kann man aber aufgrund der Fragebogenergebnisse wenigstens darüber sprechen, und sie können entscheiden, ob sie an der Veranstaltung teilnehmen wollen oder nicht." Eine Überraschung: Während die Lehrenden die Form der Vorlesung häufig als "altertümlich" ablehnen und Diskussionen in Kleingruppen vorziehen, wissen die Studenten die kompakte Wissensvermittlung in Monologform zu schätzen. Ein Vorteil der frühen Befragung ist auf jeden Fall, daß sie noch für das laufende Semester nutzbar gemacht werden kann.Aber natürlich gibt es im Rahmen des Projekts auch die üblichere Befragung am Schluß des Semesters: War der oder die Lehrende zugänglich für Kritik? Sind Ihre Erwartungen beziehungsweise Befürchtungen bestätigt worden? Wie beurteilen Sie das Auftreten des oder der Lehrenden? Bringt er aktuelle Forschungsergebnisse in die Lehre ein, ist er auf "herrschende Lehrmeinung" fixiert? Und, auf Ehre und Gewissen: Wie oft haben Sie die Lehrveranstaltung versäumt? "Bei den Lehrenden gibt es keine Widerstände gegen die Befragung, weil wir sie nicht als Kontrollinstrument von oben einsetzen, sondern sie zu kollegialen Nachgesprächen nutzen", erläutert Kromrey, der an seiner früheren Wirkungsstätte, der Ruhruniversität Bochum, ein ähnliches Projekt geleitet hat.Damals waren sämtliche Fakultäten einbezogen.An der FU steht das Institut für Soziologie dagegen allein da, denn hier flossen die Ergebnisse der Befragungen sogar in die Neufassung der Studienordnung ein."Wir haben die Teilnehmer nach ihren spezifischen Interessen befragt, und ob sie lieber Überblicks- oder Spezialwissen vermittelt bekommen möchten." Die neue Studienordnung, die im Hauptstudium - neben einem für alle gemeinsamen "Kern" von Inhalten - verschiedene Schwerpunkte wie "Angewandte Sozialforschung", "Politische Soziologie" oder "Frauen- und Geschlechterforschung" vorsieht, wird voraussichtlich im Sommersemester in Kraft treten. Kromrey weist aber auch auf die begrenzte Aussagekraft von studentischen Befragungen hin: "Pflichtveranstaltungen werden immer schlechter bewertet werden als Seminare, zu denen die Teilnehmer aus Eigeninteresse gehen.Und ein und derselbe Lehrende kann es unmöglich allen Studierenden recht machen.Für den einen ist gerade richtig, was für den anderen falsch ist.Daher wird man für jede Veranstaltung gute und schlechte Bewertungen bekommen." Sinnlos sind Befragungen laut Kromrey dann, "wenn man doch nichts ändern kann": wenn etwa aus Spargründen eine große Vorlesung nicht in kleine Gruppen aufgeteilt werden kann."Dann erhöht die Befragung nur den Frust." Ob das Projekt weitergeführt werden kann, ist übrigens aus demselben Grunde unsicher: Der Vertrag von Kromreys studentischer Hilfskraft läuft nur noch ein Jahr lang.Und Stellen, die frei werden, fallen unter dem Spardiktat in der Regel weg.

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