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Panorama: Götz Friedrich ist tot: Ewig hoffend, ewig liebend

Von den Zigaretten mochte er bis zuletzt nicht lassen. Das Bild, das sich beim Gedanken an Götz Friedrich zuerst vor dem inneren Auge einstellt, ist das vom manischen Raucher.

Von den Zigaretten mochte er bis zuletzt nicht lassen. Das Bild, das sich beim Gedanken an Götz Friedrich zuerst vor dem inneren Auge einstellt, ist das vom manischen Raucher. Ein wuchtiger Mann, leicht nach vorne gebeugt in seinem Sessel sitzend, die Zigarette in der Hand. Oft unterbrach er seine Sätze, um einen Zug zu nehmen - als empfange er seine Gedanken aus dem verglühenden Tabak, so intensiv, geradezu gierig sog er das Nikotin ein. Wie ein Durstiger, nicht wie ein Genießer. Nur wo Glut war, mochte Götz Friedrich sein, der unaufhörliche Drang nach der sichtbaren Hitze an der Zigarettenspitze war Ausdruck seiner Lebens- und Arbeitshaltung. Die Vorstellung, das Feuer könne verlöschen, war ihm unerträglich.

Wer Angst vor dem Stehenbleiben hat, beginnt unwillkürlich zu rennen. Götz Friedrichs Leben war ein Wettlauf mit sich selber, gegen sich selber. Das letzte Etappenziel, das er erreichte, wurde seine Abschiedsinszenierung als Generalintendant der Deutschen Oper, Gian Carlo Menottis "Amahl oder die nächtlichen Besucher". Bei der Premiere am vergangenen Freitag konnte er nicht mehr selbst dabei sein, er verfolgte die Aufführung zu Hause, vom Krankenbett aus. Er hatte sich schon Jahre zuvor eine Standleitung installieren lassen, damit er das Geschehen auf der Bühne jederzeit beobachten konnte - ein Liebesbeweis an seine Oper, den der Rechnungshof nicht nachvollziehen konnte.

Es ist symptomatisch, dass Götz Friedrichs Kraft gerade noch für die letzte Regiearbeit an dem Haus reichte, das er 1980 übernahm und das er noch bis zum 31. Juli 2001 hätte leiten sollen. Denn er war immer vor allem Künstler und erst danach Opernmanager. Wenn er sich selber als "Dinosaurier" unter den Intendanten bezeichnete, so meinte er damit sein unzeitgemäßes Berufsethos. Er zählte zu den letzten der großen Theater-Patriarchen. Friedrich führte die Deutsche Oper nicht als Impresario, als Kunstverkäufer, der mit der Ware "Musiktheater" handelt, sondern als autoritärer Vater, der mit ganzem Herzen die Deutsche Oper liebte - und darum an "seinem" Haus keine Entscheidung aus den Händen geben mochte.

Wenn es um die Definition der Institution Musiktheater ging, wollte Götz Friedrich immer einer von gestern sein. Der Abgrund, der sich zwischen ihm und den Opernchefs aus München und Zürich aufgetan hatte, zeigte sich Ende Oktober, als Götz Friedrich die Diskussionsrunde im Sendesaal des SFB leitete. Die Spitzen der Deutschen Opernkonferenz waren zusammengekommen, um den Vorschlag von Berlins Kultursenator Christoph Stölzl zur Fusion von Deutscher Oper und Staatsoper Unter den Linden in der Luft zu zerreißen. Auf der einen Seite produzierten sich die geschmeidigen Managerintendanten und berichteten mit stolzgeschwellter Brust, wie sie Millionen bei potenten Sponsoren einsammeln und ihre Häuser zu Dienstleistungszentren ausbauen. Auf der anderen Seite saß, mit bleichem Gesicht, das vom Verfall kündete, der Künstlerintendant und forderte mit müder Stimme die Unabhängigkeit der Kultur von der Politik und den Geldzwängen.

Der unauflösbare Konflikt zwischen Künstler und Gesellschaft, das Sich-Aufbäumen des freien Geistes gegen den Pragmatismus der Vernünftigen, das Wollen gegen das Sollen - das hat Götz Friedrich immer wieder bewegt. Wollte man Götz Friedrichs Arbeit in einem Wort zusammenfassen, man würde sagen: Widerspruch. Widerspruch wagen die Figuren seiner Inszenierungen, immer und immer noch ein Mal, entgegen aller Vernunft. Die emotionale Glut seiner Werkdeutungen sollte Orientierungshilfe sein für jene, die sich im Dunkel des Alltags zu verlieren drohen.

Suche nach der Wahrheit

Die Selbstgewissheit, mit der Götz Friedrich seinen Weg ging, die Standhaftigkeit, mit der er den Widerspruch nicht nur auf der Bühne in Szene setzte, sondern auch ganz persönlich ertrug, gehören zu den Konstanten im Leben des 1930 in Naumburg an der Saale geborenen Rechtsanwaltssohnes. Als der Regisseur aus dem Osten 1972 dem Bayreuther Publikum Richard Wagners "Tannhäuser" als Wahrheitsfanatiker präsentiert, entlädt sich im Zuschauerraum ein "Buh-Gewitter, wie ich es vorher und nachher nie erlebt habe". Da weiß er, dass er auf dem richtigen Weg ist.

Begonnen hat dieser Weg bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper in Berlin. Hier, wo das neue, revolutionäre, realistische Musiktheater entwickelt wurde, heuerte der Student 1953 an, hier lernte er, was Sänger als Darsteller vermögen, wenn ihnen ein Regisseur hilft, Text und Töne in Blicke und Gesten zu übersetzen. Als Mann des Wortes, der er bis zuletzt auch blieb, war er zunächst Dramaturg. Bald aber kombinierte er die Analyse mit der Praxis, arbeitete sich als Regisseur bis zum Oberspielleiter des Hauses hoch. Mit Jules Massenets "Don Quichotte" brachte er 1971 seine wichtigste Identifikationsfigur auf die Bühne: den ewig Hoffenden und Liebenden, der nur sieht, was er glaubt. Weniger verlockend schien Götz Friedrich dagegen der Kampf gegen die Windmühlenflügel der DDR-Realität. Von einem Gastspiel an der Kopenhagener Oper kehrte er 1973 nicht an die Komische Oper zurück.

Die progressiven Häuser des Westens bieten ihm schnell eine neue Heimat: Als Chefregisseur unter Intendant August Everding in Hamburg, später als Principal Producer am Londoner Opernhaus Covent Garden etabliert er seinen Ruf als einer der führenden Regisseure seiner Zeit. Er unterzieht die Klassiker unermüdlich seinem analytischen Blick, propagiert aber auch das Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Als er 1981 zum Generalintendanten der Deutschen Oper Berlin ernannt wird, eröffnet er seine Ära nicht mit einem Repertoireknüller wie Wagners "Meistersinger", sondern programmatisch mit Leos Janáceks 1930 uraufgeführter Oper "Aus einem Totenhaus".

Spätestens seit dieser Zeit kommt kein Operngänger mehr an Götz Friedrich vorbei. Und das ist gut so: Mit seinem Drang nach ehrlicher Bühnenkunst, seinem Kampf um Glaubwürdigkeit der handelnden Personen hat er die Einstellung einer ganzen Generation zum Genre Musiktheater geprägt. Wer sich erst einmal auf Götz Friedrichs Bildsprache eingelassen hat, will Oper nicht mehr unterhalb dieses Qualitätsanspruchs sehen. Friedrichs Maxime, Opernfiguren als Individuen zu zeigen, die sich denselben menschlichen Grundproblemen zu stellen haben wie die Zuschauer von heute, wurde in den letzten 20 Jahren zur Selbstverständlichkeit sogar in der tiefsten Provinz. Das Verschwinden des klassischen "Rumstehtheaters", des Konzerts im Kostüm, wie es außerhalb Deutschlands noch viel zu oft gepflegt wird, ist zum großen Teil auch Götz Friedrich zu verdanken. Vor lauter Liebe zu seinen Figuren tendierte er dazu, die Musik in die zweite Reihe zu drängen. Nur ungern akzeptierte er den Dirigenten als gleichberechtigten Partner - dadurch verhinderte er Giuseppe Sinopoli als Musikchef der Deutschen Oper, dadurch geriet er zuletzt auch mit Generalmusikdirektor Christian Thielemann aneinander.

Der Bayreuther "Tannhäuser", "Aida", "Ein Maskenball" und "Così fan tutte" an der Deutschen Oper, "Porgy und Bess" im Theater des Westens, sein "Elektra"-Film mit Karl Böhm von 1981, der Münchner "Fidelio" - jeder mag sich an eine der 170 Inszenierungen ganz besonders erinnern, die Friedrich seit seinem Debüt 1958 erarbeitet hat. Epoche machend bleibt seine Deutung von Wagners "Ring des Nibelungen". Seit 1984 / 85 steht die Tetralogie auf dem Spielplan der Deutschen Oper; sie hat nichts von ihrer Wirkung eingebüßt. Als Abschiedsgeschenk an sich und sein Publikum hatte Götz Friedrich die Produktion für den Juni 2001 noch einmal angesetzt. Dass er in der Saisonvorschau nicht als Regisseur genannt werden mochte, weil die Aufführung aus Kostengründen nur halbszenisch über die Bühne gehen wird, mag heute wie eine Vorahnung erscheinen.

Am Ende ein Zyniker

Dass die Jahre seit der umstrittenen letzten Verlängerung seines Intendantenvertrags sehr an seinen Kräften gezehrt hatten, war allen in der Opernszene klar. Die Schärfe, mit der die Kritiker auf die nachlassende Prägnanz seiner Arbeiten reagierten, der Skandal um das Millionen-Haushaltsdefizit und der Streit mit dem Orchester um die Bezahlung der Musiker im vergangenen Jahr hatten aus dem unerschütterlich selbstbewussten Machtmenschen Friedrich einen Zyniker gemacht. Wie es wirklich um ihn stand, war spätestens bei der Premierenfeier zu Prokofjews "Romeo und Julia" vor einem Jahr zu spüren. Wie immer zeigte sich Friedrich zwar kämpferisch gegenüber der Kulturpolitik und erklärte mit bissigen Worten, dass es diesmal statt eines Büffets nur trockene Brezeln gebe. Das unterdrückte Schluchzen einer Dame im Saal aber rührte kaum von der Tatsache, dass sie ihren Wein selber bezahlen sollte. Das quälende Gefühl, dass hier mehr zu Ende ging als eine Intendantenära, trieb ihr die Tränen in die Augen. Vielleicht spürte sie, was jetzt manche aussprechen: Friedrich litt an einer unheilbaren Krankheit - dass Oper, wie er sie verstand, heute nicht mehr möglich ist.

Gestern, in den frühen Morgenstunden ist Götz Friedrich nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Er war 70 Jahre alt. Der Rauch aber, mit dem der glühende Theatermann die Berliner Luft so lange füllte, wird sich lange nicht verziehen.

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