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Panorama: Gift für die Medici

49 Leichen des Florentiner Herrschergeschlechts werden ausgegraben – um die Todesumstände zu klären

Die Liste seiner prominenten Patienten ist lang. Könige sind darunter, Musiker von Rang, bekannte Maler und asketische Mönche. Eines haben sie alle gemeinsam: keiner von ihnen hat sich freiwillig in die Behandlung von Gino Fornaciari begeben.

Angesichts der Sägen, Bohrer und Skalpelle, mit denen der 58-jährige Pathologe der Universität Pisa seiner Arbeit nachgeht, wäre das auch keinem Menschen zuzumuten. Ein Zweites verbindet Fornaciaris Patienten: sie sind schon vor Jahrhunderten aus dem Leben geschieden. Zu ihnen gehört der Heilige Antonius von Padua, von den Italienern liebevoll „Il Santo" genannt. Der 1231 verstorbene Fromme war mit 1,70 Meter für seine Zeit relativ groß, litt unter Anämie als Folge häufigen Fastens und seine stark entwickelten Fersensehnen belegen, daß er beachtliche Strecken zu Fuß zurückgelegt hat. Den Überresten Verstorbener weiß der Paläopathologe mit dem ausgeprägten toskanischen Dialekt unzählige Geheimnisse zu entlocken. „Auch nach Jahrhunderten genügt ein Haar oder ein Fingernagel, um eine Arsenvergiftung nachzuweisen", schwärmt Fornaciari, der an König Heinrich VII. von Hohenstaufen Lepra und an Maria von Aragon Syphilis diagnostizierte.

Jetzt hat Fornaciari in den Cappelle Medicee in Florenz das Hauptquartier für sein bisher umfangreichstes Forschungsprojekt eingerichtet. 49 in der prunkvollen Familiengruft bestattete Angehörige der Familie der Medici sollen Aufschluss geben über die Lebensbedingungen des schillernden Familienclans, der Florenz drei Jahrhunderte lang beherrschte. Wie lebten sie ? Was stand auf ihrem Speiseplan, von welchen Krankheiten wurden sie geplagt? Eine davon ist bekannt: die Gicht. Sie plagte die Adelsfamilie scheinbar so stark, daß einer der Sippe gar als „Piero der Gichtige“ (1416-69) in die Geschichte einging. Fornaciaris Mitarbeiterin Donatella Lippi hegt daran berechtigte Zweifel: „Es war wohl keine Gicht. Was man damals so nannte, waren eher rheumatische Beschwerden anderen Ursprungs“, mutmaßt die Medizin-Historikerin. Eine detaillierte Untersuchung der Gebeine soll nun klären, ob die Krankheit familienbedingt war oder Folge einseitiger Ernährung.

„Das ist eine interessante Fallstudie über das Leben von Reichen und Berühmten“, freut sich der Ägyptologe und Mumienexperte Bob Krier von der Long Island University in New York, der dem Team ebenso angehört wie Archäologen, Anthropologen, Molekularbiologen und Medizinhistoriker.

Doch sie waren nicht nur reich und berühmt, die Medici. Sie waren auch beneidet und gefürchtet. Ihre Macht stützte sich auf ein geschicktes Geflecht aus Korruption und Beziehungen, Intrigen und Erpressung. Mehrmals wurden sie aus Florenz verbannt, stets kehrten sie mit Hilfe der Spanier wieder zurück. Mächtige Gegner hatten sie nicht nur in der konkurrierenden Adelsfamilie Albrizzi, sondern auch im eigenen Clan.

Das macht neben den Lebensbedingungen vor allem die Begleitumstände ihrer Tode interessant, die Anlass zu unzähligen Gerüchten boten. Hat Fürst Paolo Giordano Orsini seine des Ehebruchs verdächtigte Gattin Isabella von Medici 1576 wirklich mit einem Seidentuch erdrosselt? Starb der legendenumwitterte und von den deutschen Landsknechten als „Böser Teufel“ verdammte Medici-Haudegen Giovanni delle Bande Nere wirklich am Wundbrand nach der Amputation seines rechten Beines?

Spekulationen über die Kriminalgeschichte der Medici begegnet Fornaciari ebenso nüchtern wie Vorwürfen, er verfüge über einen Hang zum Makabren. „Die Paläopathologie ist eine Wissenschaft wie viele andere – auch wenn sie die Fantasie der Menschen anregt. Sie gewährt uns wertvolle Einblicke in die Lebensdingungen früherer Epochen“, versichert der Mediziner. Schon der erste Medici-Sproß, der vor zwei Wochen aus der Gruft gehoben wurde, gab Anlass zu Spekulationen. Don Giovanni, einer der Söhne Cosimos von Medici, starb 1562. Litt er wirklich an Malaria oder wurde er von seinem Bruder Garcia ermordet? Als Fornaciaris Team die Marmorplatte vom Grab schob, entdeckte es darunter überraschend eine schwere Steinplatte. „Die wog eine halbe Tonne", so Donatella Lippi. „Wir mussten erst schweres Gerät herbeischaffen, um sie zu beseitigen.“ Giovannis Gebeine befanden sich ebenso in gutem Zustand wie jene seines Bruders und potenziellen Mörders Garcia. „Die waren allerdings nicht mehr richtig angeordnet“, berichtet der Pathologe – möglicherweise Folge einer ersten Exhumierung 1857. Fast die gesamte Medici-Ahnengalerie wandert nun in den Computertomografen. DNA-Proben, Röntgenbilder, Knochenanalysen, toxikologische Gutachten und die Untersuchung von Geweberesten sollen den Lebensstil der bekannten Renaissance-Dynastie detailliert erkunden.

Der mächtigste Vertreter des Geschlechts bleibt allerdings vom Großangriff medizinischer Technologie verschont: das Grab des Michelangelo-Mäzens Lorenzo des Prächtigen zieren Skulpturen des berühmten Meisters, die keinesfalls beschädigt werden dürfen.

Den Ergebnissen des Forschungsprojekts blicken vor allem Historiker mit Neugier entgegen. Der Paläontologe Francesco Mallegni von der Universität Pisa zum „Projekt Medici“: „Wir versuchen, das zu ergründen, was uns die Geschichte verschwiegen hat – aus Nachlässigkeit, Absicht oder Unwissenheit.“

Gerhard Mumelter[Rom]

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