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Gesundheit: Wie viele Studenten wir brauchen

Unis für die Zukunft: Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats erklärt, warum die Hochschulen wachsen müssen

Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin ließ im Tagesspiegel (Montagsausgabe) wissen, dass er den „Studentenberg“ nicht erkennen könne – weder in der Ferne, noch in Berlin. Entsprechende Prognosen der Kultusminister erklärte er für „immer falsch“. Ich schätze die nüchterne Art von Herrn Sarrazin, aber in diesem Punkt möchte ich ihm widersprechen.

Zusätzliche Studienanfänger sind für Deutschland keine Belastung, sondern eine wesentliche Bedingung, den gesellschaftlichen Wohlstand dauerhaft zu sichern. Wir müssen daher die Studierendenzahlen absolut und relativ steigern und dazu die Studienplatzkapazitäten an den Hochschulen erhöhen. Diese Forderung erstaunt angesichts leerer Kassen in Bund und Ländern. Dafür habe ich gute Argumente.

Bildung und Wissenschaft werden unbestritten ein Teil jeder Antwort auf die Frage sein, wie dieses Land auf einen neuen Wachstumskurs geführt werden kann. Dabei kommt den Hochschulen eine ganz herausgehobene Bedeutung zu.

Nach 2010 wird die Zahl der aus dem Erwerbsleben ausscheidenden älteren Menschen die Zahl der neu in die Erwerbstätigkeit eintretenden Jüngeren weit hinter sich lassen. Mit Beginn des kommenden Jahrzehnts wird sich eine Lücke auftun, die sich jährlich nach Hunderttausenden bemisst. Dies ist auch deshalb so gravierend, weil die dann ausscheidenden Erwerbstätigen insgesamt sehr gut qualifiziert sind. Die jüngere Generation wird ihre geringere Zahlenstärke unmöglich durch eine bessere Qualifikation wettmachen können.

Außerdem ist unbestreitbar, dass sich die deutsche Wirtschaft in der internationalen Arbeitsteilung immer stärker auf anspruchsvolle, wissensintensive Produkte und Dienstleistungen konzentriert. Seit 1975 hat sich die Zahl der Un- und Angelernten halbiert, der Akademikeranteil an den Erwerbstätigen aber verdreifacht. Es gibt niemanden, der eine Trendwende behaupten würde. Was wir jetzt bei der Erstausbildung der jungen Generation verpassen, werden wir durch Nachqualifizierung nicht wieder gutmachen können. Daher muss der Anteil der Studienanfänger nicht nur konstant gehalten, sondern noch erhöht werden.

Herr Sarrazin kritisierte die Prognose zu den Studierendenzahlen. In der Tat steckt darin eine Reihe von Problemen. Fachleute blicken auf die viel spannenderen und gewichtigeren Studienanfängerzahlen. Diese ergeben sich zum einen aus den Schulabsolventenzahlen und zum anderen aus der so genannten Übergangsquote. Diese gibt an, wie viele Studienberechtigte auch tatsächlich ein Studium aufnehmen. Die Prognose der Schulabsolventen ist eindeutig und zuverlässig. Die Übergangsquote – zur Zeit 75 Prozent – unterliegt politischer Einflussnahme. Natürlich kann die Quote sinken, beispielsweise durch fehlende Studienplätze. Wenn wir aber die Lücke der fehlenden Hochschulabsolventen schließen wollen, gibt es kurzfristig keinen anderen Weg als eine Steigerung der Übergangsquote. 1998 lag die Zahl der Studienanfänger bei 272 000, 2004 bei 358 000. Die Projektion der Kultusministerkonferenz von maximal 437 000 Anfängern im Jahr 2011 ist ein ambitioniertes, aber richtiges politisches Ziel. Langfristig müssen wir aber auch mehr junge Menschen zu einem Abschluss mit Studienberechtigung bringen.

Wer diese Konsequenz nicht teilt, muss eine Antwort darauf finden, was mit denjenigen Schulabsolventen geschieht, die nicht studieren können. Die Wirtschaft wird nicht kurzfristig noch mehr Ausbildungsplätze anbieten. Wenn wir keine zusätzlichen Studienplätze schaffen, müssen wir das Geld in die voll vom Staat bezahlten zahlreichen Warteschleifen der Berufsvorbereitungskurse stecken. Das wäre Geldverschwendung.

Die Hochschulen werden die steigende Zahl der Studienanfänger gut ausbilden können – wenn der Staat ihnen die notwendige Unterstützung gibt. Eine Senkung der Abbrecher-Quote, kürzere Studienzeiten ohne Qualitätsverlust und eine bessere Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, all dies ist Aufgabe der Hochschulen. Dafür müssen aber die Bedingungen stimmen. Genau an dieser Stelle setzt die wichtige Debatte an, die wir in den nächsten Monaten – auch mit den Finanzministern – werden führen müssen. Es geht um die Frage, wie viel zusätzliche Ressourcen die Hochschulen benötigen, um diese Ziele zu erreichen.

Es bleibt also eine Problemlage, die die Aufmerksamkeit der Finanzminister verdient. Sie besteht aus mehreren Komponenten: noch einmal steigende Jahrgangsstärken; notwendige Steigerung des Übertritts zum Studium; der Einmaleffekt der Schulzeitverkürzung und schließlich der unverzichtbare Mehrbedarf für die qualitätsorientierte Einführung von Bachelor und Master. Jeder einzelne Faktor für sich genommen wäre vielleicht kein Problem. Aber in der Summe ergibt sich politischer Handlungsbedarf. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Lehrkapazitäten an den Hochschulen müssen zügig ausgebaut werden.

Die Verantwortung für die Bereitstellung zusätzlicher Kapazitäten liegt zukünftig – nach den Vorentscheidungen zur Föderalismusreform – ausschließlich bei den Ländern. Diese stehen in der Verantwortung, aufzuzeigen, wie sie gemeinsam diese Herausforderung bewältigen wollen. Entsprechende Vereinbarungen werden nach meiner Auffassung einen hohen Verbindlichkeitsgrad aufweisen müssen. Denn es darf nicht dazu kommen, dass der mangelnde Ausbau an Studienplatzkapazitäten anderen Ländern den Anlass liefert, selber ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen.

Die Länder können diese Herausforderung bewältigen. Davon bin ich überzeugt. Aber genauso bin ich der Meinung, dass ein Zusammenwirken von Bund und Ländern angesichts der Größe der Herausforderungen einen guten Beitrag leisten kann. Die Bereitstellung gerade der notwendigen Personalkapazitäten kostet viel Geld. An die parlamentarischen Gremien richtet sich daher meine Bitte, für diese Option in der anstehenden Grundgesetzänderung zumindest die Möglichkeit zu lassen.

Ich hoffe sehr, dass die Wissenschafts- und Finanzpolitik in Deutschland sich dieser Problemlage stellen und in einen offenen Meinungsaustausch eintreten wird. Dass einige Länder derzeit sogar noch Studienplätze abbauen, kann nicht das letzte Wort sein.

Der Autor ist Vorsitzender des Wissenschaftsrats.

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