zum Hauptinhalt

Gesundheit: William Masters: Arzt und Revolutionär

Es sollte ein Lehrbuch für Ärzte werden. In dem entsprechenden Stil war es auch geschrieben, das heißt: nicht gerade süffig.

Es sollte ein Lehrbuch für Ärzte werden. In dem entsprechenden Stil war es auch geschrieben, das heißt: nicht gerade süffig. Aber "Human Sexual Response" wurde ein Bestseller und die Autoren William Masters und Virginia Johnson wurden zu Weltstars. Das Paar beschrieb die Sexualität in ihren erfreulichen und in ihren weniger erfreulichen Aspekten, und zwar so offen, wie es bis dahin in den USA keiner gewagt hatte. Der Gynäkologe Masters und die Psychologin Johnson erklärten den Amerikanern, was ein Orgasmus ist, und dass es viele interessante Arten gibt, dort hin zu gelangen. Ihre Forschung begannen sie mit Hilfe von Prostituierten, andere Testpersonen waren nicht zu bekommen. Pionierarbeit. Man befand sich im Jahr 1966, und die Tür zur sexuellen Revolution öffnete sich, auch dank Masters und Johnson. "Human Sexual Response" erschien auf deutsch unter dem Titel "Die sexuelle Reaktion".

Für die Leser dieses Buches war es neu, dass jemand sich der Sexualität auf diese Weise näherte - wissenschaftlich, sachlich, neugierig, ohne moralisches Urteil. Die beiden Sexualforscher gehörten zu den wichtigsten Amerikanern des Jahrhunderts, schrieb später einer ihrer Schüler. Das ist wahrscheinlich übertrieben. Masters und Johnson widmeten sich in den folgenden Jahrzehnten ihrem Therapiezentrum und produzierten Bestseller, in denen sie ihre Grundthesen variierten: Sex dient nicht allein der Fortpflanzung. Lust ist legitim. Wenn es in dieser Hinsicht nicht klappt, muss der Mensch sich nicht damit abfinden. Auch Sexualität kann therapiert werden. Die Natur hat viele Spielarten der Sexualität vorgesehen, es gibt keine Trennung zwischen "natürlichem" oder "widernatürlichem" Sex. Dergleichen klingt heute selbstverständlich, deshalb ist die in diesen Monaten neu aufflackernde Diskussion über die Schattenseiten der sexuelle Revolution eine Geisterdebatte. In die Zeit vor Masters und Johnson möchte wohl niemand zurück.

Masters verglich Sexualität gerne mit dem Hungergefühl, einer seiner Lieblingsbegriffe hieß "Lustband" - ein Band, das Menschenpaare und damit die Gesellschaft zusammenhält. Aber Masters war Praktiker, erfolgsorientierter Arzt, für Gesellschaft oder Ethik interessierte er sich weniger. Ob Sexualität heute, dank der Revolution, wirklich "besser" ist als früher - eine große Frage. Freier von Angst ist sie bestimmt. Masters und Johnsons Ehe zerbrach 1993, sich selber konnten sie nicht therapieren. William Masters ist, wie bereits gemeldet, am Freitag an der Parkinsonschen Krankheit gestorben. Er wurde 85 Jahre alt.

mrt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false