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Überwachungsvideo

© Tsp

Gesundheitswesen: Was in deutschen Notaufnahmen passiert

Eine Überwachungskamera hat Entsetzliches dokumentiert: In einem New Yorker Krankenhaus starb eine Patientin qualvoll, weil sie 24 Stunden lang in der Notaufnahme "übersehen" worden war. Deutsche Krankenhäuser haben zwar zu wenig Personal, doch Fachleute halten derartiges trotz allem nicht für wahrscheinlich.

Der Fall in den USA: Eine 49-Jährige sitzt 24 Stunden lang in der Notaufnahme des Kings County Hospital. Keiner kümmert sich um sie. Als sie am frühen Morgen des 19. Juni von ihrem Stuhl fällt, mit dem Gesicht auf dem Boden aufschlägt und krampfartige Anfälle bekommt, reagiert niemand. Andere Patienten und ein Wachmann des Krankenhauses lassen sie liegen. Erst nach einer Stunde kommt eine Krankenschwester, die einen Sanitäter dazu ruft. Viel zu spät, die Frau war schon tot. Ist so etwas auch in Deutschland möglich?

In deutschen Notaufnahmen gibt es Probleme. So berichtet Berlins Patientenbeauftragte Karin Stötzner, dass sie Fällen von "sehr langen, nicht nachvollziehbaren Wartezeiten" in Notaufnahmen nachgehen musste. Sie hat die Fälle überprüft und jene dokumentiert, die stichhaltig waren. Die betroffenen Patienten der Kliniken hatten laut Stötzner aber keine gesundheitlichen Schäden aus der langen Wartezeit. In Berliner Notaufnahmen gibt es unterschiedliche Konzepte, nach denen das Pflegepersonal einschätzt, wie dringend ein Patient behandelt werden muss. Eines davon ist die "Manchester-Triage". Ihre fünf Stufen reichen von "Sofort" über "Sehr dringend" bis "Nicht dringend". Zum Beispiel "Sehr dringend" bedeutet, dass ein Patient innerhalb von zehn Minuten versorgt sein muss. Aber auch "Nicht dringend" legt fest, dass spätestens nach zwei Stunden etwas passiert sein muss. Die Berliner Charité hat als erste Klinik diese Triage eingeführt.

Wenig Personal in den Notaufnahmen

Kommen allerdings mehrere Patienten auf einmal in die Notaufnahme, die alle sehr dringend behandelt werden müssen, gibt es ein Problem. "Berlins Kliniken diskutieren darüber, dass das Personal in den Notaufnahmen nicht ausreicht", sagt Stötzner zu tagesspiegel.de. Krankenhäuser, Krankenkassen und Kassenärzte müssen sich hier einigen. Da es um letztlich nicht vorhandenes Geld geht, schieben alle den schwarzen Peter hin und her. "Die Politik hat keine unmittelbaren Einflussmöglichkeiten", muss Stötzner feststellen. Die Patientenbeauftragte ist die einzige ihrer Art. Außer Berlin hat bisher kein Bundesland eine solche Stelle geschaffen, an die sich landesweit Patienten mit ihren Problemen wenden können.

Auch Wolfram-Arnim Candidus von der Gesellschaft für Versicherte und Patienten kritisiert gegenüber tagesspiegel.de das deutsche System der Notfallversorgung. Eigentlich sollten sich Patienten in Notfällen an niedergelassene Ärzte wenden können. Doch an einem Freitagnachmittag hätten viele Praxen geschlossen, oder Ärzte hätten am Quartalsende bereits ihr Budget erschöpft und machten gar nicht mehr auf. "Wartezeiten in Kliniken kommen vom Personalabbau in den Kliniken. Doch wir haben es versäumt, eine hinreichende ambulante Versorgung aufzubauen", bemängelt Candidus. Er sieht das Problem vor allem in der Deckelung der Ausgaben. So könne es vorkommen, dass in Hessen ein Herzinfarktpatient an mehreren Notaufnahmen abgewiesen wurde, bis er an einer weiteren Klinik aufgenommen wurde - weil das Budget der anderen Kliniken ausgeschöpft war. Ein Patient hat Candidus empört von diesem Fall berichtet.

Kliniken: Nicht möglich

Entsetzliche Fälle wie der in den USA seien in Deutschland nicht möglich, sagt Holger Mages von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. "In einer Notaufnahme muss es eine Einschätzung des Arztes geben, was lebensgefährlich ist und was kurz warten kann", sagt der Pressesprecher. Finanzielle Probleme von Krankenhäusern wirken sich nicht auf die Notaufnahmen aus, sagt Mages. Grundsätzlich könnten auch Ärzte in Krankenhäusern Fehler machen und falsch einschätzen, wie dringend ein Patient behandelt werden müsste. "Doch ein Arzt muss unmittelbar entscheiden, in den USA wurde die Frau einfach nicht untersucht", stellt Mages klar. Ihm ist in Deutschland kein Fall bekannt, bei dem ein Patient in der Notaufnahme übersehen worden sei.

Michael Hörz

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