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Panorama: Großes Sommerlochtheater

Veronica Ferres hat die Rolle der Mutter Courage abgelehnt. Weil sie zu vulgär sei. Aber was sind die wahren Gründe?

„Ich bin sehr enttäuscht und fühle mich ausgenutzt“, sagt Veronica Ferres und feuert moralische Empörungsbreitseiten ab gegen Jürgen Flimm, Intendant der Ruhr-Triennale, und Autor Wilhelm Genazino, Träger des Büchner-Preises: „Weit unter der Gürtellinie – vulgär und ordinär. Das ist nicht wirklich das, was ich mir unter der Rolle einer Mutter Courage vorstelle.“ Und dann, ganz Künstlerin: „So finde ich keinen Zugang zur Rolle.“ „In ihrer Rolle ging’s nur um Fi... und Vö...“ titelte „Bild“, und nun hat der Sommer endlich seinen Theaterstreit, und die Ferres ihre Schlagzeilen. Wer hier allerdings tatsächlich gerade wen wofür ausnutzt, ist offen. Die 41-Jährige hat Genazinos Stück „Courasche oder Gott lass nach“, das auf Brechts „Mutter Courage“ und einem Text von Christoffel von Grimmelshausen basiert, zehn Wochen vor der Premiere platzen lassen, mit der Begründung, dass es mit dem Bild ihrer Persönlichkeit in der Öffentlichkeit nicht in Einklang zu bringen gewesen wäre. „Ich finde keinerlei Zugang dazu. Ich mag diese Frau nicht.“ Ein erstaunliches Urteil, wenn man bedenkt, dass das Stück noch gar nicht fertig geschrieben und von Regisseurin Stephanie Mohr als „work in progress“ angelegt war. Damit stellt Ferres Flimm, dem sie immerhin ein Engagement in Salzburg zu verdanken hat, vor erhebliche Probleme. „Ich weiß nicht, warum die Vroni so geschockt ist“, klagt Flimm und erinnert daran, dass man schon bei Shakespeare vulgäre Dialogzeilen finden kann: Natürlich sei die Figur „wirklich eine Hure, das sagt sie selber bei Grimmelshausen. Und sie spricht eine Sprache der Gosse und der Straße.“

Ferres aber ist mit dem selbst ausgelösten Wirbel treffsicher ins Sommerloch gehüpft. In Interviews erläutert sie bedeutungsschwer, jede ihrer Rollen müsse „eine potenzielle Schwester sein können“, um im nächsten Satz zu sagen: „Ich könnte Hitler spielen, wie es Bruno Ganz gemacht hat, wenn Hitler eine Frau gewesen wäre.“ Bevor sie ihre Kritik an Flimm fortsetzt, fällt noch geschickt die Information, sie „habe sogar ein Filmprojekt in Amerika dafür sausen lassen“, dann raunt Ferres nicht uneitel: „Vielleicht geht es darum, meine Popularität als Verkaufsmagnet einzusetzen?“

Vielleicht ging es aber umgekehrt auch darum, Ferres’ Verkäuflichkeit als Werbemagnet nicht zu schaden. Immerhin hat Ferres weit mehr als mit dem Theater mit einträglichen Werbeverpflichtungen zu tun, unter anderem gibt sie Gesicht und Namen für Kartoffelklöße, Gesichtskosmetik, Parfüm, Mode, Mobiltelefone, Strom und Babynahrung. So ganz geraten die Grenzen da auch mal aus dem Blick, jedenfalls schnitt das ZDF letztes Jahr aus dem Ferres-Melo „Sterne leuchten auch am Tag“ ein paar Stellen heraus, unter anderem eine, in der sie in einem Supermarkt eine Schönheitscreme kauft, für die sie selber wirbt. Natürlich war das nur Zufall, keineswegs bewusstes Product-Placement, teilte Ferres’ Anwalt damals mit.

Ferres’ jetzige Empörung wäre glaubhafter, wenn die Darstellerin auch früher mit ähnlich hoher moralischer Elle gemessen hätte. Als es um ihren Aufstieg ging, war Ferres weniger zimperlich: Sie debütierte 1985 als „Badhure“ in „Die Bernauerin“, es folgte unter anderem „Schtonk“, worin sie nackt auf einem Tisch tanzte, und in Helmut Dietls Sittenbild „Rossini“ war sie das blonde doof-bauernschlaue Starlet „Schneewittchen“, das für eine Hauptrolle der Münchner Filmschickeria anbietet: „Ich kann mich auch hochschlafen“ – und wenige Minuten später mit einem Filmregisseur ins Bett hüpft.

Seitdem hat sich in Ferres’ Karriere einiges getan, sie zeigte immer weniger Haut und immer mehr Ehrgeiz – und spielte Frauen, die erst leiden und dann nichts mehr dem Zufall überlassen, Kinder, Mann und Haushalt managen und nebenbei Karriere machen. Ab und an muss es noch mal „Kunst“ sein, aber „Klimt“, ihr erst zweiter Kinofilm in sieben Jahren, war ein Flop. Gut möglich, dass für Veronica Ferres die Mutter Courage einfach ein, zwei Nummern zu groß war, sie Angst hatte, der Rolle nicht gewachsen zu sein, und das Publikum sich am Ende an Sönke Wortmann erinnern könnte, der einmal böse lästerte, es „ringe ihm durchaus Respekt ab, wie es jemand mit so durchschnittlicher Begabung so weit bringen kann“. Dafür ist Ferres zum Medienprofi gereift. In der „FAZ“ spricht sie über ihre Hoffnung auf „intellektuelle Herausforderung auf der Bühne“, in „Bunte“ über „Lebenskrisen“ und „guten Sex“, in „Bild“ über ihren Verein „Power Child“, der gegen sexuellen Missbrauch kämpft. Geschickt platziert ist dies immer, und so ist das jetzige Sommerlochtheater vielleicht auch als cleveres Selbstmarketing einer Darstellerin zu sehen, die weiß, wie es geht.

Rüdiger Suchsland

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