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Gesundheit: Zahlenspieler

Bald wird es Studiengebühren auch in Deutschland geben, sagen Experten voraus. Aber wie? Drei Vorschläge

In spätestens fünf Jahren wird es in Deutschland vielerorts Studiengebühren geben. Das jedenfalls meinen viele Experten. Zwar sind Gebühren für das grundständige Studium bislang im Hochschulrahmengesetz verboten, Langzeitstudenten ausgenommen. Doch dagegen klagen die CDU-regierten Länder vor dem Bundesverfassungsgericht – mit vermutlich guten Chancen. Vielerorts wird deswegen bereits nicht mehr über das „Ob überhaupt“ diskutiert, sondern nur noch über das „Wie am Besten“. Denn die finanzielle Situation für die Hochschulen hat sich dramatisch verschlechtert. In ihrer Haushaltsnot vernichten die Länder immer mehr Studienplätze.

Wenn Deutschland Studiengebühren erhebt – wie könnte das dann vonstatten gehen? Folgende drei Modelle diskutierten Experten auf einer Tagung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Vertretung der Hochschulen in Deutschland, in Berlin.

1. Wandernde Studenten

Die HRK hat zusammen mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) diesen Vorschlag entwickelt: Die Gesetzgeber in den Bundesländern sollen den Hochschulen freistellen, ob sie Studiengebühren erheben wollen. Der Staat soll nur bestimmte Rahmenbedingungen für die freie Entscheidung der Hochschulen setzen. Zu diesen Spielregeln gehört eine „Obergrenze für die Gebührenhöhe“ und die Zusage, dass die Einnahmen aus Studiengebühren bei den Hochschulen bleiben. Sie dürfen nicht von den Finanzministern einkassiert werden. Denn die Hochschulen wollen mit den Gebühren die Lehr- bedingungen so verbessern, dass sie im Wettbewerb gut bestehen können.

Peter Gaehtgens, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, meint, dass es dann eine Wanderungsbewegung der Studenten geben könnte: von den Hochschulen, die Gebühren erheben, zu den Hochschulen, die auf Gebühren verzichten. Dafür könnten dann diejenigen Hochschulen, die Gebühren verlangen, die Betreuung der Studenten so verbessern, dass diese ihr Studium schneller und besser abschließen. Dies könne wiederum eine umgekehrte Wanderungsbewegung auslösen.

2. Später abstottern

Ein mögliches Pilotmodell stellte der Hamburger Wissenschaftssenator, Jörg Dräger (parteilos), in Berlin vor. Der Staat soll Studiengebühren bis zu einer Obergrenze von 2500 Euro pro Jahr ermöglichen. Diese Gebühren müssen alle bezahlen. Deshalb soll das Bafög dann zu 100 Prozent als Zuschuss gewährt werden – und nicht wie heute zur Hälfte als ein rückzahlbares Darlehen. Außerdem müsse mit den Banken eine zinsgünstige Darlehensregelung verabredet werden, damit die Studenten, die die Studiengebühren nicht aufbringen, ihr Studium durch Kredite finanzieren können. Die Studenten müssen das Darlehen erst dann zurückzahlen, wenn sie ein entsprechendes Einkommen erzielen. Dräger machte folgende Rechnung auf: Für ein Studium von zehn Semestern könnte das Darlehen innerhalb von zehn Jahren nach dem Examen zurückgezahlt werden, wenn dafür acht Prozent des Jahreseinkommens und zusätzlich fünf Prozent Zinsen abgezogen würden.

Der Hamburger Wissenschaftssenator nennt eine wesentliche Voraussetzung für dieses Gebührenmodell: Die Ministerpräsidenten der Länder müssen sich vertraglich verpflichten, den Hochschulen die Einnahmen aus den Studiengebühren zu belassen. Mit anderen Worten: Die Finanzminister dürfen die Studiengebühren nicht benutzen, um Löcher im allgemeinen Staatshaushalt zu stopfen oder deswegen den Staatszuschuss für die Hochschulen weiter zu kürzen.

3. Mach’s australisch

Drägers Modell ähnelt der australischen Lösung, die dort unter der Abkürzung HECS (Higher Education Contribution Scheme) seit 1988 gültig ist. Die meisten Studenten sind erst dann zur Zahlung verpflichtet, wenn sie im Beruf Erfolg haben und über ein entsprechendes Einkommen verfügen. Bisher hat die australische Regierung dafür gesorgt, dass die Gebühren je nach Fach variieren. Aber für alle Fächer gibt es Obergrenzen. In den billigen Studiengängen wie den Geistes- und Sozialwissenschaften wird eine Jahresgebühr in Höhe von umgerechnet 2171 Euro verlangt. In den anspruchsvolleren Studiengängen, in denen eine technische Ausstattung mit Geräten oder Labors benötigt wird, liegen die Studiengebühren bei 3092 Euro jährlich. In der Humanmedizin, der Zahnmedizin, der Veterinärmedizin und Rechtswissenschaften kostet das Studium 3620 Euro.

Die Rechtswissenschaften sind deswegen so teuer, weil Anwälte und Richter in Australien besonders gut verdienen. Deswegen müssen die Juristen trotz geringer Kosten für den Lehrbetrieb mit die höchsten Gebühren zahlen. Umgekehrt ist es in den Heil- und Pflegeberufen in der Medizin – ausgenommen die Ärzte. Dort ist die Ausbildung eigentlich teuer, aber es gibt einen so hohen Bedarf an Pflegekräften, dass der Staat diese Ausbildung hoch subventioniert. So bleiben die Gebühren niedrig.

Studenten, die die Gebühren für ihr Studium im Voraus bezahlen, bekommen bei der Rückzahlung 25 Prozent Ermäßigung. Studenten, die einen Teil der Studiengebühren sofort aufbringen und einen Teil erst später, erhalten ebenfalls Rabatt. Zur Rückzahlung sind die Absolventen erst ab einem Mindesteinkommen von 14 375 Euro pro Jahr verpflichtet. Wer 15 159 Euro verdient, muss drei Prozent seines Jahreseinkommens als HECS-Rate zurückzahlen. Die Rückzahlung steigert sich bis auf sechs Prozent des Jahreseinkommens für gut verdienende Australier, die 25 876 Euro und mehr im Jahr einnehmen.

Das Erstaunliche: Dieses System wirkt nicht abschreckend. Die Australier haben ihre Hochschulexpansion zu einem großen Teil mit Hilfe von HECS finanziert. Wurden in den 1980er Jahren noch 300 000 australische Studenten gezählt, so sind es heute über 720 000 Studenten. Der Staat hat sich auch nicht aus der Hochschulfinanzierung zurückgezogen, er hat nur die Finanzströme anders gelenkt.

Im Jahr 1981 gab es noch keine Studiengebühren, und der Staat brachte 90 Prozent der Hochschulkosten auf. Seitdem HECS eingeführt wurde, steigerte sich der Anteil der Hochschulfinanzierung aus den Gebühreneinnahmen auf heute 38 Prozent. Nach wie vor finanziert der Staat 50 Prozent der Hochschuletats. Der Rest kommt durch Drittmitteleinwerbungen, Spenden und Gewinne aus Vermögen in die Kassen der Hochschulen.

Ausländische Studenten sollen sich keine Illusionen machen, dass sie wie die Australier von HECS profitieren können. Wer aus dem Ausland kommt, muss 15 000 australische Dollar pro Jahr zahlen. Dennoch ist Australien für die asiatischen Schwellenländer ein begehrtes Studienland geworden. Allein 175 000 ausländische Studenten kommen auf den fünften Kontinent und gelten als ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Australien.

Uwe Schlicht

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