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Gesundheit: Zeitzeugen der Dinosaurier

Der älteste Bernstein der Welt hat 220 Millionen Jahre alte Kleinstlebewesen konserviert

SCHALENAMÖBE

JOCHALGE

PILZ MIT SPOREN

Eine Mücke sticht einen Dinosaurier. Noch bevor sie das Blut verdaut hat, bleibt sie am Harz eines Baumes kleben und verendet. Hunderte Millionen Jahre später finden Forscher die tote Mücke in Bernstein eingegossen. Aus ihrer letzten Mahlzeit gewinnen sie Überreste der Dinosaurier-DNS. Die Erbinformation der ausgestorbenen Riesenechsen pflanzen sie in Straußeneier ein – und heraus kommen muntere kleine Dinosaurier-Babys. So einfach ist das in Steven Spielbergs Kinofilm „Jurassic Park“ (1993), der auf dem Roman „DinoPark“ des Amerikaners Michael Crichton beruht.

Alles Science-Fiction? Forscher aus Berlin und Italien haben jetzt in den Dolomiten – einer Gebirgskette in den südlichen Kalkalpen – in Bernstein eingeschlossene Fossilien entdeckt, die tatsächlich 220 Millionen Jahre alt sind, also von Lebewesen stammen, die zu Zeiten der Dinosaurier lebten.

Damit sind diese Fossilien von Algen, Amöben, Pilzen und Bakterien die ältesten Bernsteineinschlüsse, die jemals entdeckt wurden. Ihren sensationellen Fund haben die Wissenschaftler um Alexander Schmidt vom Museum für Naturkunde der Berliner Humboldt-Universität im Fachblatt „Nature“ (Band 444, Seite 835) beschrieben.

In Bernstein konservierte Fossilien wurden bisher zwar schon häufig in baltischem oder dominikanischem Bernstein gefunden, aber sie waren in der Regel nicht älter als 50 Millionen Jahre. Vereinzelt entdeckten Paläontologen in verschiedenen Regionen der Erde auch schon 135 Millionen Jahre alte Einschlüsse (Inklusen) aus der Kreidezeit – doch die in Bernstein eingeschlossenen Mikroorganismen aus den Dolomiten stammen aus dem Erdzeitalter Trias, der ersten Epoche des Erdmittelalters (Mesozoikum).

Verblüffend an den in Italien entdeckten Fossilien ist aber nicht nur das enorme Alter. Erstaunlich ist auch, „dass sich die Gestalt der konservierten Mikroorganismen kaum oder gar nicht von der heutiger Amöben, Pilze, Wimpertierchen oder Algen unterscheidet“, sagt Alexander Schmidt. „Würde man solche toten Organismen heute irgendwo finden, käme man nicht auf die Idee, dass sie 220 Millionen Jahre alt sein könnten, denn diese Gattungen gibt es immer noch überall, zum Beispiel auf der Rinde von Bäumen in feuchten Wäldern.“ Vermutlich hat sich die Beschaffenheit der Lebensräume dieser Mikroorganismen im Laufe der Jahrmillionen kaum verändert, weshalb diese Lebewesen nicht unter Evolutionsdruck standen, sich also nicht an veränderte Umweltbedingungen anpassen mussten. „Feuchte Stellen an der Rinde von Bäumen gab es in den von Dinosauriern bevölkerten Wäldern genauso wie heute“, erklärt der Biologe.

Er ist seit drei Jahren am Naturkundemuseum an der Invalidenstraße. In einem kleinen Büro im Seitenflügel des Gebäudes untersucht er gemeinsam mit einer Assistentin die Bernsteintropfen unterm Mikroskop. Im Hof des Museums werden im Moment Ruinen wiederaufgebaut, die noch nicht bezogen werden können. Hier sieht nichts nach High-Tech aus, wie im Kinofilm Jurassic-Park. Die Bernsteinkörnchen werden ganz klassisch auf Objektträgern fixiert und eines nach dem anderen durchleuchtet.

Im Sommer 2005 war Schmidt das erste Mal in den Skiort Cortina d’Ampezzo gefahren, um die Entdeckung der italienischen Kollegen zu begutachten. Die Forscher von der Uni Padua hatten in den Dolomiten einen fünf Zentimeter dicken Paläosol gefunden. „Das ist eine urzeitliche Waldbodenschicht, die zwischen Gesteinsschichten überdauert hat“, erklärt Schmidt, während er an seinem Laptop Fotos aus Italien heraussucht. „Diese Schicht konnte auf einer Länge von rund 100 Metern freigelegt werden – das abgetragene Material enthält den uralten Bernstein.“ Die Italiener hatten sich nach ihrer Entdeckung bei Alexander Schmidt gemeldet, denn der Berliner Biologe ist Experte für mikrobiologische Inklusen. „Vorher hatten die Kollegen untersucht, welche Art von Bäumen auf der Waldbodenschicht gewachsen sein könnte“ , erzählt Schmidt, der eine CD mit Digitalfotos gefunden hat und begeistert von einem Bild zum anderen klickt.

„Man muss schon klettern können“, sagt er und zeigt auf ein Foto, das die Forscher an der steilen Felswand zeigt, an der die Waldbodenschicht aus Dinosaurierzeiten zu sehen ist. „Zum Glück ist das Gelände schwer zugänglich, so dass der Bernstein dort nicht kommerziell gesammelt wird.“

Schmidt und seine Kollegen sind auch deshalb besonders stolz auf ihren Fund, weil in den bräunlich schimmernden Bernsteintropfen „viele verschiedene Organismen aus einem Ökosystem eingeschlossen sind“. Das lässt Rückschlüsse auf die Wechselwirkungen zwischen den Tieren und Pflanzen zu, die im Erdzeitalter der Trias lebten. Das Besondere an den Bernsteineinschlüssen ist außerdem, dass es sich dabei um Überreste von Landbewohnern handelt. Die meisten anderen Fossilien sind versteinerte Schalen von Meerestieren, deren weiche Körperteile verrottet sind. Der Bernstein hat auch Körper ohne feste Schale konserviert, von denen nach ihrem Tod nichts übrig geblieben wäre, wenn sie nicht luftdicht „verpackt“ worden wären.

Dass man solche Organismen durch konservierte DNS wiederbeleben könnte, wie in „Jurassic Park“, glaubt Schmidt allerdings nicht. „Wir sind heute ziemlich sicher, dass sich DNS-Stränge keine 220 Millionen Jahre halten“, sagt er. Und selbst wenn in einem der sesamkorngroßen Tropfen Fragmente von Erbgut gefunden werden würden, „wäre kaum zu klären, ob es sich dabei um urzeitliche DNS oder nachträgliche Verunreinigungen handelt.“ Zu versuchen, solche DNS-Reste zu vervielfältigen und zu decodieren, hält Schmidt für rausgeschmissenes Geld: „Es würde zu 99 Prozent nicht klappen – und selbst wenn, wären keine sensationellen Erkenntnisse zu erwarten.“ Denn die Ähnlichkeit der fossilen Mikroorganismen mit heutigen Gattungen lässt auf ähnliches Erbgut schließen. Schmidt konzentriert sich jetzt darauf, die Bernsteintröpfchen aus den Dolomiten weiter auf Einschlüsse zu durchsuchen. „Wir haben mehrere Einkaufstüten voll Schutt und Erde aus Italien mitgebracht“, erzählt er.

Körnchen für Körnchen durchleuchtet Schmidts Assistentin unterm Mikroskop. Das wird noch mindestens ein halbes Jahr dauern. „Etwa in jedem 100. Tropfen finden wir etwas“, sagt Alexander Schmidt, der durchaus noch mit Überraschungen rechnet. „Wir stoßen immer noch auf Gattungen in den Tröpfchen, die bisher noch nicht dabei waren“.

Dagny Lüdemann

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