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Gewalt in Ägypten: Schläger jagen Christen

Der Zorn der Muslimbrüder ist gewaltig. Aber nirgendwo in Ägypten tobt die Gewalt gegen Christen und Polizei so wie in Minia. Die Stadt war einst beliebtes Touristenziel, jetzt bestimmen Schlägertrupps das Leben.

Vor ein paar Wochen dröhnten an der Uferpromenade von Minia noch die Musikboxen, saßen junge Leute zusammen und schauten auf den Nil. Jetzt ist alles still, und Magdy al Ahmed starrt auf die beiden schwimmenden Wracks, die er im Auftrag ihrer koptischen Besitzer bewacht. Jeden Morgen geht er herunter zum Schiffsanleger und verschließt das Tor mit einer dicken Eisenkette.

Es fällt ihm immer noch schwer, über jenen 14. August 2013 zu sprechen, diesen Schicksalstag, als sich nach der blutigen Räumung der Muslimbrüder-Protestcamps in Kairo mit mehr als 500 Toten in ganz Ägypten der Zorn der Islamisten entlud. Erst flogen Steine in Minia, dann brach die Meute die Zäune nieder, Minuten später schlugen aus den beiden Restaurantschiffen Mermaid und Dahabiya meterhoch die Flammen. Der 33-jährige Kellner flehte um sein Leben, die Peiniger ließen ihn gehen. Auf der Mermaid verbarrikadierten sich Koch und Kellner in Panik in der Toilette und verbrannten bei lebendigem Leibe – der eine Christ, der andere Muslim.

Vergangenes Wochenende starben 57 Menschen

Nirgendwo in Ägypten tobte der Hass gegen die Christen so wie in Minia. Nirgendwo wurden nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi so viele Kirchen, Klöster, Schulen, Waisenhäuser, Gemeindezentren und koptische Läden angezündet wie in der oberägyptischen Nilprovinz, wo einst Pharao Echnaton mit Nofretete seine berühmte Hauptstadt Amarna erbaute.

Ägypten kommt nicht zur Ruhe. Vergangenes Wochenende starben 57 Menschen, die meisten durch gezielte Schüsse der Polizei, über 300 wurden verletzt, als Muslimbrüder versuchten, den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos zu besetzen. Jeden Tag kommen auf dem Sinai Soldaten und Polizisten bei Attentaten ums Leben.

Debatten enden in Handgreiflichkeiten

Landesweit haben in zahllosen Firmen die erbitterten Diskussionen unter den Beschäftigten inzwischen solche Ausmaße erreicht, dass Betriebsklima und Arbeitsqualität spürbar leiden. Die Risse reichen bis in die letzten Winkel des Alltags, quer durch Familien, Straßen und Stadtteile. Wildfremde Menschen gehen aufeinander los. Debatten enden in Handgreiflichkeiten, während es der Wirtschaft immer schlechter geht.

Die Zeiten, als Minia zusammen mit Luxor und den Pyramiden in Gizeh zu den wichtigsten Touristenattraktionen des Landes gehörte und jährlich drei Millionen Besucher anzog, sind seit einer Generation Geschichte. In den neunziger Jahren wandelte sich die Stadt neben Assiut zu einer Hochburg radikaler Islamisten. Ein Drittel der Einwohner ist arbeitslos, die Hälfte kann weder lesen noch schreiben. Die Provinz gilt als das Armenhaus Ägyptens, hier gibt es weder Industrie noch Investitionen.

Am 4. November beginnt Mursis Prozess

Bei der Präsidentenwahl 2012 stimmten in Minia 88 Prozent für Mohammed Mursi. Und so rückten nach dessen Sturz besonders viele bärtige Schlägerhorden aus, um Rache zu nehmen – an der Polizei und an den Christen. Die neueste Nachricht dürfte die Stimmung weiter anheizen: Vier Monate nach seiner Entmachtung soll sich der Ex-Präsident verantworten. Ein Berufungsgericht in Kairo teilte am Mittwoch mit, der Prozess gegen Mursi beginne am 4. November vor dem Strafgericht Nord-Kairo.

Hartnäckig hält sich der Brandgeruch

In Minia hatten vergangene Woche Bewaffnete einen Mordanschlag auf Bischof Makarios verübt, als er im Dorf Sarow die Familie eines Christen besuchen wollte, der bei den Unruhen erstochen worden war. Der Geistliche musste sich in ein Haus retten, erst nach zwei Stunden ließen die Attentäter von ihm ab. Im nahe gelegenen Dalga brauchten Polizei und Armee drei Anläufe und vier Wochen, um die Kleinstadt wieder unter Kontrolle zu bringen. Dort hatten Islamisten sämtliche Ordnungskräfte verjagt und die christliche Minderheit mit Schutzgeldern, Entführungen und Erpressungen terrorisiert. Einen 60-Jährigen ermordete der Mob in seiner Wohnung und schleifte seine Leiche hinter einem Traktor durch die Straßen. Zweimal wurde sein Grab bereits geschändet.

Pater Biman steckt der Schock noch in den Gliedern, der Brandgeruch hält sich hartnäckig in den Gemäuern des Jesuiten-Campus. „In den Gesichtern stand der pure Hass, als wenn ich von einem anderen Stern komme und kein Recht zu leben habe“, sagt er. Das kirchliche Gymnasium hat einen weit über Minia hinaus reichenden Ruf. In der Obhut des Ordens, der im Vorjahr sein 125-jähriges Ortsjubiläum feierte, stand die älteste Bibliothek der Stadt. Das Gros der Bestände war muslimische Literatur, viele Werke unersetzlich, von den 10 000 Büchern ist nur noch Asche geblieben.

Das Sozialzentrum ist eine Ruine

Das vierstöckige Sozialzentrum, deren Hilfesuchende zu 85 Prozent Muslime waren, ist eine einsturzgefährdete Ruine. Computer, Schreibtische, Drucker und Schränke – alles schleppten die Plünderer davon. Im Hof verwittern Skelette von Schulbussen und Autos. Die teuren Rollstühle für Schwerstbehinderte sind verkohlter Schrott. Klostergebäude und Schultrakt blieben nur verschont, weil die Molotow-Cocktails im Treppenhaus nicht zündeten. Selbst die 50 Tauben im Großgehege auf dem Kinderspielplatz ließen die Randalierer mitgehen, von denen viele aus der Nachbarschaft stammten.

Als Pater Biman zur Polizeiwache rannte und um Hilfe flehte, erhielt er eine knappe Antwort: „Wir haben dazu keinen Befehl“, sagte der Offizier. Die Beamten rührten während des achtstündigen Verwüstungsfeldzugs keinen Finger. Fünf Wochen nach der Katastrophe ließen sich die Ermittler erstmals blicken, um die Ruinen zu begutachten.

Jahrzehntelange Arbeit liegt in Trümmern

Jahrzehntelange Arbeit für die vernachlässigte Nil-Kommune liegt in Trümmern – und keinen von Minias Stadtvätern scheint das zu kümmern. Das beklagt auch Amnesty International, am Mittwoch brachte die Organisation einen detaillierten Bericht heraus und forderte eine unabhängige Untersuchung der Ausschreitungen. Das Versagen des Staates, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, sende an die Kopten und andere religiöse Minderheiten das Signal, sie seien Freiwild, heißt es in dem Text. „Jede Untersuchung muss auch die Rolle der Sicherheitskräfte ins Auge fassen. Manche Angriffe dauerten Stunden und wiederholten sich an den folgenden Tagen.“ Und man frage sich, warum die Polizei nicht in der Lage gewesen sei, die Untaten zu verhindern oder zu beenden.

Das große Kreuz über dem Tor des Jesuiten-Areals, das der Mob heruntergerissen und unter höhnischem Gejohle durch die Straßen gezerrt hatte, haben Arbeiter inzwischen wieder angeschweißt. Doch nach wie vor laufen Abend für Abend hunderte Islamisten drohend vor dem Eisentor auf und ab, schleudern krachend Steine gegen das Metall und schmähen die Christen mit gereckten Fäusten.

„Wir haben diese Fanatiker selbst produziert"

„Wenn ich rausgehe, schaue ich stets, ob mir jemand folgt. Meine Gespräche beschränke ich auf das Allernötigste“, sagt Pater Biman, der aus Indien stammt und seit zehn Jahren in Ägypten lebt. „Ich verstehe diese Leute einfach nicht, innerlich bin ich tief frustriert“, sagt der 49-Jährige, der gleichzeitig Direktor des Ordensgymnasiums ist. Fast 70 Prozent seiner Schüler sind Muslime, genauso wie zwei Drittel des neunköpfigen Verwaltungsrates der Eltern. Mitgefühl aber äußern alle nur hinter vorgehaltener Hand. Vor einer Woche kam verstohlen der Imam einer Koranschule und brachte ein Kuvert mit umgerechnet 120 Euro vorbei. Öffentlich jedoch wagt es niemand, sich mit den Radikalen anzulegen.

Der Gouverneur beteuert, dass die Polizei gerne eingeschritten wäre. „Aber so etwas hat es in der Geschichte der Stadt noch nie gegeben“, verteidigt Salah Zeyada seine Ordnungskräfte. Alle neun großen Polizeistationen seien gleichzeitig attackiert worden, sechs von ihnen komplett niedergebrannt und sämtliche Waffen gestohlen. 13 Beamte starben, 50 wurden verletzt.

Müll - keine Menschen

Seit acht Wochen ist der frisch pensionierte Polizeigeneral Salah Zeyada in Minia der Statthalter der neuen Machthaber. Zu seinem Amtsvorgänger, einem Muslimbruder, meidet er jeden Kontakt. Besucher empfängt er bis nach Mitternacht, direkt neben seinem Büro hat er sich in einer kleinen Kammer extra ein Bett aufstellen lassen.

Rund um die Uhr bewachen Soldaten mit einem mächtigen Radpanzer das Haupttor, in sämtlichen Fensternischen seines Amtssitzes mit Nilblick liegen Sandsäcke. Auf seinem Schreibtisch greift der kettenrauchende General mal zum iPad und mal zum Koran. „Wir haben diese Fanatiker selbst produziert – sie haben kein Geld, keine Ausbildung und wurden von der Regierung stets links liegen gelassen“, sagt Salah Zeyada, der auf dem Zenit seiner Mubarak-Karriere Polizeichef im Hafen von Alexandria war. Dann sagt der 60-Jährige aber auch Sätze wie „diese Leute sind Müll, sie sind keine Menschen“. Auf eine Million schätzt er die Zahl der Muslimbrüder. „Die können wir nicht alle umbringen. Aber wir müssen gegen alle entschieden vorgehen, die morden, brennen und unsere Leben zerstören wollen.“

Schon sein Ur-Ur-Großvater war Ortsvorsteher

So wie Suleiman Jumali, der Dorfpolizist von El Berba, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Christen zu schützen. Er lächelt stolz, seine Flinte in der Hand, die Dorfkirche stets im Auge. Hier, eine Autostunde von Minia entfernt, kennt ihn jeder, er braucht keine Uniform. Kinder spielen in den schattigen, engen Gassen, Händler mit Eselskarren preisen ihre Waren an. Vor 20 Jahren gab es kaum Strom und fließend Wasser. Heute hat El Berba eine Gesundheitsstation und einen Kindergarten, Alphabetisierungs-Kurse für Frauen und ein Programm mit Kleinkrediten. Und die kirchlichen Sozialdienste, die mit Hilfsgeldern aus Deutschland und Österreich finanziert werden, kommen allen 15 000 Dorfbewohnern zugute, egal an welchen Gott sie glauben. „Bleibt ihr in euren Häusern, wir Muslime übernehmen den Schutz“, erklärte Bürgermeister Hashem Abdel Hamid den Christen von El Berba, als sich vom Nachbardorf eine Kolonne mit Mursi-Parolen und grünen Stirnbändern näherte.

Hamid strahlt Autorität aus, eine mächtige Gestalt mit dunkelblauem Galabiyya-Gewand und getönter Nickelbrille. Schon sein Ur-Ur-Großvater war Ortsvorsteher. Per Handy rief er rasch siebzig Bauern von den umliegenden Feldern zusammen. Die Demonstranten drehten ab. Zwei Wochen lang bewachte seine Bauernwehr rund um die Uhr die Dorfkirche, ein historisches Unikum, 1895 von Österreichs Kaiser Franz Joseph gestiftet. „Wir sind alle zusammen aufgewachsen“, sagt Bürgermeister Hamid. „Was für eine Schande für uns, wenn den Christen etwas passiert wäre.“

Erschienen auf der Dritten Seite.

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