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Gesundheit: Wissenschaft und Wirtschaft: Modernes Europa, durch Schlipsknoten verbunden

Der Kollege von der Presse wollte sich gleich eine Krawatte ausleihen. Denn wer ohne Schlips und blauen Blazer zum Studentenforum im Tönissteiner Kreis kommt, ist hoffnungslos underdressed.

Der Kollege von der Presse wollte sich gleich eine Krawatte ausleihen. Denn wer ohne Schlips und blauen Blazer zum Studentenforum im Tönissteiner Kreis kommt, ist hoffnungslos underdressed. Schließlich hatten sich die Studierenden als Treffpunkt für ihre Tagung über "Europäische Identität" das Schloss Blankensee bei Berlin ausgesucht. Das Studentenforum ist ein Neuling. Seit November letzten Jahres besteht diese junge Abteilung des Tönissteiner Kreises, der seit 1958 als Netzwerk auslandsorientierter Führungskräfte fungiert. Der Kreis hat sich die "Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft" auf die Fahnen geschrieben und kooperiert mit einigen renommierten Verbänden, etwa dem Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände oder dem Deutschen Industrie und Handelstag.

Organisiert haben den ersten "Europäischen Dialog" die Studenten Clemens Baader, Tobias Pohl und Biljana Dischlieva, die über die Studienstiftung des Deutschen Volkes nach Durchlaufen eines Auwahlcolloquiums zum Studentenforum gekommen sind. Das Forum im Tönissteiner Kreis hat derzeit 44 Mitglieder. Die meisten sind wie die Organisatoren Stipendiaten der Studienstiftung des Deutschen Volkes oder des Studienwerks der Deutschen Wirtschaft, die Überzahl ist männlich und fast die Hälfte von ihnen studiert Jura. Doch das Profil wird sich ändern, sagt Tobias Pohl: "Die Zahl der Mitglieder wird sich auf rund Hundert erhöhen, und wir wollen Studierende aus anderen Fachbereichen und auch aus den politischen Stiftungen ansprechen." Warum man hier mitmacht ist klar: Verbindungen zu den alten Herren der Wirtschaft und der Wissenschaft, angeregte Diskussionen, Austausch mit Gleichgesinnten, ein interessantes Programm und das Bedürfnis nach politischem Engagement und Einflussnahme reizen die Teilnehmer.

International geht es zu im Schloss Blankensee, denn eingeladen sind auch Vertreter ähnlicher Studentenorganisationen aus dem Ausland: der Conférence Olivaint aus Paris und Brüssel, der Foro Generación de 78 aus Madrid und der Oxford Union Society, ein studentischer Debattier-Club der berühmten britischen Universität. Auch Polen sind dabei. So erfahren wir von allen etwas: Dass die Spanier ihre Vertreter fürs Baskenland im Europaparlament nur mit Bauchgrimmen ertragen, dass Wales und Schottland die EU als Chance für ihre Autonomiebestrebungen sehen, dass man den Briten die Mitgliedschaft in der EU besser pragmatisch als mit ideellen Zielen verkaufen sollte und dass die Polen in der europäischen Identität eine Abgrenzung zu Russland suchen.

Der einzige Vertreter der älteren Generation beim Dialog am Sonntag ist Klaus Otto Nass, ehemals stellvertretender Kabinettschef der Kommission der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Brüssel, Professor für Recht in Hannover und Mitglied des Tönissteier Kreises. Er verliest seine "Thesen zur europäischen Identität" auf Deutsch und gängelt die Übersetzerin. "Improve your German", ermahnt Nass die Spanier, die jetzt unruhig auf ihren Sitzen rutschen. Aber wozu? Alle anderen reden hier nur Englisch miteinander, sowieso.

Bissige Briten

Die Diskussion kreist um Nuancen. Gibt es eine europäische Kultur? Ja, meint die eine Seite, nein die andere, denn was um Himmels Willen soll das sein? Braucht Europa mehr als nur die Summe seiner Teile? Ist eine mulitkulturelle Gesellschaft möglich? Diffizil und schwankend ist der Boden, denn Professor Nass reklamiert für den europäischen Wertekanon auch die Bibel. Das sieht die junge Generation - zum Teil - mit Skepsis. Wer in Europa lebt muss sich dessen Gesetzen unterordnen, sagt Nass. Da kann man ihm nicht widersprechen. Doch steht im Subtext da nicht noch was anderes? Ein ausschließendes und homogenes Verständnis dessen, was europäische und demokratische Kultur sei und was nicht? Die Thesen des Professor Nass sind heikel im Detail. Brilliant und bissig sind die Briten: "Wenn man glaubt, man braucht eine gemeinsame Kultur, um eine gemeinsame Verfassung zu entwickeln", sagt Nick Barber, "dann nimmt das nur ein böses Ende."

Und wohin geht nun die Europäische Moderne des 21. Jahrhunderts? Ein Fazit im Schloss Blankensee war klar: Man will die Vielfalt der Kulturen, keinen Europa-Einheitsbrei. Doch so verschieden sehen sie gar nicht aus, die Spanier, die Franzosen, die Belgier, die Polen, die Engländer und die Deutschen. Denn eines, das ist sicher, eint die junge europäische Elite - die Krawatte.

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