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Gesundheit: Würde

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So formuliert das Grundgesetz bekanntlich den basalen Wert, auf dem die gesamte Rechtsordnung beruht (GG Art. 1 Abs. 1). Aufgrund der finsterlichen Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts wurde dieser Grundsatz außerdem mit einer „Ewigkeitsgarantie“ versehen (Art. 79 Abs. 3). Jeder Versuch einer Änderung wäre per se rechtsunwirksam. Wenn man fragt, warum ein in der Weimarer Reichsverfassung eher marginal erwähnter Wert 1949 so prominent verankert wurde, muss man an den deutschen Widerstand erinnern: So votierte beispielsweise der „Kreisauer Kreis“ in einer Erklärung aus dem Jahr 1943 für die „Anerkennung der unverletzlichen Würde der menschlichen Person als Grundlage der zu erstrebenden Rechts- und Friedensordnung“.

Was nach 1945 vielen ebenso selbstverständlich wie klar war, hat seither Klarheit wie Selbstverständlichkeit verloren. Wer erstmals die Erfahrungen, die dazu bewogen, an den Anfang des Grundgesetzes ein emphatisches Bekenntnis zur Würde des Menschen zu stellen, in der gegenteiligen Formulierung „Die Würde des Menschen ist antastbar“ zusammenfasste, weiß ich nicht. Im Handel ist jedenfalls ein Büchlein erhältlich, das unter diesem Titel Beiträge zusammenstellt, die Ulrike Meinhof in den Jahren 1959 bis 1969 in der Zeitschrift „Konkret“ veröffentlichte.

Außerdem ist fundamental unklar geworden, was eigentlich „Würde“ bedeutet. Das merkt man nicht nur an dem Versuch einiger Wissenschaftler, die Würde des Menschen für einen kulturell bedingten Zuschreibungsbegriff zu erklären und so in jenen grauen Nebel zu ziehen, in dem alle Dinge relativ sind. Dass weit über die Wissenschaft hinaus unklar geworden ist, was Würde bedeutet, kann man vor allem an der großen Hilflosigkeit gegenüber allen Zeichen der Würde eines Amtes, von Rang und Ehre erkennen. Viele festliche Anlässe in solchen Zusammenhängen verraten tiefe Unsicherheit beim Versuch, eine würdige – meint: der Würde des Amtes oder der Person angemessene – Feier zu gestalten.

In einer solchen Situation hilft nur präzises Nachdenken. Menschenwürde als unveräußerlicher Wert gehört zu den Wertsachen, die auch dann nicht zerstört werden können, wenn versucht wird, sie anzutasten, zu beschädigen oder zu vernichten. Die Würde des Alters wird durch das Abnehmen der Kräfte nicht gemindert und die Würde der Jugend durch mangelnde Erfahrung nicht aufgehoben. Am Begriff Menschenwürde trotz aller Schwierigkeiten mit ihm entschlossen festzuhalten, ist nach Brecht eine „List, die Wahrheit unter vielen zu verbreiten“. Da hat er nun wirklich recht.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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