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Panorama: Geteiltes Leben

In einer beispiellosen zweitägigen Operation versuchen derzeit Ärzte, erwachsene siamesische Zwillinge zu trennen

Laleh Bijani liebt Puzzles, Computerspiele und Katzen. Sie ist eher schweigsam und introviert, anders als Ladan, ihre Zwillingsschwester, die energisch auftritt und Katzen nicht leiden kann. Beide kamen im Januar 1974 im Iran zur Welt. Ladan zuliebe studierte Laleh Jura, obwohl sie Journalistin werden wollte. Doch die eine kann nicht ohne die andere, im Mutterleib wuchsen sie an den Köpfen zusammen. Jetzt will ein internationales Team von 24 Spezialisten und hundert medizinischen Assistenten im Raffles Hospital, einer Privatklinik in Singapur, die siamesischen Zwillinge trennen.

Chance 50:50

Seit gestern morgen, zehn Uhr Ortszeit, läuft die Operation, bei der erstmals versucht wird, erwachsene siamesische Zwillinge zu trennen, die am Kopf zusammengewachsen sind. „Operation Hoffnung" tauften die Ärzte den Eingriff. Dabei wissen sie sehr genau, dass er auch ein tragisches Ende nehmen kann. In einem handschriftlichen Brief, den die Klinik auf ihrer Homepage veröffentlicht, bitten Laleh und Ladan ihre Freunde: „Betet für uns".

Nur an Babys wurden solche Eingriffe bislang gewagt. „Vier von fünf siamesischen Zwillingen sterben dabei oder tragen schwere Behinderungen davon", sagt Keith Goh, leitender Neurochirurg. Er trennte im April 2001 in Singapur ein elf Monate altes nepalesisches Zwillingspaar, das am Hinterkopf zusammengewachsen war. Laleh und Ladan hatten davon gehört. Beide Schwestern haben ein eigenes Gehirn. Sie teilen sich die Schädeldecke und die Hauptvene am Hinterkopf, über die das Blut zurück in den Körper fließt. Eine letzte Untersuchung am Samstag ergab definitiv, dass nur ein Zwilling diese Vene behalten kann. Für die andere muss eine Ersatzvene aus dem Bein geschaffen werden - ein blutiger und äußerst riskanter Eingriff, den man bisher allenfalls bei unheilbaren Krebspatienten im Endstadium wagt. Wer die Vene behält und wer den künstlichen Bypass bekommt, soll erst während der Operation entschieden werden.

Vor Jahren hatten sich die Zwillingsschwestern auch in Deutschland vorgestellt. Die Heidelberger Ärzte befanden, dass eine Operation nicht zu verantworten sei. Die Gehirne seien zu eng miteinander verbunden. Die Ärzte in Singapur stützen sich vor allem auf neue bildgebende Verfahren und Computermodelle, an denen sich die Operation virtuell üben ließ. Doch die Sache bleibt ein Vabanquespiel. Benjamin Carson, Direktor der Abteilung für pädiatrische Neurochirurgie am Johns Hopkins Hospital in Baltimore (US-Bundesstaat Maryland), der bei der Operation assistiert, gibt den Zwillingen eine „50 zu 50-Chance". Dennoch glaubt er, das Risiko eingehen zu dürfen: „Für zwei so intelligente Menschen könnte die Tatsache, dass sie nicht ihrer eigenen Wege gehen können, ein schlimmeres Schicksal sein als der Tod." Drei Mal hat Carson schon versucht, an den Köpfen zusammengewachsene Zwillinge voneinander zu trennen, zum ersten Mal 1987. Patrick und Benjamin Binder hießen die Kinder, ein damals sieben Monate altes Zwillingspaar aus Ulm. Die Kinder trugen schwerste Hirnschäden davon. Trotzdem nennt das Raffles Hospital die damalige Trennung heute noch einen „Erfolg". Ein südafrikanisches Zwillingspaar, das Carson 1994 operierte, starb nach wenigen Stunden. Über das Schicksal des anderen, 1997 getrennt, wurde nichts mehr bekannt.

„Wir werden nichts verbergen, egal wie die Sache ausgeht", versprach Goh, der sich darüber im Klaren ist, dass sich die entwickelten Gehirne erwachsener Frauen mit denen von Säuglingen kaum vergleichen lassen. „Wir sind Individuen, wir sind gegensätzlich. Wir haben unterschiedliche Pläne für unser Leben", sagte Laleh im Juni bei einer Pressekonferenz. „Unser Schicksal liegt in Gottes Hand", erklärte Ladan. „Wir denken nicht darüber nach, wer von uns leben und wer sterben wird."

Auf ethische Zweifel an der Operation reagiert die Klinik kurz angebunden: „Mit beiden wurde gesprochen. Die Entscheidung war einmütig", sagt die Pressesprecherin des Raffles Hospital, Liang Hwee Ting.

Irene Meichsner

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