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Panorama: Grausames Ende eines „ganz normalen Schulalltags“

Nach dem gewaltsamen Tod einer Lehrerin verurteilt das Landgericht Lübeck zwei Brüder zu Haftstrafen

Als das Urteil begründet wird, hört Alex O. schon gar nicht mehr zu. Mit einem kurzen Aufatmen hatte er den Spruch kommentiert, jetzt wirkt er erleichtert und paralysiert zugleich. Der 18-Jährige ist vor dem Lübecker Landgericht glimpflich davongekommen. Die Richter haben ihn nicht zum Mörder erklärt. Sie werfen ihm nur vor, sich einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht zu haben, als sein Bruder Vitali die Klassenlehrerin Isolde F. am 16. Januar tötete. Drei Jahre und zehn Monate Haft für Alex, aber es ist nicht das Strafmaß, das Alex zu schaffen macht, sondern was der Vorsitzende Richter ihm sonst noch zu sagen hat. Denn Alex, hält die Jugendkammer des Lübecker Landgerichtes ihm vor, hat zuvor keine Schikane durch seine Lehrerin erlitten. Kein Mobbing, keine Willkür. Alex, sagt der Vorsitzende Richter, hat nicht mehr als einen „ganz normalen Schulalltag“ erlebt. Die Tat, betont das Gericht gegenüber den aus einer Aussiedlerfamilie aus Kasachstan stammenden jungen Männern wiederholt, „steht völlig außer Verhältnis zum Anlass“.

Vorbei ist es mit der Genugtuung, die der Prozeß Alex verliehen hat. Schüchtern war der Schüler zunächst, hatte zu Beginn im August nicht das kleinste Lächeln gewagt. Auf Mord lautete die Anklage, wie die seines älteren Bruders Vitali. Zusammen sollten sie die Klassenlehrerin von Alex in ihrer Wohnung im schleswig-holsteinischen Ahrensburg erstochen haben. Dann sagten mehrere Lehrer der Heimgarten-Realschule als Zeugen aus und waren voll des Lobes über Alex, der als Musterschüler galt. Immer mehr zeichnete sich vor Gericht ein Bild des monatelangen Konfliktes zwischen Alex und seiner Lehrerin, in der die Rollenverteilung zwischen Täter und Opfer fließend schien. Endlich kam zur Sprache, wofür Alex in den Monaten vor der Tat nirgends Gehör gefunden hatte. Das Gericht aber hat das Bild wieder zurechtgerückt. Alex allein sei es gewesen, der die Probleme in der Klasse 10 c der Heimgarten-Realschule bereitete. Als seine Lehrerin zu Sanktionen griff, habe er sich darüber auch noch aufgeregt. Es sei normal, sagte das Gericht, dass Schüler Missbilligungen erfahren, „und es kommt auch mal zu einer Ungerechtigkeit“. Sein Bruder Vitali aber habe Alex geglaubt, dass er schlimmster Schikane seiner Klassenlehrerin ausgesetzt sei, „weil es eben sein Bruder war“.

Vitali, das hat er selbst eingeräumt, fühlte sich berufen, die Sache zu regeln. Der 22-Jährige muss für acht Jahre und neun Monate in Haft. Er hat Isolde F. mit acht Messerstichen in die Brust „abgeschlachtet“, das Wort hat er selbst gegenüber einem Gerichtsgutachter gewählt. Am Abend des 16. Januar sind die Brüder zusammen zur Wohnung der 55-Jährigen F. gefahren, in der Tasche ein Fleischermesser, das Vitali von seiner Arbeitsstelle in einem Restaurant mitgenommen hatte. Sie klingelten, verschafften sich unter einem Vorwand Zutritt zur Wohnung und Vitali schlug mit einem Schlagring zu. Als die Lehrerin zu Boden stürzte, setzte er mit dem Messer nach. Der Staatsanwalt ist sich sicher, dass Alex zumindest auch zugeschlagen hat. Er hatte für beide eine Haftstrafe von neun Jahren und neun Monaten wegen Mordes verlangt. Das Gericht aber urteilte, die Version eines geplanten Mordes sei möglich, aber nicht erwiesen. Denkbar sei ebenso, was Vitali in seinem Geständnis behauptet hat: dass die Brüder Isolde F. nur einschüchtern wollten und die Situation plötzlich aus dem Ruder gelaufen sei. Daher urteilte das Gericht: „Im Zweifel für den Angeklagten.“

Nadia Berr[Lübeck]

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