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Gesundheit: „Wir sind Meister im Kopieren“

Elite? Gerne, sagt der Philosoph Jürgen Mittelstraß – und verrät, was man dazu braucht

JÜRGEN

MITTELSTRASS (67)

ist Professor für Philosophie in Konstanz. Schwerpunkt: Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften.

Foto: privat

Herr Mittelstraß …

Einen Moment bitte. Ich muss erst den Hausmeister hereinlassen, bei mir regnet es nämlich herein.

Bitte?

Ja, seit Jahren schon, an immer neuen Stellen. Wenn ich abends gehe, decke ich eine Folie über meine Geräte, und morgens nehme ich sie wieder ab. Wenn Sie so wollen, ist das ein Beispiel dafür, wie der Staat seine Universitäten verkommen lässt. Es bröckelt. Buchstäblich.

Trotzdem: Wir wollen über Eliten sprechen …

Die derzeitige Diskussion um Elite-Universitäten ist verlogen und zynisch. Seit Jahren entziehen die Politiker den Unis die Mittel, die sie bräuchten, um auch nur ihre normalen Leistungen zu erbringen, und dann wünschen sie sich plötzlich Elite-Unis. Dieser finanzielle Aushöhlungsprozess muss rückgängig gemacht werden, auch mit Hilfe von Studiengebühren, die auch aus anderen Gründen eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Gleichzeitig ist es naiv zu glauben, es müsse nur ein bisschen Geld her, und schon wird aus einer Uni eine Elite-Uni. So stellt sich Hänschenklein die Universität vor.

Wie kann Elite denn entstehen?

Am wichtigsten wäre es, die Universitäten wieder in den Stand zu versetzen, ihre Aufgaben in Forschung, Lehre und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf hohem Niveau zu erfüllen. Wenn sich dann besondere Leistungszentren identifizieren lassen – das werden nie ganze Unis sein, sondern einzelne Fachbereiche –, kann man die gern besonders fördern. Allzu selektiv geht das aber nicht; man muss gleichzeitig in die allgemeine Infrastruktur investieren, etwa in die Bibliotheken. Elite, elitär, das heißt ja nur: besonders leistungsfähig, also auch international konkurrenzfähig. Das sind die deutschen Universitäten nur noch bedingt, auch im Vergleich mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen, denen es finanziell wesentlich besser geht.

In der Diskussion um Elite-Unis ist immer von den Natur- und Technikwissenschaften, kaum von den Geisteswissenschaften die Rede …

Dahinter steht ein wirtschaftliches Interesse. Natürlich sind die Natur- und Ingenieurwissenschaften ökonomisch wichtiger, aber sie sind nur ein Teil unserer Wissenschaftskultur. Wer sagt, die Technik soll blühen, und alles andere vergessen wir, ist dumm. Die Stärke der viel zitierten amerikanischen Universitäten liegt ja gerade darin, dass sie auf dem gesamten Wissenschaftsspektrum gut sind.

Manch ein Politiker mag sich denken: Wozu brauchen wir überhaupt Elite in den Geisteswissenschaften?

Erstens sind die Grenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften sowieso fließend, viele Geisteswissenschaftler arbeiten mit naturwissenschaftlichen Methoden oder an Problemen, die zwischen den „zwei Kulturen“ liegen. Zweitens vermitteln die Geisteswissenschaften Kompetenzen, die auch in anderen Bereichen nützlich sind: beispielsweise Wahrnehmungs-, Argumentations-, Verknüpfungskompetenzen. Und drittens haben Geisteswissenschaften etwas mit Orientierung zu tun. In unserer heutigen Welt wissen wir immer mehr, können wir immer mehr, aber wir werden immer orientierungsloser. Ein Physiker oder Ingenieur wird sich nicht fragen, wohin unser System, unsere Gesellschaft gehen soll. Es ist aber eine wichtige Frage.

… die sich, pardon, auch der durchschnittliche Geisteswissenschaftler nicht täglich stellt, wenn er mit einer Detailstudie zum 18. Jahrhundert oder zu Autor XY beschäftigt ist.

Auch ein Historiker oder Literaturwissenschaftler sollte stets die Verbindung zur Gegenwart im Auge behalten. Viele Geisteswissenschaftler fragen sich zu wenig, was der Ort ihrer Forschung in der Gesellschaft ist, wie sie sich mit ihrem Wissen und ihrem Können in den Disput über die Zukunft unserer Welt einschalten sollten. Das wäre aber etwas, was man von einer Elite erwarten muss.

Welche geisteswissenschaftlichen Themen sind denn für die Zukunft besonders wichtig?

Nur einige Beispiele: die theoretische und angewandte Ethik, die Bildungstheorie, die nicht allein den Pädagogen überlassen bleiben sollte, Medientheorie, vergleichende Kulturtheorie und Forschungstheorie.

Sie haben heute zwei Seminare gegeben, eins zu Heidegger und eine Einführung in die Philosophie. Bringen Ihre Studenten überhaupt die Voraussetzungen mit, um zu einer Elite zu gehören?

Wir haben ein gutes Niveau und einzelne exzellente Studenten. Natürlich gibt es auch einige, denen man empfehlen möchte, etwas anderes zu tun. Die Elitenförderung sollte früh ansetzen, auch in der Weise, dass sich die Universitäten ihre Studenten selbst aussuchen. Und in den höheren Semestern sollte sie so aussehen, dass die Lehre möglichst forschungsnah bleibt, von jeder Verschulung frei ist.

Nicht verschult, nicht auf konkrete Berufsanforderungen ausgerichtet – wie passt das zur Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge?

Mich stört dieses andächtige Aufblicken zum angelsächsischen BA-MA-Himmel. Früher haben die deutschen Universitäten die Standards gesetzt – inzwischen sind wir von einem Volk der Meister zu einem Volk der Kopierer geworden.

In den Naturwissenschaften gehen die besten Köpfe ins Ausland …

Dieses Phänomen finden Sie auch in den Geisteswissenschaften. Meine besten Assistenten sind weg: der eine in Ottawa, der andere in London. Das wäre ja auch nicht schlimm, wenn wir andere gute Leute von außen hereinholen könnten. Doch dem steht leider viel entgegen – nicht nur die schlechter werdende Ausstattung der Unis, sondern auch unsere Beamtenstruktur. Warum sollte ein Beamter besser forschen als ein Nicht-Beamter? Das Beamtentum in der Wissenschaft sollte abgeschafft und die Universität, nicht nur in Besoldungsfragen, wirklich autonom werden. Dafür müssen wir gar nicht bis zu den USA gucken; auch Österreich hat vorgemacht, dass das möglich ist.

Das Gespräch führte Dorothee Nolte.

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