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Gesundheit: Zwergenaufstand

Die Nanotechnik erobert den Markt – über ihre Risiken ist bisher nur wenig bekannt. Klein, aber unfein?

Die Erwartungen an die Nanotechnik sind hoch. Denn schon drängen die ersten großen Anwendungen der Ingenieurskunst auf einer Größenordnung von nur wenigen Millionstel Millimetern auf den Markt. Die Fragen nach der Sicherheit der jungen Technologie und nach Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt sind allerdings noch immer ungeklärt. Und über eine solche Risikodebatte droht, nach der Gentechnik, auch die Nanotechnik zu stolpern.

Die Welt des Allerkleinsten beflügelt längst nicht mehr nur die Forschung. Vor allem nach den Vorstellungen der Wirtschaft soll aus dem Nano-Zwerg möglichst rasch ein Riese werden. In allen Industrienationen gilt die Nanotechnik als Inbegriff einer Zukunftstechnologie. Im Jahr 2012, schätzt die US-Regierung, werde die Nanoindustrie 1000 Milliarden Dollar einbringen. 3,5 Milliarden Forschungsgeld fließen derzeit weltweit pro Jahr in die Nano-Forschung.

Tatsächlich finden bereits etliche Produkte, die Nanoteilchen enthalten, reißenden Absatz. Künstlich manipulierte Strukturen zwischen einem und 100 Nanometer Größe kommen in allen Industriebereichen in die Regale. Allein in den USA sind inzwischen etwa 130 verschiedene Nanoprodukte auf dem Markt. Als Beimischung oder Beschichtung verleiht „Nano“ bekannten Materialien heute ungeahnte Bruchsicherheit, Härte oder elektrische Leitfähigkeit.

Beispiel Auto: Selbstverdunkelnde Rückspiegel, die dem Blender von hinten keine Chance lassen, verdanken ihre Funktion dem Nanodesign. In „elektrochromem“ Glas bilden sich – gesteuert über eine elektrische Spannung – zwischen den einzelnen Schichten der Scheibe große Moleküle, die das Glas dunkel werden lassen. Als Sonderaustattung bietet mittlerweile jeder Autohersteller Nanospiegel an.

In Windschutzscheiben befinden sich dagegen winzige Partikel, die Wärme und Sonnenlicht effizient reflektieren – ein Nanoeffekt, den sich auch Nano-Sonnencremes zunutze machen. Diese schützen durch Zugabe von nur wenigen Nanometer großen Körnchen aus Titandioxid besser als jede andere Creme.

Daneben findet sich Nano in einem neuen Auto in Benzinleitungen, Filterbeschichtungen und Motorölen. Sie sollen dank der besonderen Eigenschaften statische Aufladungen vermeiden, wirksam die Luft reinhalten, die Reibung mindern oder aber den Verbrauch senken.

Nicht zuletzt machen Nanolacke das Blech des Wagens unankratzbar. Speziell trainierte „Silanol“-Moleküle bilden bei der Lackierung auf der Oberfläche ein lückenloses Netzwerk und lassen den Autolack unter dem Mikroskop aussehen wie einen perfekt gepflegten englischen Rasen. Der Effekt: Selbst eifrigstes Waschen lässt den Lack nicht stumpf werden. Ähnliche Mechanismen nutzt die Industrie bei Beschichtungen von Dachziegeln, Duschwänden und Kacheln, die Schmutz und Nässe abweisen.

Den Siegeszug der Nanotechnik sehen allerdings nicht alle Beteiligten mit Freude. Über das Risiko, das von den neuen Materialien in Sonnencremes, Rückspiegeln und Dachziegeln ausgeht, ist bisher so gut wie nichts bekannt. Erst jüngst hat aus diesem Grund selbst das technologiefreundliche amerikanische Fachblatt „Science“ davor gewarnt, dass die Nanoprodukte das Schicksal von Asbest ereilen könnte: hochwirksam, aber hochgiftig.

Kritiker befürchten vor allem, dass gängige Mechanismen zur Risikobewertung beim Thema Nano nicht wirksam sind. „Schon die Entscheidung, wie man Nanopartikel auf ihre Giftigkeit testet, macht Probleme“, sagte Vicky Colvin kürzlich in „Science“. Die Professorin der Rice-Universität in Houston gilt als eine der wenigen Expertinnen in der Frage nach dem Effekt von Nanomaterialien auf Umwelt und Gesundheit.

Bedenkenträger sehen vor allem ein Problem: Gerade das, was Nanomaterialien für die Technik interessant werden lässt, macht die Untersuchung des Risikos so kompliziert. Nanoteilchen ändern ihre optischen chemischen und elektrischen Eigenschaften mit der Größe. Normalerweise undurchsichtige Substanzen – wie etwa das Titandioxid in der Sonnencreme – werden als winzige Partikel durchsichtig. Ansonsten chemisch relativ träge Stoffe wie das Edelmetall Gold verwandeln sich als Nanoklumpen zu hoch reaktiven Elementen.

Bisher wird die Gefährlichkeit von Stoffen jedoch aufgrund ihres chemischen Aufbaus und nicht ihrer Größe eingeschätzt. Doch wenn das Aussehen auch die Eigenschaften bestimmt, welche Größe sollen Forscher bei einer Risikobewertung untersuchen?

Einige Hinweise, dass spezielle Nanoteilchen durchaus mit Vorsicht zu behandeln sind, gibt es bereits. So hat die Toxikologin Eva Oberdörster von der Southern Methodist Universität in Dallas im April von Fischen berichtet, in deren Gehirnen fußballförmige Kohlenstoffatome („Buckyballs“) die Zellmembranen beschädigten. In den Lungen von Ratten dagegen richteten ebenfalls aus Kohlenstoff gefertigte Nanoröhrchen Unheil an. Die filigranen Nanostrukturen verklumpten, führten zu Atemproblemen und schädigten das Gewebe.

Schon in den Kindertagen der neuen Technologie gibt es aus diesem Grund Stimmen, die ein Moratorium und den Stopp der Nanoforschung fordern. Bis die Risiken endlich geklärt sind.

Auch in Deutschland sehen die Nanoforscher diese Entwicklung mit Sorge. Sie versuchen eifrig, die Frage der Sicherheit zu klären, um eine politische Debatte wie bei der grünen Gentechnik zu vermeiden. Nicht zufällig wird in den nächsten Wochen das Bundesforschungsministerium die Ergebnisse zweier Studien zur Nachhaltigkeit und zu Gesundheitsaspekten der Nanotechnik veröffentlichen. Eine weitere Studie zur Giftigkeit von Nanostoffen ist bereits in Vorbereitung.

Kürzlich hat sich sogar einer der bisher schärfsten Kritiker der Nanotechnologie beschwichtigend zu Wort gemeldet. Der Leiter des Foresight-Instituts in Palo Alto, Eric Drexler, hatte seit Mitte der 80er Jahre immer wieder davor gewarnt, in den Nanolabors könnten fortpflanzungsfähige Nanoroboter entstehen, die sich unkontrollierbar auf der Erde verbreiten könnten.

Zumindest diese Sorge der Roboter-Apokalypse scheint jedoch jetzt vom Tisch. Im Fachblatt „Nanotechnology“ vollzog Drexler nun eine überraschende Kehrtwende:

Zwar könnten Partikel mitunter gesundheitsschädlich sein, schreibt Drexler. Aber die Nanomaschinen würden wohl eher über die Fortpflanzungsfähigkeit eines normalen Tintenstrahl-Druckers verfügen. „Es ist denkbar unwahrscheinlich, dass eine Druckmaschine ausrastet, sich vermehrt, intelligent wird und anfängt Menschen zu fressen.“

Tobias Beck

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