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Panorama: Große Brutalität

Bertrand Cantat ist wegen Tötung der Schauspielerin Marie Trintignant zu acht Jahren Haft verurteilt worden

Eine halbe Stunde brauchte Richter Vilmantas Gaidelis, als er am Montag das Urteil des Bezirksgerichts Vilnius gegen Bertrand Cantat, den Sänger der französischen Rockband Noir Désir, verkündete: Acht Jahre Haft, verhängt für die vorsätzliche Tötung der Schauspielerin Marie Trintignant, Cantats Freundin. Ob er die Urteilsbegründung verstanden habe, wollte der Richter von Cantat wissen, nachdem die Dolmetscherin den Urteilssspruch ins Französische übertragen hatte. „Ja“, antwortete Cantat leise. Mehr nicht.

Dem Staatsanwalt gefolgt

Was sollte er auch noch sagen? Dass er die Schuld am Tod seiner Geliebten trägt, hat Cantat nie bestritten. Doch was genau geschehen ist in jener Nacht des 26. Juli 2003, daran kann, daran will sich der Sänger vielleicht auch nicht mehr erinnern. Eine Eifersuchtsszene war entbrannt zwischen den beiden Liebenden, ausgelöst durch eine SMS von Marie Trintignants Ehemann, dem Regisseur Samuel Benchetrit. Nach Cantats Aussage war Marie im Laufe der Streitigkeiten als Erste handgreiflich geworden, dann hatte auch er die Kontrolle verloren und auf sie eingeschlagen. Am nächsten Morgen wurde die Schauspielerin bewusstlos in ihrem Bett gefunden, fünf Tage später starb sie in Paris an den Folgen eines Hirntraumas.

Im „Jahrhundertprozess von Vilnius“, wie ihn die französische Presse gerne bezeichnete, war es zuletzt nur noch um Details gegangen. Um die Anzahl und Stärke jener Schläge, an deren Folgen Marie Trintignant zweifelsfrei gestorben war. Vier Ohrfeigen waren es nach Cantats Aussage. Die französischen Gerichtsmediziner dagegen hatten in ihrem Gutachten von „Schlägen mit großer Brutalität“ gesprochen, während der litauische Arzt, der Marie Trintignant unmittelbar nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus behandelt hatte, Cantats Darstellung vor Gericht als „prinzipiell plausibel“ bezeichnete.

Der Version der Verteidigung, nach der Cantat seine Freundin fahrlässig getötet hatte, wollte sich das Gericht dennoch nicht anschließen. Die Schuld des Angeklagten sei zweifelsfrei erwiesen, erklärte Vilmantas Gaidelis in seiner Urteilsbegründung.

Cantat sei zum Zeitpunkt der Tat voll schuldfähig gewesen, er habe Marie vorsätzlich geschlagen und sei sich der potenziellen Folgen seines Handelns bewusst gewesen. „Der Angeklagte mag diese Konsequenzen nicht gewollt haben, aber sie sind eingetreten“, erklärte Gaidelis. Damit schloss sich das Gericht weitestgehend der Argumentation der Staatsanwaltschaft an, die für Cantat neun Jahre Haft wegen „vorsätzlichen Totschlags“ gefordert hatte.

Cantats Anwälte kündigten unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, in Berufung gehen zu wollen. Bis zuletzt hatten die Verteidiger auf „Totschlag durch Fahrlässigkeit“ plädiert, wofür in Litauen maximal vier Jahre Haft verhängt werden können. Der Anwalt der Trintignant-Familie ließ nach dem Prozess wissen, er werde in einem eventuellen Berufungsprozess seinerseits auf eine Anhebung des Strafmaßes dringen, falls Maries Familie dies wünsche.

Berufung angekündigt

Und niemand bezweifelt, dass zumindest Maries Mutter Nadine Trintignant für Cantat gerne die höchstmögliche Strafe verhängt sähe. Mehrfach hatte die Regisseurin, die zum Tatzeitpunkt in Vilnius mit ihrer Tochter zusammen an einem Film arbeitete, während des Prozesses an den Gerechtigkeitssinn der litauischen Juristen appelliert. Und als der Richter sie am letzten Prozesstag zu einer abschließenden Stellungnahme aufforderte, wirkte Nadine Trintignants Auftritt wie eine unbehagliche Mischung aus aufrichtiger Verzweiflung und kalkulierter schauspielerischer Wirkung: Mit bebender Stimme zählte die Regisseurin einem nach dem anderen die Namen jener vier Kinder auf, „die ihre Mutter Marie niemals wiedersehen werden“.

Und nahm dabei zum ersten Mal jene Sonnenbrille ab, die sie zuvor vor dem Blitzlichtgewitter der französischen Presse geschützt hatte. Um dem Richter ihre Tränen zu zeigen?

Cantat selbst hatte bei seiner abschließenden Vernehmung am vergangen Montag das Wort an die Trintignant-Familie gerichtet und um Vergebung gebeten. „Ich wollte Marie nicht töten“, hatte er gesagt. „Ich habe sie geliebt, und ich werde sie immer lieben.“

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