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Gesundheit: Wohin Gen wir?: Vor sechs Jahren wurde das Brustkrebs-Gen entdeckt - Nun gibt es Tests

Die meisten Frauen ab 20 haben sich schon längst an den ritualisierten Kampf gegen einen unsichtbaren Feind gewöhnt. Regelmäßig tasten sie die Brüste ab, mehr oder weniger angsterfüllt auf der Suche nach Knötchen und krankhaften Veränderungen, die ein Indiz für Brustkrebs sein könnten.

Die meisten Frauen ab 20 haben sich schon längst an den ritualisierten Kampf gegen einen unsichtbaren Feind gewöhnt. Regelmäßig tasten sie die Brüste ab, mehr oder weniger angsterfüllt auf der Suche nach Knötchen und krankhaften Veränderungen, die ein Indiz für Brustkrebs sein könnten. Grund ist eine düstere Statistik: Brustkrebs ist die häufigste bösartige Tumorerkrankung bei Frauen.

Pro Jahr gibt es in Deutschland nahezu 46 000 Neuerkrankte, schätzt das Robert-Koch-Institut in Berlin. Knapp 19 000 Patientinnen sterben jährlich am Mammakarzinom. Rein rechnerisch trifft es jede zehnte Frau im Laufe ihres Lebens. Und vier Prozent der heute jungen Frauen wird ein bösartiger Tumor der Brustdrüse irgendwann töten, wenn die Medizin keine Fortschritte macht.

Als im Herbst 1994 das erste Brustkrebsgen BRCA1 und wenig später sein Kollege BRCA2 identifiziert wurden, stand der Fortschritt vor der Tür: Endlich hätte man einen viel versprechenden Ansatz für neue Therapien gefunden, verkündeten die Entdecker. Man könne schon bald alle Frauen auf ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs und den wesentlich selteneren Eierstockkrebs testen, der mit den gleichen Genen verknüpft ist.

Bislang wurden die Hoffnungen enttäuscht. Nur eine Minderheit von jährlich rund 2500 Frauen in Deutschland erkrankt überhaupt wegen eines vererbten Fehlers in den Brustkrebsgenen. Zudem machen manchen Frauen mutierte BRCA-Gene nichts aus. Hieß es Anfangs noch, positiv Getestete hätten ein Brustkrebsrisiko von mehr als 90 Prozent, so schwanken die Angaben heute zwischen kaum erhöhtem Risiko und 80 Prozent. Ursache dieser Schwankungen ist die Vielzahl verschiedener Mutationen in den Brusrtkrebsgenen, die unterschiedlich hohe Risiken zur Folge haben.

Warum das so ist, entdeckten US-Forscher vor zwei Jahren. Die beiden Eiweiße, die die BRCA-Gene kodieren, lagern sich mit einem dritten Protein zusammen und bilden einen Reparaturkomplex, der mögliche krebsfördernde DNS-Schäden aufspürt und reparieren hilft. Offenbar funktioniert diese kleine Werkstatt mehr oder weniger gut, je nachdem welche Stelle der Proteine durch die BRCA-Mutation beschädigt ist.

Wann das Risiko hoch ist

Bevor jemand zur Risikogruppe gehört, muss einiges zusammen kommen. Gefahr besteht nach Auskunft der Deutschen Krebshilfe, wenn: eine nahe Verwandte vor dem 40. Lebensjahr an einer oder beiden Brüsten erkrankt ist; mehrere Verwandte vor dem 50. Lebensjahr Brustkrebs bekamen; bei der Patientin selbst oder bei Verwandten neben Brustkrebs auch andere Krebserkrankungen wie zum Beispiel Eierstock- und Darmkrebs auftraten. Für Frauen aus solchen Risikogruppen entwickelten Forscher Gentests, die das veränderte Brustkrebsgen frühzeitig erkennen.

Die vielen verschiedenen BRCA-Mutationen erschweren aber auch die Testung: Rasch entwickelte und in den USA schon seit Jahren für viel Geld und ohne begleitende Beratung verkaufte Gentests sind oft unzuverlässig, weil sie nur einen Teil der Mutationen entdecken.

Ist das Testergebnis positiv, hat das einschneidende Folgen: Mit deutlich erhöhter Wahrscheinlichkeit können Betroffene ein Mammakarzinom oder einen Eierstockkrebs bekommen. "In Deutschland liegt das Brustkrebsrisiko nach positivem BRCA-Test bei etwa 70 Prozent", schätzt Siegfried Scherneck, Sprecher des Berliner Forschungszentrums für erblichen Brustkrebs, in dem die Kliniken Benjamin Franklin, Charité und Buch zusammen arbeiten.

Besonders folgenschwer ist, dass es die Betroffenen oft besonders früh erwischt. "Die Hälfte erkrankt vor dem fünfzigsten Lebensjahr", sagt Scherneck. Fast alle anderen Brustkrebs-Patientinnen sind dagegen meist deutlich über 50, zumeist um die 80 Jahre alt.

Trotz dieser Vorhersagen gibt es bis heute kein effektives Mittel zur Therapie. Hier offenbart sich einmal mehr die Crux der modernen Humangenetik: Sie liefert zuverlässige Diagnosen, ohne gleichzeitig eine effektive Behandlung in Aussicht zu stellen. "Die genetische Beratung vor einer Blutuntersuchung ist wichtig, um keine falschen Hoffnungen zu wecken", sagt deshalb auch Ursula Froster, Direktorin des Instituts für Humangenetik in Leipzig. Frosters Institut gehört wie das Berliner Zentrum zu den zwölf Forschungs- und Beratungszentren für Brustkrebs, die die Deutsche Krebshilfe seit 1997 mit zehn Millionen Mark unterstützt. Ziel dieses Förderschwerpunkts "Familiärer Brustkrebs" ist es, die Basis für eine effektive Beratung und Testung gefährdeter Frauen zu ermitteln.

Bislang haben sich 2500 bis 3000 Frauen in einem der Zentren unentgeltlich beraten lassen, schätzt Siegfried Scherneck. Bei 1200 erhärtete sich der Verdacht auf familiären Brustkrebs derart, dass ihre Gene getestet wurden. Und: "Grob geschätzt waren knapp 20 Prozent dieser Tests positiv", erläutert Scherneck. Dabei dürften den Forschern kaum Mutationen entgangen sein, denn sie testen nach einer sehr aufwändigen und für die tägliche Praxis viel zu teuren Technik: Sie sequenzieren die gesamten, extrem langen BRCA-Gene der getesteten Frauen und vergleichen das Ergebnis mit intakten Gentexten.

Spektrum von Veränderungen

Ziel der Prozedur ist es, das für Deutschland typische Spektrum möglicher Mutationen der Brustkrebsgene zu erfassen, um in Zukunft mit einfacheren Tests zuverlässig und gezielt nur noch diese Erbgutveränderungen aufzuspüren. Zudem hoffen die Forscher, im Laufe der nächsten drei Jahre mehr darüber heraus zu finden, welches genaue Brustkrebsrisiko mit einer bestimmten Mutation verknüpft ist.

"Dann können wir die Patientinnen so beraten, wie es ihrem Risiko entspricht", sagt Scherneck. Man wird wesentlich genauer als heute abschätzen können, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Frau erkrankt und wie gefährlich der Tumor sein wird, der ihre Brust vermutlich besiedeln wird. Doch das Dilemma bleibt: Außer der vorsorglichen Amputation der Brüste, die neueren Studien zufolge tatsächlich einen deutlichen Schutz vor dem Mammakarzinom bietet, gibt es kaum effektive vorbeugende Maßnahmen. Dieser Eingriff ist indes so einschneidend und die Risikoprognosen sind noch so unsicher, dass kaum ein seriöser Arzt von sich aus die Brustamputationen empfiehlt.

Keinesfalls dürfen Mediziner die Nachteile einer Amputation verschweigen. Nicht nur, dass die Brust sexuelles Vergnügen bereiten kann, der vererbte Krebs kann auch in den Eierstöcken auftreten. Und selbst wenn diese mit entfernt werden, bleibt ein Restrisiko: "Man kann die Brust nie vollständig amputieren, und Eierstockkrebs geht manchmal vom nicht entfernten Beckenbauchfell aus", erklärt Marion Kiechle, Oberärztin an der Universitäts-Frauenklinik Kiel, die ebenfalls an der Brustkrebsgen-Forschung teil nimmt.

Was den positiv getesteten Frauen als Vorbeugung neben einer bewussten Lebensführung mit viel Sport, gesunder Ernährung und langen Stillzeiten für den Nachwuchs vor allem bleibt, ist eine besonders intensive Krebsvorsorge: Sie sollten sich alle sechs Monate untersuchen lassen und ab dem 40. Lebensjahr jährlich zur Mammographie gehen, empfehlen die Experten.

Alternative zum Röntgen

Zur Zeit wird getestet, ob man die Früherkennung durch eine jährliche Kernspintomographie der Brust noch weiter verbessern kann. Dieses vergleichsweise teure bildgebende Verfahren soll gerade die junge weibliche Brust weitaus besser durchleuchten als die herkömmliche Mammographie.

Die Berliner Krebsforscher um Siegfried Scherneck haben sich indes noch eine besonders knifflige Aufgabe für die Zukunft vorgenommen: Sie suchen nach weiteren Brustkrebsgenen, denn, so vermutet Schnerneck: "Eines muss es mindestens noch geben."

Peter Spork

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