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Gesundheit: Zellen des Widerstands

HIV, Tuberkulose, Vogelgrippe: Gefährliche Erreger werden immer resistenter gegen Medikamente

Der Fall sorgte letzte Woche für Schlagzeilen: Bei einem homosexuellen New Yorker Mann soll die Immunschwächekrankheit Aids nur wenige Monate nach der Ansteckung ausgebrochen sein. Besonders gefährlich: 19 von 20 Aidsmedikamenten konnten gegen das Virus nichts ausrichten. Noch streiten sich die Experten darüber, ob man es tatsächlich mit einem „superresistenten“ Erreger zu tun hat.

Sicher aber ist: Haben Forscher früher noch geglaubt, Seuchen eines Tages ausrotten zu können, so wissen sie heute, dass dies unmöglich ist. Zu schnell wandeln sich die Erreger, werden resistent und bleiben der Wissenschaft immer eine Nasenlänge voraus. Auch die moderne Medizin kann die alten Plagen nicht besiegen und ständig kommen neue hinzu. Da sich Viren und Bakterien heute so schnell wie nie zuvor um den Erdball verbreiten, sollten auch Menschen in Wohlstandsländern sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Davor warnten kürzlich hochrangige Experten auf einer Veranstaltung der Leibniz-Gemeinschaft in Hamburg.

Beispiel „Sars“. Dass die Lungenerkrankung im Jahr 2003 mit rund 800 Toten aus epidemiologischer Sicht relativ glimpflich abgelaufen ist, liegt vor allem an einer Besonderheit des Erregers. „Der Patient wird nämlich erst dann infektiös, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist“, sagte Bernhard Fleischer, Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg, an dem das neue Sars-Virus identifiziert wurde. „Das ermöglichte den Ärzten, Erkrankte anhand der Symptome zu erkennen und rechtzeitig in Quarantäne zu nehmen.“

Die meisten anderen Seuchen machen es den Ärzten nicht so einfach. Allen voran Aids. Die Betroffenen sind lange vorher infektiös, ehe sie selbst etwas von ihrer HIV-Infektion merken. Der Glaube an den medizinischen Fortschritt wirkt sich hier sogar kontraproduktiv aus, wie Joachim Hauber, Wissenschaftlicher Direktor des Heinrich-Pette-Instituts für Experimentelle Virologie und Immunologie in Hamburg, sagte: „Jedes Jahr haben wir rund 2500 Neuinfektionen in Deutschland. Und das Schlimme ist, dass diese Zahl seit zehn Jahren unverändert ist.“ Als wäre die Aufklärungskampagne spurlos an der Bevölkerung vorbeigegangen.

Dabei bilden die 20- bis 40-Jährigen die größte Gruppe der Neuinfizierten, und der September ist jedesmal der Monat, an dem die meisten neuen HIV-Fälle registriert werden – wenn also die Leute aus dem Urlaub zurückgekommen sind, wie der Experte Hauber folgert, wo sie sich offenbar ohne Kondom vergnügt hätten.

Die weit verbreitete Nonchalance gegenüber dieser schweren, unheilbaren Krankheit kann er nicht nachvollziehen. Auf die Erkrankten kommt eine lebenslange Therapie zu, die vielleicht mit drei Pillen täglich beginnt, sich nach ein paar Jahren aber auf bis zu 20 verschiedene Medikamente steigern kann. Die Betroffenen leiden unter starken Nebenwirkungen, müssen eventuell eine spezielle Diät einhalten und mit gehäuft auftretenden Infektionen fertig werden. Die Nebenwirkungen führen oft dazu, dass die Kranken ihre Pilleneinnahme reduzieren, wodurch es zu Resistenzen der Viren kommt. Ein Teufelskreis.

Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, dass in Deutschland so wenig Geld in die Forschung gesteckt würde. Hauber rechnet vor: Während die USA 7,35 Euro pro Kopf ihrer Bevölkerung in die Aidsforschung investieren, seien es hierzulande gerade mal neun Cent. Außerdem gibt es bei uns keine Stiftung, die virologische Grundlagenforschung unterstützen würde – im Gegensatz zu diversen Krebsstiftungen.

Bei der Entwicklung einer besseren Aidstherapie haben Forscher immerhin einen neuen Weg eingeschlagen. Sie wollen das Virus künftig nicht mehr nur direkt bekämpfen, sondern die von ihm befallenen Zellen, mit deren Hilfe sich HIV vermehrt. Doch bis aus diesem Ansatz wirksame Medikamente auf dem Markt sind, vergehen noch mindestens zehn Jahre. Das liegt an den ebenso aufwendigen wie notwendigen klinischen Tests.

Tuberkulose gehört ebenfalls zu den unterschätzten Krankheiten. Die in Westeuropa längst überkommen geglaubte Seuche, die schon die alten Ägypter heimgesucht hat, ist wieder da. „7000 bis 7500 Menschen erkranken pro Jahr in Deutschland“, sagte Sabine Rüsch-Gerdes, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Mykobakterien und Wissenschaftlerin am Forschungszentrum Borstel. „500 bis 600 Menschen sterben jährlich daran.“ Das Tuberkelbazillus wurde 1882 von Robert Koch entdeckt und später selbst in ägyptischen Mumien nachgewiesen. Entgegen eines hartnäckigen Vorurteils betrifft die „Schwindsucht“ nicht nur Obdachlose oder Alkoholiker. Das größte Problem bei uns ist, dass die Krankheit nicht erkannt wird: Viele Ärzte verwechseln sie mit einem grippalen Infekt und lassen sie unbehandelt. Via Tröpfcheninfektion, also Husten, Sprechen, Niesen, verbreiten sich die Erreger munter weiter, in Bussen, Bahnen, Diskos – wo immer viele Menschen beisammen sind. „Dabei lässt sich eine rechtzeitig erkannte Tbc in sechs Monaten ausheilen“, sagte Rüsch-Gerdes. Zumindest in Wohlstandsländern.

Anders sieht es in ärmeren Ländern aus, etwa in den ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion, wo die Patienten in einigen Regionen das Geld für eine Therapie selbst aufbringen müssen. Unter anderem durch wirtschaftliche Not haben sich in Zentralasien mittlerweile resistente Tuberkulosestämme gebildet. Seit 1998 gibt es in Deutschland keine Impfung mehr, weil sie keinen ausreichenden Schutz bietet. Angesichts von weltweit zehn Millionen Neuerkrankungen pro Jahr und zwei bis drei Millionen Menschen, die an Tuberkulose sterben, ist es dringend notwendig, die Infektionsketten zu unterbrechen. Doch Geldmangel, Korruption und eine unterentwickelte medizinische Infrastruktur behindern den Kampf gegen Tuberkulose. „In stark betroffenen Ländern müssen die Gesundheitssysteme stabilisiert werden“, empfahl Rüsch-Gerdes. „Dort zu helfen, wäre auch die beste Prävention für Deutschland.“

Nächstes Risiko: Vogelgrippe. An der Entwicklung eines Impfstoffs wird derzeit fieberhaft gearbeitet. Noch wird das Virus nicht von Mensch zu Mensch übertragen. Viele Experten, wie die der Weltgesundheitsorganisation WHO, befürchten, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis es dem hochwandelbaren Erreger gelingt, diese Barriere zu überwinden.

Wie sehr der Mensch für diese Seuche verantwortlich ist, darauf wies Bernhard Fleischer vom Hamburger Tropeninstitut hin: „Erst die Massenvogelhaltung hat aus einem harmlosen Virus ein gefährliches gemacht. Anfangs verursachte es beim Huhn nur einen Schnupfen. Bei der Übertragung von einem Huhn zum anderen wurde es immer gefährlicher. Inzwischen tötet es ein Huhn innerhalb von 24 Stunden.“ Das gleiche könnte auch bei uns, in den Massenhühnerhaltungen Europas oder den USA passieren.

Die große Herausforderung, darin waren sich die Experten einig, liege nun darin, die Kombination aus enorm gewachsener Mobilität und dem Heranzüchten resistenter Erreger vor allem in Entwicklungsländern in den Griff zu kriegen.

Monika Rößiger

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