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Gesundheit: Wolfgang Frühwald: Augenmaß und Engagement in der Wissenschaft

Heute gilt es einem Phänomen die Reverenz zu erweisen, das in der deutschen Wissenschaft zu den Ausnahmen zählt. Einem Geisteswissenschaftler, der sich in frühen Werken der alten Literatur annahm: Dem Meister Eckhart war eine der ersten Schriften gewidmet, die Wolfgang Frühwald verfasst hat.

Heute gilt es einem Phänomen die Reverenz zu erweisen, das in der deutschen Wissenschaft zu den Ausnahmen zählt. Einem Geisteswissenschaftler, der sich in frühen Werken der alten Literatur annahm: Dem Meister Eckhart war eine der ersten Schriften gewidmet, die Wolfgang Frühwald verfasst hat. Kurz darauf wandte sich der Germanist dem Romantiker Clemens Brentano zu. Die Beschäftigung mit dem expressionistischen Schriftsteller Ernst Toller hätte vielleicht schon einen Hinweis auf die enorme Horizonterweiterung geben können, die Wolfgang Frühwald seitdem vorgelebt hat.

Wie kann sich ein Germanist - der mittelalterlichen Literatur und der Blauen Blume der Romantik verpflichtet - gleichzeitig ohne den Pessimismus des "Untergang-des-Abendlandes" darüber auslassen, dass die "Gutenberg-Galaxis" dem Ende entgegengehen wird - mit anderen Worten, dass die Überlieferung des geistigen Erbes durch Bücher abgelöst wird durch die Wissensübermittlung mit Hilfe elektronischer Informationsträger. Das hatte Frühwald 1996 öffentlich erklärt, als er noch Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft war.

Und er scheute auch nicht vor gewagten Vergleichen zurück - eine für Geisteswissenschaftler, die sich häufig als verletzbare Seelen des 19. Jahrhunderts gerieren, ungewöhnliche Haltung. Schilderte Wolfgang Frühwald doch im Jahr 1995 die gewaltige Explosion des Wissens in einer Metapher: In den kommenden zehn Jahren werde "doppelt so viel geforscht werden wie in den 2500 Jahren seit Aristoteles bisher."

Wolfgang Frühwald verkörperte in seiner Person den Brückenschlag von den Geisteswissenschaften zu den Naturwissenschaften und der Medizin - deswegen konnte er Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Alexander von Humboldt-Stiftung werden, nur deswegen war er für die verschiedensten Regierungen und Politiker ein hoch geschätzter Berater - sei es im Technologierat des Altbundeskanzlers Helmut Kohl, sei es für die bayerische Landesregierung oder für das Land Niedersachsen.

Auch heute noch tritt Wolfgang Frühwald mit seinem Engagement in Hochschulräten in Fettnäpfchen. Traditionelle deutsche Professorenmeinung zu den Hochschulräten ist: Finger weg. Besonders Traditionsuniversitäten haben eine beinahe schon panisch zu nennende Furcht vor der Mitberatung durch Manager, führende Vertreter der Gesellschaft und elder statesmen, um herauszufinden, ob die Hochschulen noch etwas anderes als eine Wissenschaft um ihrer selbst Willen betreiben, oder ob auch die Forschung sowie die Studienorganisation etwas mit den Bedürfnissen einer Gesellschaft zu tun hat, die gelegentlich auf Effizienz und Umsetzung in verwertbare Produkte achtet. In Berlin hat sich Wolfgang Frühwald in dem Kuratorium neuer Art der Freien Universität engagiert, gerade weil sich die FU auf diesen neuen Weg der gesellschaftlichen Relevanz begeben will und Frühwald in der Stunde der Not, als diese von Spardruck und den Folgen der Studentenrevolte gebeutelte Universität ihn rief, sich nicht verweigerte.

Berlin hat Wolfgang Frühwald ohnehin einiges zu danken. Frühwald gehört zu den wenigen Reformern, die den deutschen Akademien der Wissenschaften einen Weg in die Moderne weisen. Die Berlin-Brandenburgische Akademie hat dies von Anfang an beabsichtigt - nicht ohne Grund hielt Wolfgang Frühwald die Eröffnungsrede. Akademien der Wissenschaften sollten sich, so seine These, nicht darin erschöpfen, Langzeitvorhaben für die Ewigkeit zu pflegen - selbst wenn das für die Geisteswissenschaften wichtig bleibt. Akademien sollten sich auch aktuellen Forschungsfragen zuwenden und Politik sowie Gesellschaft über wichtige Themen der Zeit beraten. Wenn Deutschland wenigstens 100 Wolfgang Frühwalds an den Universitäten hätte, wäre die Hochschulreform kein Dauerthema für Bedenkenträger und Humboldt-Nostalgiker, sondern schon längst Wirklichkeit.

Uwe Schlicht

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