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Göttingen: Fliegerbombe: Ursache gesucht

Nach dem Tod dreier Sprengexperten in Göttingen untersucht eine Sonderkommission die rätselhafte Explosion.

Von Carsten Werner

600, vielleicht 700 Mal hatte jeder von ihnen das schon gemacht: Sie sind zu sechst oder siebt mit ihrem „Trupp“ in eine niedersächsische Stadt zu einem Bombenfund gefahren – meistens Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg, die bei Bauarbeiten oder Bodensanierungen auftauchten. Sie haben die Sprengkörper untersucht, freigelegt, mit Wällen gesichert, die örtlichen Behörden bei der Räumung der Gefahrenzonen beraten und dann die meisten Bomben entschärft. Nur wenige mussten vor Ort kontrolliert gesprengt oder dazu sogar abtransportiert werden. Dann gaben die Männer des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KBD) Entwarnung und fuhren nach Hause.

Am Dienstagabend um 21 Uhr 36 knallte es. Kilometerweit hörbar, ohrenbetäubend für die Umstehenden – und tödlich für zwei Sprengmeister, 52 und 55 Jahre alt, und ihren 38-jährigen Mitarbeiter. Sie standen auf dem Schützenplatz in Göttingen, wo eine neue Sportarena gebaut werden soll. Am Fundort einer Bombe im Erdreich bereiteten die Männer die Entschärfung vor, als die Bombe unkontrolliert explodierte – offenbar ohne dass an ihr gearbeitet wurde. Die drei Familienväter waren wohl sofort tot. Ihre einige Meter weiter stehenden Kollegen wurden zum Teil schwer verletzt.

Mittags war der KBD nach Göttingen gerufen worden: Ein paar Meter neben einer schon am vergangenen Donnerstag von ihnen entschärften Bombe lag ein weiterer Sprengkörper. Zwei Trupps mit je sechs oder sieben Mitarbeitern machten sich an die Arbeit. Beim Abpumpen des Grundwassers kam es zu Problemen. Gegen 21 Uhr war der unmittelbare Gefahrenbereich 300 Meter um den Fundort evakuiert, eine 1000-Meter-Zone sollte bis 22 Uhr 30 geräumt sein und anschließend die Zehn-Zentner-Bombe mit Säurezünder entschärft werden. Solche Zünder sind noch nach Jahrzehnten gefährlich, weil sie so konzipiert sind, dass sie mit zeitlicher Verzögerung zur Explosion des eigentlichen Sprengkörpers führen.

Dass und wie die Bombe hochging, ist auch Experten ein Rätsel. Noch in der Nacht hat der Kampfmittelräumdienst Thüringens Ermittlungen aufgenommen. Keiner der direkt am Einsatz Beteiligten konnte am Mittwoch vernommen werden: „Wir wissen nicht, worin die Vorbereitung in diesem Moment bestand“, sagt der Göttinger Polizeipräsident Robert Kruse sichtlich geschockt, nachdem er mit Innenminister Uwe Schünemann (CDU) den Unfallort besichtigt hatte. Bei der Entschärfung sollte eine relativ neue Technik angewandt werden: Ein Wasserschneider durchtrennt dabei mit einem Gemisch aus Granulat und Wasser die Hülle der Bombe zwischen Zündverstärker und Sprengstoff. Für das Verfahren gab es in Niedersachsen erst „drei oder vier Echtanwendungen“, hieß es – der Einsatz des Geräts habe aber am Dienstagabend noch gar nicht begonnen. Mehrere hundert Meter weit seien Bombentrümmer geflogen, teilweise „ein paar Kilo schwer“, erzählt Kruse – das macht die Wucht der Detonation vorstellbar. Auf Häusern in der Nachbarschaft wurden Dachziegel beschädigt. Unbeteiligte Menschen kamen offenbar nicht zu Schaden.

222 Polizisten und 400 Helfer von Hilfsdiensten, Stadt und Feuerwehr waren in der Nacht zum Mittwoch im Einsatz. Sie haben den Schützenplatz hermetisch abgeriegelt, Sichtblenden errichtet und suchen nach Bombensplittern. Fast alle der am Abend evakuierten 7000 Göttinger konnten noch in der Nacht in ihre Wohnungen zurück – nur der 300-Meter-Umkreis um die Bombe soll bis mindestens Donnerstag gesperrt bleiben; zwei Schulen, eine Kita und ein pharmazeutischer Betrieb mussten schließen.

Doch die Anwohner sorgen sich: Vor einigen Jahren stürzte hier ein Bus plötzlich in ein Erdloch – nie konnte geklärt werden, ob dafür eine unterirdische Explosion oder eine Erdversackung aus anderen Gründen die Ursache war. Und noch am Samstag fand auf dem Schützenplatz ein Flohmarkt statt – zwei Tage nach der ersten Bombenentschärfung. Im Laufe des Tages wurde der Markt plötzlich abgebrochen: Wegen „eines unguten Gefühls“ und „einer gewissen unklaren Informationslage“ waren Stadt und Veranstalter „etwas unruhig“ geworden, wie Stadtrat Suermann am Mittwoch etwas unklar erläuterte. Von der jetzt explodierten Bombe habe da aber noch niemand gewusst.

Grundlage für die Suche nach Bomben seien Luftbilder der Alliierten – was die Bilder zeigen, wird mit Bodenuntersuchungen und einer Suche per Sonde verifiziert. Absolut sicher sind Bomben aber auch damit nicht zu identifizieren – und in welchem Zustand sie dort liegen, können erst die Experten vom Räumdienst beurteilen. „Entweder es klappt oder es ist vorbei“ fasst ein Kollege der Opfer das Berufsrisiko nüchtern zusammen. Was am Dienstag nicht geklappt hat, ermittelt jetzt eine 25-köpfige Sonderkommission.

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