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Wachsleichen

© dpa

Gruseliges Problem: Auf jedem vierten Friedhof: "Wachsleichen" verwesen einfach nicht

Rund 25 bis 40 Prozent aller Friedhöfe haben ein "Wachsleichen"-Problem. In Ostrhauderfehn sind sogar 80 Prozent aller Toten betroffen. Jetzt sollen belüftete Grabhüllen helfen.

"Von der Erde bist Du genommen, und zur Erde kehrst Du zurück", sagt die Bibel. Rein praktisch gesehen gibt es damit auf dem kirchlichen Friedhof im ostfriesischen Ostrhauderfehn Probleme. Der Gottesacker im Ortsteil Untenende ist viel zu nass und lässt keinen Sauerstoff an die Särge. Daher können die Toten nicht verwesen. Sie werden zu sogenannten Wachsleichen und überstehen die Jahrzehnte vollständig konserviert. Experten meinen, dass es Wachsleichen auf mindestens jedem vierten deutschen Friedhof gibt. In Untenende betrifft es aber vermutlich 80 Prozent der Toten. Belüftete Grabhüllen sollen jetzt Abhilfe schaffen.

"Nicht als Friedhof geeignet"

Ein Sprecher des Landkreises Leer, wo die Gemeinde um Hilfe gebeten hatte, fasste das Ergebnis von Untersuchungen zusammen: "Wir mussten feststellen, dass der Friedhof nicht mehr als Friedhof geeignet ist." Für viele Einwohner in dem beschaulichen Ort war das ein Schock - ihre Ahnen ruhen seit 1834 in Untenende.

"Staunässe, Haftnässe und Grundwasser" versiegelten die Särge luftdicht. Teilweise stünden die Gräber komplett unter Wasser, fand Michael Carl Albrecht, Sachverständiger für Friedhofsbodenkunde aus Hannover, heraus. In diesem Dauerbad ohne Sauerstoff wandele sich das Körperfett zu einer beständigen Schutzschicht um. Albrecht begutachtete das Gräberfeld und öffnete drei abgelaufene Gräber, die 30, 31 und 48 Jahre alt waren. In allen Fällen fand er Wachsleichen. "Ich schätze das Risiko in Untenende auf 80 Prozent", berichtet er. Unter dem für Ostfriesland typischen Torfboden finde sich eine "verhärtete Schicht", die das Wasser nicht ablaufen lasse. Schon vor mehr als 150 Jahren sei das Problem erkannt und der Friedhof deshalb mit feinem Sand präpariert worden. Der verstärkte das Problem noch. "Das wirkt heute wie ein Schwamm", sagt Albrecht.

"Ein heißes Eisen"

Bodenkundler Heiner Fleige von der Universität Kiel bestätigte, dass das Problem bei "25 bis 40 Prozent" aller deutschen Friedhöfe besteht. Das habe eine groß angelegte Umfrage seines Instituts gezeigt, aus der auch hervorging, dass das Thema oft verleugnet wird. "Das ist ein heißes Eisen."

In Untenende sollen jetzt Plastikmäntel für die Särge das Wasser fernhalten. Über eine Art Schnorchel soll Luft herangeführt werden. Neue Grabflächen sind vorerst nicht denkbar, aber Verwandte ersten Grades können zusammen mit den längst gestorbenen Angehörigen in bestehenden Gräbern beigesetzt werden. Allerdings werden die Grabhüllen die Beerdigung teurer machen, um mehrere hundert Euro, wie Gutachter Albrecht vermutet. Urnenbestattungen bleiben möglich, haben in Ostfriesland aber keine Tradition, wie Pastor Jens Pröve erklärt.

Heiko Lossie[dpa]

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