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Gesundheit: Wird die Erde umgepolt?

Von Paul Janositz Erdbeben zeigen eindrucksvoll, welch gewaltige Energien unterm vermeintlich festen Boden gefangen sind. Vom brodelnden Inferno im Innern zeugen auch Lavaströme oder kochend heiße Geysire, die immer wieder die Kruste durchbrechen.

Von Paul Janositz

Erdbeben zeigen eindrucksvoll, welch gewaltige Energien unterm vermeintlich festen Boden gefangen sind. Vom brodelnden Inferno im Innern zeugen auch Lavaströme oder kochend heiße Geysire, die immer wieder die Kruste durchbrechen. Nicht direkt spürbar ist dagegen der Erdmagnetismus, eine Kraft, die die Lebensbedingungen auf unserem Planeten stark beeinflusst.

Ohne die Orientierung per Kompassnadel wäre Kolumbus wohl kaum nach Amerika gelangt. Auch Zugvögel, Insekten und sogar Mikroorganismen orientieren sich am Magnetfeld. Doch das anscheinend stabile System erweist sich als unsicher, es wird schwächer. „Der Nordpol wandert", sagt Hermann Lühr vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). Derzeit noch in der kanadischen Arktis gelegen, driftet der magnetische Pol nordwestwärts in Richtung des geographischen Nordpols. „Um das Jahr 2050 könnte er sibirischen Boden erreichen", sagt der Geophysiker.

Was die Polwandrung letztlich hervorruft, ist weitgehend unbekannt. Mit Computersimulationen, wie sie kürzlich in Nature (Band 416, Seite 620) beschrieben wurden, können aber Details nachgebildet werden. Wissenschaftler um Gauthier Hulot vom Pariser Institut für Geophysik werteten dazu neue Messungen des dänischen Satelliten „Oersted" und 20 Jahre alte Daten der amerikanischen Sonde „Magsat" aus. Dabei stießen sie auf zwei Störzonen. Das größere Störfeld, südlich von Afrika, hat einen ins Erdinnere gerichteten Fluss, entgegengesetzt der üblichen magnetischen Orientierung in der unteren Hemisphäre. Die Kompassnadel weist hier also in die falsche Richtung. Die zweite Störung findet sich im Bereich des Nordpols.

Magnetismus entsteht im Erdkern

Das Wachstum und die polwärts gerichtete Wanderung dieser Störfelder könne – so Hulot – erklären, warum das Magnetfeld in den letzten 150 Jahren um etwa zehn Prozent abgenommen hat. „Die Ergebnisse stimmen mit einigen der bisherigen Annahmen überein", sagt Peter Olson, Geophysiker an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore.

Der Ausgangspunkt des Magnetismus liegt demnach im äußeren Erdkern, in 2900 bis 5100 Kilometer Tiefe. Dort in der Zone flüssigen Metalls, die den festen Kern aus Eisen und Nickel umgibt, findet man gewaltige Konvektionen. Durch die Rotation der Erde werden die Strömungen spiralförmig verdreht. Dabei entstehen kleinste magnetische Felder, die sich selbst verstärken. Gleichzeitig bilden sich im geschmolzenen Metall des Erdkerns elektrische Ströme.

Das entspricht einem Dynamo: In leitfähigem Material, das sich in einem Magnetfeld bewegt, wird Strom erzeugt. Damit der „Geodynamo" in Schwung kommen konnte, musste allerdings irgendwann einmal im Erdinnern – wahrscheinlich durch magnetisierte Gesteine der Erdkruste – ein Magnetfeld entstanden sein.

Die Kraftlinien des Feldes verlaufen auf gekrümmten Bahnen und reichen in das Weltall hinaus. Die jeweilige Stärke hängt von Vorgängen im äußeren Erdkern ab. Bei einer Fließgeschwindigkeit von schätzungsweise 20 Kilometer im Jahr wird die gesamte Schmelzmasse in rund 300 Jahren einmal umgewälzt. Ob dies das Magnetfeld stärkt oder schwächt, lässt sich nicht vorhersagen. „Das ist eine Art chaotischer Prozess", sagt der Experte Lühr vom GFZ. Ähnlich wie beim Wetter könnten kleinste Änderungen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Fest steht, dass es im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder zu Umpolungen gekommen ist. Durchschnittlich einmal in einer Million Jahre tauschten magnetischer Nord- und Südpol ihre Plätze.

Vor Umpolungen verringert sich die Stärke des Magnetfelds bis zum Wert null. Dann entsteht für kurze Zeit ein kompliziertes Magnetfeld mit mehreren Polen, währenddessen nimmt die Feldstärke wieder zu, allerdings in umgekehrter Polung. Die Kompassnadel zeigt nach Süden statt nach Norden. Das letzte Mal soll es dazu vor etwa 780 000 Jahren gekommen sein, sagt Hulot. Wann es wieder soweit ist, weiß niemand.

Dass die Pole derzeit wandern, steht fest, seit Observatorien vor rund 150 Jahren das globale Magnetfeld ins Visier genommen haben. Noch genauer messen Raumsonden. Allen voran der vom Potsdamer Geoforschungszentrum entwickelte „Champ"-Satellit, der vor rund zwei Jahren ins All startete. Die Resultate belegen, dass das Magnetfeld der Erde derzeit jährlich um etwa ein Zehntel Prozent schwächer wird. Überraschendes Ergebnis war, dass der Nordpol jährlich mit 40 Kilometern pro Jahr doppelt so schnell wandert, als bisher angenommen. Hält dieser Trend an, könnte sich das Magnetfeld schon in tausend Jahren umpolen. Dies ist jedoch keineswegs sicher, meint Lühr, der die Auswertung der Champ-Daten leitet. Schließlich hat sich das Magnetfeld auch bei früheren Schwächeanfällen wieder erholt.

Die derzeitige Schwächung des Magnetfeldes birgt bereits Risiken. Denn die geladenen Teilchen des Sonnenwindes treffen nicht auf den gewohnten Widerstand. Protonen, Heliumkerne und vor allem Elektronen, die sonst vom Magnetfeld oberhalb von 600 Kilometern Höhe gefangen werden, können wesentlich weiter nach unten vordringen. Dies bringt Probleme für Flugzeuge und Raumstationen, die auf einwandfreies Funktionieren der Elektronik angewiesen sind.

Zukünftig müssen sensible Objekte durch strahlungsfestes Material abgeschirmt werden. Bei den neuen Technologien wollen die Potsdamer Geowissenschaftler mit der Industrie zusammenarbeiten. „Wir liefern auch die wichtigen Informationen über das Weltraumwetter", sagt Lühr.

Stromausfälle und Polarlichter

Auch die Stromversorgung kann in Gefahr geraten. Beispielsweise, wenn Gasausbrüche in der äußeren Atmosphäre der Sonne, der Korona, ein starkes Bombardement mit geladenen Teilchen auslösen. Wird der geschwächte magnetische Schutzschirm der Erde durchlöchert, können – so Lühr – Spannungsstöße in Überlandleitungen induziert, Transformatoren überhitzt und Stromnetze lahmgelegt werden.

In der kanadischen Provinz Quebec wurde das Szenario Wirklichkeit. Im März 1989 fiel wegen eines geomagnetischen Sturmes neun Stunden lang der Strom aus. Studien zufolge würde ein derartiger Sturm in den USA Schäden von mehreren Milliarden Dollar verursachen. Auch in Europa wird es Zeit, dass sich Versorgungs- und Versicherungsunternehmen darauf einstellen, sagt Lühr.

Es gibt jedoch auch angenehme Auswirkungen des geschwächten Magnetfeldes. Denn der näher an Europa rückende Nordpol bringt das „Aurora-Oval" mit sich. Im Radius von 2000 Kilometern um den Pol können Nordlichter auftreten. Ausgelöst werden die farbenprächtigen Erscheinungen durch Solarstürme, wenn schnelle Elektronen die Moleküle der Atmosphärengase zum Leuchten bringen. Wandert der Pol weiter auf der vorhergesagten Bahn, könnte man Lühr zufolge um 2050 auch über Norddeutschland das Farbspektakel sehen.

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