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Panorama: Gewalt im Verhör – was darf die Polizei?

Fahnder drohten dem Entführer von Jakob von Metzler mit Folter/Nun drohen ihnen Konsequenzen

Von Karin Ceballos Betancour

und Christoph Schmidt Lunau, Frankfurt

Die politischen Folgen sind nicht abzusehen, auch nicht die Debatten, die der Vorgang nach sich zieht. Soll die Polizei in „Extremsituationen“ einen Verdächtigen unter Gewaltandrohung verhören dürfen, wenn davon das Leben eines Kindes abhängt? Die Drohung gar wahr machen dürfen?

Als die Polizei Anfang Oktober den Entführer des Bankierssohns Jakob von Metzler, Magnus G., verhört, droht sie ihm die „Zufügung von Schmerzen“ an, „die er nie zuvor verspürt habe“. Dies geht aus einem schriftlichen Vermerk des Polizeivizepräsidenten Daschner hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt (siehe Seite 1). Die Polizei gab die Gewaltdrohung gestern Abend unter dem Eindruck der Tagesspiegel-Recherchen zu. Der Anwalt des mutmaßlichen Mörders Magnus G. hat den Rücktritt der Verantwortlichen gefordert. Doch die Konsequenzen für die Polizei sind nicht abzusehen. Daschner selbst war am Montag nicht im Frankfurter Polizeipräsidium zu erreichen. Sein Sekretariat teilte mit, der Vizepräsident nehme an einer Beerdigung teil.

Während Daschner bei der Beerdigung weilte, liefen bei den Nachrichtenagenturen wegen der Vorwürfe bereits die Drähte heiß.

„Den Aktenvermerk gibt es, das Ermittlungsverfahren ist eingeleitet", lautet die knappe Stellungnahme der Polizeipressestelle am Nachmittag. Auf Nachfragen erwidert Sprecher Peter Liebeck: „Das war eine polizeiliche Maßnahme, und die haben wir durchgezogen. Sie rechtlich zu würdigen ist Sache der Juristen." Daschner, sagt Liebeck, sei ein „besonnener Mann" und habe den Vermerk zu einem Zeitpunkt verfasst, als die Polizei noch davon ausging, das Leben des 11-jährigen Jungen retten zu können. „Das soll jetzt nicht arrogant klingen", sagt Liebeck, „aber als Vater kann ich das absolut verstehen".

Am gestrigen Abend schließlich zitierte Liebeck gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters eine Anordnung des Polizeivizepräsidenten Daschner: „Füge Magnus G. Schmerzen zu und versuche, den Aufenthaltsort (des Jungen) herauszufinden.“ Zu diesem Zeitpunkt sei die Polizei noch davon ausgegangen, dass der Junge noch lebe, habe aber bei weiterem Zeitverzug seinen Tod befürchtet. Nach der Drohung habe der verdächtige Jura-Student den Ermittlern gestanden, dass die Leiche des Jungen in einem See in Osthessen versteckt sei. Es habe sich um eine extreme Ausnahmesituation gehandelt, sagte Liebeck gegenüber Reuters. Bis zu der Drohung habe der Student entweder gar nichts gesagt oder gelogen. Die Ermittler aber hätten das Gefühl gehabt, ihnen laufe die Zeit davon. Das vorherrschende Gefühl sei gewesen: „Wir müssen ihn jetzt zum Reden bringen. Wir wollen das Leben des Jungen retten“, sagte Liebeck. „Hätte die Drohung nicht gewirkt, hätten wir ihm Schmerzen zufügen müssen.“ Ein solches Vorgehen sei zwar „absolut nicht üblich“, die Ermittler hätten es aber als Gefahrenabwehr gesehen, um das Leben des Kindes zu schützen. Zugleich betonte er, die Ermittler hätten durch die Gewaltandrohung nicht versucht, ein Geständnis zu erpressen. Ihnen sei es lediglich um den Aufenthaltsort des Jungen gegangen.

Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob es juristisch Rechtfertigungsgründe für das Vorgehen der Beamten gibt – etwa einen so genannten rechtfertigenden Notstand. Sollten sich die Vorwürfe gegen Daschner und einen weiteren Beamten als richtig erweisen, drohen ihnen laut Staatsanwaltschaft Mindeststrafen von sechs Monaten Haft. Die Vernehmung sei eine „Extremsituation“ gewesen, sagte der Sprecher des hessischen Innenministeriums, Michael Bußer. Die Anfertigung eines Aktenvermerks zeige, dass „nichts vertuscht werden sollte“. Nach Angaben des Verteidigers von Magnus G., Endres, gibt es keinen denkbaren Fall, „der Folter oder eine derartige Behandlung rechtfertigt – auch nicht in Extremsituationen“. Der Anwalt erklärt, G. bleibe trotz skandalöser Begleitumstände bei seinem Geständnis. Die gegen den Polizeivizechef und einen weiteren Mitarbeiter eingeleiteten disziplinarischen Vorermittlungen ruhen, solange die Staatsanwaltschaft ermittelt, sagte Bußer.

Karin Ceballos Betancour, Christoph Schmidt Luna

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