zum Hauptinhalt

Gesundheit: „Wir verlieren die Balance“

Karl Max Einhäupl, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, warnt vor der Entflechtung von Bund und Ländern in der Forschung

Herr Einhäupl, die amerikanische Regierung hat den von ihr finanzierten Forschungsinstituten verboten, sich zu Roland Emmerichs Film „The Day After Tomorrow“ zu äußern. In Deutschland sind Bund und Länder dabei, ihre Zuständigkeiten auch in der Wissenschaft zu entflechten. Wenn danach nur noch einer das Sagen hat – könnte manchen Instituten hier dann etwas Ähnliches drohen?

Ich unterstelle keiner derzeit amtierenden Bundes oder Landesregierung eine solche Absicht. Aber Verfassungsänderungen werden für längere Zeiten gemacht. Es ist nicht auszuschließen, dass sich etwas Ähnliches unter anderen politischen Bedingungen auch hier ereignen könnte. In jedem Falle bietet eine bilaterale Finanzierung der Wissenschaft ein höheres Maß an Freiheit als die Abhängigkeit von einem Geldgeber.

Wie werden sich die anstehenden Entscheidungen eines Tages auswirken?

Sollte man die finanzielle Verantwortung für den Hochschulbau und die Finanzierung von Großgeräten tatsächlich allein den Ländern übertragen, wird die Kluft zwischen den seit Jahren unterfinanzierten Universitäten und den außeruniversitären Forschungsinstitutionen immer größer werden. Denn der Bund wird immer mehr Geld haben als die Länder, und er kann es als alleiniger Geldgeber besser strategisch einsetzen als sechzehn Länder.

Hieße das, die Unis würden immer ärmer und den außeruniversitären Einrichtungen des Bundes ginge es immer besser?

Wenn sich die Gewichte weiter zu Lasten der Hochschulen verschieben, wird es für sie immer schwieriger, im Wettbewerb die besten Wissenschaftler zu gewinnen. Da die Hochschulen aber den Nachwuchs ausbilden, werden wir in zehn Jahren die Folgen für das gesamte Wissenschaftssystem spüren. Ich bin gegen die Entflechtung der Wissenschafts-Finanzierung, weil wir dadurch noch stärker die Balance verlieren und dies vor allem die Hochschulen in den ärmeren Bundesländern treffen wird, also die im Osten.

Die Föderalismus- Kommission tagt hinter verschlossenen Türen. Den Ton geben die Ministerpräsidenten an und nicht die Wissenschaftsminister. Inwieweit ist der Wissenschaftsrat in die Beratungen einbezogen?

Überhaupt nicht. Bisher wurde er nur von einzelnen Experten angehört. Auch die Wissenschaftsminister sind nicht eingebunden.

Wie haben Sie selbst in den letzten Monaten Informationen aus der Kommission bekommen, und wie konnten Sie die Haltung des Wissenschaftsrats einbringen?

Wir bekommen die Protokolle, soweit sie öffentlich sind. Unseren Einfluss versuchen wir, im Gespräch mit einzelnen Mitgliedern der Kommission geltend zu machen. Inwieweit das gelingt, weiß ich allerdings nicht.

Haben Sie den Eindruck, dass die Politiker in der Kommission bei ihren Entscheidungen wirklich das Wohl der Wissenschaft im Auge haben? Oder ist die Wissenschaft nur ein Bauernopfer, das im Zuge eines großen Verschiebebahnhofs gemacht wird?

Diese Befürchtung habe ich. Es werden große Pakete geschnürt, die Wissenschaft spielt dabei nur eine kleine Rolle. Womöglich wird man den Hochschulbau als Experiment für die wirklich großen Fragen benutzen. Dann wäre er wirklich das Bauernopfer.

Was wird aus der Leibniz-Gemeinschaft? War es nicht der Wunsch von Bundesbildungsministerin Bulmahn, dass der Wissenschaftsrat dazu Empfehlungen ausspricht?

Der Wissenschaftsrat hat dazu bisher keinen Auftrag. Es gibt in der wissenschaftspolitischen Diskussion Stimmen, die meinen, man sollte die Leibniz-Institute ganz in die Verantwortung der Länder übertragen oder sie sogar in die Universitäten eingliedern, um diese zu stärken.

Wie ist die Position des Wissenschaftsrats in dieser Frage?

Ich möchte dem Beratungsergebnis im Wissenschaftsrat nicht vorgreifen. Bis dahin sollten aber Bund und Länder die Institute wie bisher gemeinsam finanzieren. Der Wissenschaftsrat könnte in einem ersten Schritt prüfen, ob eine solche Integration grundsätzlich wissenschaftspolitisch sinnvoll ist. Käme man hier zu einem „ja“ wäre zu prüfen, ob Universitäten einzelne – ich betone: einzelne – Leibnizinstitute aufnehmen können, ohne sie zu beschädigen. Würde man alle Leibnizinstitute in die Universitäten eingliedern wollen, wäre es für viele Institute das Aus.

Was wäre, wenn die Länder allein über das Dienstrecht entscheiden könnten?

In einer Zeit, die höchste internationale Mobilität erfordert, wäre es ein Drama, wenn die Länder dann zu unterschiedlichen Regelungen kämen und ein Professor nicht mehr ohne weiteres von einer Uni zur anderen wechseln könnte. Es muss eine Abstimmung geben.

Bund und Länder sind sich über ihren gemeinsamen Wettbewerb der Spitzen-Universitäten offenbar uneinig. Die Länder wollen die Elite-Hochschulen erst in einem jahrelangen Prozess benennen, nachdem sich herausgestellt hat, wer die meisten Cluster und Graduiertenschulen im Wettbewerb akquirieren konnte. Wie beurteilen Sie das?

Ich glaube nicht, dass das die Position der Länder ist. Natürlich muss der Prozess gestuft ablaufen. Zuerst werden die Sieger im Wettbewerb um Graduiertenschulen und Cluster ausgewählt und im zweiten Schritt die Spitzen-Universitäten benannt. Aber dieser Schritt folgt nicht nach fünf Jahren, sondern nach einer Woche. Wesentlicher ist dabei, dass nach einer Beurteilung der wissenschaftlichen Exzellenz – eine typische DFG-Aufgabe – für die Spitzen-Universitäten die strukturelle Exzellenz geprüft wird. Für diese Aufgabe sehe ich kein anderes Gremium als den Wissenschaftsrat.

Die Länder scheinen den Gedanken aber nicht zu mögen, ihre eigenen Universitäten könnten bei nur fünf bis zehn Elite-Hochschulen nicht zum Zuge kommen.

Ja, aber andererseits: Wie viel Elite-Unis haben die USA oder Großbritannien? Auch dort gibt es nur eine beschränkte Zahl, denn das muss ja finanziert werden. Unser Land braucht die Entwicklung international sichtbarer Spitzen. Für mich wird sich an dieser Stelle auch entscheiden, ob der Föderalismus stark genug ist, so eine Entwicklung zuzulassen.

Reicht es denn für einen so ehrgeizigen Wettbewerb, wenn die Länder nur 25 Prozent der Summe des Bundes gegenfinanzieren wollen?

Bislang ist noch nichts beschlossen worden. Es gibt Länder, die nicht mal 25 Prozent gegenfinanzieren wollen oder können.

Glauben Sie, dass eine Stadt wie Berlin, die soeben aus ihren Unis 75 Millionen Euro und aus ihrer Hochschulmedizin 98 Millionen Euro herausgespart hat, bereit ist, für Elite-Unis Geld auszugeben?

Wenn Berlin klug ist, erkennt es, dass es eine Wissenschaftsstadt sein will und sein muss. Die Politik entzieht allen Bereichen Geld, um wieder politisch handlungsfähig zu werden. Es wäre töricht, das Geld der Wissenschaft zu entziehen, dann aber damit nicht die Flexibilität zu gewinnen, neue zukunftsweisende Entwicklungen gerade in der Wissenschaft anzustoßen.

Das Gespräch führte Anja Kühne.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false