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Gaben an einem Santeria-Altar.

© Reuters

Göttin der Liebe und Erotik: Der Voodoo-Kult der Santería auf Kuba

"Die ganze Insel ist besessen": Die Santeria auf Kuba ist eine Mischung aus afrikanischen Riten, katholischem Glauben – und obskurem Hokuspokus.

„Warum“, fragt man sich in den Hinterhöfen Havannas, „kommt der Papst nach Kuba?“ Antwort: „Um den Teufel persönlich kennenzulernen.“ Dieser Witz karikiert eine Begegnung zwischen Benedikt XVI. und Fidel Castro, die als wahrscheinlich gilt. Insgeheim wirft der Witz aber auch die Frage auf, ob der Papst womöglich als Exorzist nach Kuba reist.

Denn der höchste katholische Würdenträger wird eine Insel betreten, deren katholische Bevölkerung zu zwei Dritteln Mischkulten afrikanischen Ursprungs anhängt. Das sind Religionsformen, in denen sich die Ahnenverehrung afrikanischer Sklaven über Jahrhunderte mit der katholischen Heiligenwelt arrangiert hat. Doch während man in Haiti von Voodoo spricht – was aus Benin stammt und so viel wie Schutzgeist bedeutet – ist Santería der spanische Sammelbegriff für die Kulte westafrikanischen Ursprungs in Kuba. Wenn der Papst also der Barmherzigen Jungfrau vom Kupfer – Kubas Schutzpatronin – seine Aufwartung macht, dann werden auch die Anhänger der Santería zur Wallfahrtskirche pilgern.

Vor 400 Jahren wurde das Bildnis der Jungfrau entdeckt, dieses Jubiläum ist der offizielle Anlass der päpstlichen Reise. Die Santería dagegen verehrt die Madonna als Oshún. Zwar gilt sie dort, ebenso wie in der christlichen Legende, als Schutzheilige der Gnade, die den Schwangeren beisteht und über die Kupferminen bei Santiago de Cuba wacht. Doch Oshún gebietet auch über Sex-Appeal und Koketterie. Im Götterhimmel der Santería gleicht sie einer Aphrodite, die alles andere ist als unbefleckt.

Das freilich missfällt der katholischen Kirche. Wie auch der Umstand, dass die afrokubanischen Heiligen sich der Völlerei, dem Rum und Tanz hingeben, bisexuell sind oder aus schierer Eifersucht Kriege gegeneinander führen. Schon 1990 beklagte Jaime Ortega, der heutige Kardinal von Havanna, den starken Zulauf der Santería. Damals, nach dem Wegfall der üppigen Wirtschaftshilfe der Sowjetunion, herrschte auf der Insel bittere Not. Und die Santería erwies sich als ein Ventil, durch das der allgemeine Unmut, den die tropensozialistische Mangelwirtschaft hervorbrachte, wunderbar entweichen konnte.

Schwarze Magie

Während im übrigen Lateinamerika evangelikale Sekten mit der katholischen Kirche rivalisieren, sind es in Kuba die synkretistischen Kulte. Sie sind heute populärer denn je. Deren Jünger versprechen sich in der Beratung durch Santería-Priester die Lösung persönlicher und alltäglicher Probleme. Gleichzeitig belebt die Santería den informellen Sektor der von Staats- und Parteichef Raúl Castro vorangetriebenen Liberalisierung der Wirtschaft. Auf den kleinen Privatmärkten findet man auch Santería-Artikel für den Hausgebrauch: farbige Halsketten, Votivbilder, Steine und – Suppenschüsseln. Darin hausen die vergöttlichten Ahnen mitsamt ihrer energetischen Macht.

Yanisleidi Gómez ist vor einem Jahr zur Priesterin geweiht worden. „Mein Initiationsritual hat mich 30 000 Pesos gekostet“, sagt sie. Umgerechnet fast eintausend Dollar. Doch sie ist zuversichtlich: „Seit ein paar Wochen kommen die ersten Leute, um meinen Rat einzuholen.“ Den lässt sie sich bezahlen – nicht zuletzt ist Santería ein lukratives Geschäft. Ihrer von Liebeskummer geplagten Nachbarin hat Yanisleidi verordnet, ein mit Honig getränktes Bad zu nehmen. Davon sollte sie einige Tropfen in den Kaffee des Geliebten träufeln, um diesen endgültig an sich zu binden – den Beistand Oshúns, der Göttin der Liebe und Erotik, vorausgesetzt.

Andere versuchen es mit Schadenzauber. Wer mit offenen Augen durch Havanna geht, entdeckt an Königspalmen, den Brettwurzeln von Feigen- und Kapokbäumen immer wieder bunte Schleifen, Stoffpuppen, präparierte Kokosnüsse oder gar geköpfte weiße Tauben. Spuren schwarzer Magie, in der sich angeblich die Energie der verstorbenen Ahnen bündelt. Für den unbedarften Spaziergänger ist außerdem Vorsicht geboten. Scheinbar achtlos auf die Straße geworfene Blumen sind Machwerke der Santería. Sie warten nur darauf, dass jemand auf sie tritt – und dann den bösen Zauber auf sich zieht, den ein anderer sich gerade mit ihnen vom Körper gerieben hat.

Keine Bedrohung für das Regime

In ihrem Wohnblock ist Yanisleidi Mitglied des Komitees zur Verteidigung der Revolution. Für die Regierung stellt die Santería keine Bedrohung dar. Seit 1992 garantiert die überarbeitete Verfassung zudem Religionsfreiheit, auch für Parteimitglieder. Fidel Castro selbst wird von den Santeros aufgrund einer mystischen Begebenheit respektiert. Als der Comandante kurz nach dem Sieg der Revolution, am 8. Januar 1959, vor großem Publikum eine Rede hielt, flatterte eine weiße Taube auf seine Schulter. Genau dreißig Jahre später, am selben Ort, wiederholte sich das Ereignis. Und weil die weiße Taube in der Santería den Weltschöpfer Obatalá symbolisiert, gilt Castro darin als Auserwählter.

Nun stellt sich die Frage: Wem wird die Taube diesmal zufliegen – dem Máximo Líder oder dem Pontifex maximus? Zumindest der Papst darf hoffen. Er wird seinen Besuch mit einem Freiluftgottesdienst beenden, den er auf dem gigantischen Platz der Revolution in Havanna abhält. Bereits am 16. März sprach sich der Vatikan auf einer Pressekonferenz gegen das vor 50 Jahren über Kuba verhängte Handelsembargo der USA aus. Für die Revolutionsführung die entscheidende politische Botschaft – damit verurteilt der Heilige Stuhl sozusagen das verhasste „teuflische Imperium“. Im Gegenzug hat das kubanische Außenministerium eine Website über den Papstbesuch eingerichtet. Und Kardinal Ortega durfte sich in einer Fernsehansprache frei heraus an die katholische Bevölkerung wenden. „Benedikt“, verkündete er, „ist der Papst der Wahrheit“. Doch in Kuba trifft der Papst auf verschiedene Wahrheiten.

Eine davon vertritt Yanisleidi, die unbedingt an der päpstlichen Messe teilnehmen will, um so dem in Weiß gekleideten Friedensbringer Obatalá zu huldigen. Zuvor aber wird sie den Geburtstag des Schutzheiligen ihrer Patin feiern. Dort ruft man, wie jedes Jahr, die Ahnen mit geweihten Trommeln und gesungener Yoruba-Litanei herbei. Neben dem geschmückten Altar, auf einem kleinen weiß gedeckten Tisch, stehen fünf Gläser mit Wasser, eine Vase mit roten Nelken, ein Kruzifix und ein Flacon mit billigem Parfüm: Spiritismus, Christentum und Ahnenkult zusammen auf engem Raum. Der betörenden Perkussion, aber auch Rum und reichlich Essen, bleiben selbst überirdische Wesen nicht lange fern. Irgendwann, wenn sich die Tropfen des Weihwassers mit dem Schweiß der Tanzenden vermischt haben, wird ein „Toter“ – so heißen die Ahnen – in jemandes Körper fahren. Was folgt, ist ein Taumel zwischen Ekstase und Epilepsie: der Besessene verdreht die Augen, setzt in seinem zuckenden Tanz ungeahnte Kräfte frei, manchmal trifft er sogar Weissagungen mit der Stimme des Verstorbenen. Die Präsenz der vergöttlichten Ahnen, der Rausch des Sonderbaren, schließlich die selige Erschöpfung – all das wirkt wie ein Akt kollektiver Befreiung.

„Die ganze Insel ist besessen“, stöhnt der Autor Martin Cruz Smith in seinem Roman „Nacht in Havanna“. Vielleicht hat er recht. Ganz ohne die katholische Kirche geht es allerdings nicht: Die Santería macht ihren Jüngern zur Auflage, dass sie vor der Initiation die christliche Taufe empfangen.

Roman Rhode

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