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Gesundheit: „Wir handeln nicht unethisch“

International isoliert: Hans Schöler fordert liberalere Regelungen für deutsche Stammzellforscher

Herr Professor Schöler, wo stehen Deutschland und Europa im internationalen Vergleich in der Stammzellforschung?

Wenn man mit „wir“ Europa meint, dann stehen wir gar nicht so schlecht da, denn hier arbeiten einige sehr gute Gruppen. Vergleicht man aber Deutschland mit einer einzigen amerikanischen Stadt wie Boston, so schneidet allein diese Stadt wegen der Dichte an exzellenten Stammzellforschern und Institutionen besser ab. Diesen Mangel könnten wir aber durch die Kooperation europäischer Spitzengruppen ausgleichen. Dann könnten wir uns mit den Amerikanern messen.

Brauchen wir dafür angesichts der Erfolge mit „adulten“ Gewebestammzellen überhaupt die Forschung mit embryonalen Stammzellen, um die es so viel Streit gibt?

Es stimmt nicht, dass es mit adulten Stammzellen mehr Erfolge gäbe. Natürlich gibt es die Erholung des blutbildenden Systems bei Leukämie, aber das ist ein Sonderfall, und die Therapie wurde vor vielen Jahre entwickelt. Alle führenden Wissenschaftler sehen heute in den embryonalen Zellen ein sehr großes Potenzial, und auch Pioniere der Forschung mit „erwachsenen“ Zellen wie Irving Weissman haben sich mit Vehemenz den embryonalen Zellen zugewandt. Bei bestimmten Krankheiten können Sie gar nicht mit adulten Stammzellen arbeiten: Wie wollen Sie zum Beispiel aus dem Gehirn von Kranken Stammzellen gewinnen? Ein weiteres großes Manko: Die meisten adulten Stammzellen können gar nicht in der Schale kultiviert und vermehrt werden. Wenn man beide Arten gegeneinander ausspielt, besteht die Gefahr, dass schlechte Forschung mit adulten Stammzellen nur aus Gründen politischer Korrektheit gefördert wird.

Welche Kritik haben Sie und Ihre Kollegen an der bestehenden Gesetzeslage in Deutschland?

Nach den Ergebnissen, die mit embryonalen Stammzellen der Maus gewonnen wurden, könnte es jetzt mit der Forschung an menschlichen Zellen schnell vorangehen. Dafür brauchen wir aber die besten humanen embryonalen Stammzellen, die zur Verfügung stehen. Die Stichtagsregelung besagt, dass nur Zellen eingesetzt werden dürfen, die vor 2002 gewonnen wurden. Sie können verunreinigt und mutiert sein. Stellen Sie sich vor, aus solchen Zellen werden Nervenzellen gebildet, die in Affen gegen Parkinson eingesetzt werden. Entwickeln die transplantierten Zellen Krebs, weiß man nicht, ob das an den Stammzellen liegt, nur weil sie alt sind. Für solche Versuche müssen neue Zellen eingesetzt werden.

Forschungsorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft kritisieren die Rechtsunsicherheit, die für deutsche Forscher herrscht, wenn sie in internationalen Projekten mitarbeiten, die nicht deutschen Gesetzen entsprechen. Wissenschaftler schreckten deshalb vor Kooperationen mit Kollegen aus anderen Ländern zurück.

Das ist leider völlig zutreffend, und die Unsicherheit besteht natürlich auch bei unseren Partnern. Das ist für die Forschung und für die europäische Kooperation ausgesprochen kontraproduktiv.

Was wünschen Sie sich vom Gesetzgeber?

Ich wünsche mir eine Änderung der Stichtagsregelung, im Sinne eines nachlaufenden, sich verändernden Stichtags.

Sie haben lange in den USA gearbeitet. Was vermissen Sie seit ihrer Rückkehr?

Innerhalb des Max-Planck-Instituts habe ich phantastische Arbeitsbedingungen, und Münster ist sowieso eine der schönsten Städte, die ich kenne! Ich persönlich werde auch nicht deshalb unglücklich, weil ich nicht mit embryonalen Stammzellen arbeiten kann. Was mir aber fehlt, ist die positive Stimmung. Wäre Klinsmann in Deutschland geblieben, statt nach Kalifornien zu gehen, dann wäre er von diesem Dauerbeschuss möglicherweise in seiner Stimmung heruntergezogen worden. In Kalifornien konnte er immer wieder Optimismus tanken. Mich stört, wenn Stammzellforscher immer so dastehen, als würden sie unethisch handeln. Was wir benötigen, ist mehr Optimismus und Vertrauen.

Steht Präsident Bush mit seinem Veto gegen die öffentliche Förderung von Projekten mit embryonalen Stammzellen auf verlorenem Posten?

Die Summen, die in den USA aus privaten Quellen trotzdem fließen, sind jedenfalls so gewaltig, dass er den Fortschritt nicht aufhält. Auf der anderen Seite hat er aber seine Klientel nicht verprellt.

Wie ist in Deutschland das Klima für Stammzellforscher?

Dem Eindruck nach, den ich gewinne, hat die Mehrheit keine Probleme damit, wenn mit embryonalen Stammzellen geforscht wird. Es herrscht hier durchaus eine Ethik des Heilens und Heilenwollens. Das Thema zerreißt jedenfalls die Gesellschaft keineswegs.

Das Gespräch führte Adelheid Müller-Lissner.

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