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Michael Kempf

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Guide Michelin: Griff nach den Sternen

Der Berliner Koch Michael Kempf hat seine zweite Michelin-Auszeichnung bekommen. Auch die Frauen holen auf. Unter ihnen ist die gebürtige Koreanerin Sarah Henke auf Sylt.

Es gibt unter Köchen viele Emotionen, und manchmal, wenn das Fernsehen nicht draufglotzt, sind sie sogar echt. Ein solcher Moment ereignete sich am Donnerstag in Berlin, als Christian Jürgens, der Küchenchef der „Überfahrt“ in Rottach-Egern, offiziell von seinem dritten Michelin-Stern erfuhr. Gleich neben ihm stand – als Ehrengast – Eckart Witzigmann, und beide fielen sich gerührt und lange in die Arme, fast wie eine Wiedervereinigung von Vater und Sohn. Jürgens hat lange unter Witzigmann gearbeitet, gehörte zur legendären Brigade der Münchener „Aubergine“, und er fasste seine Gefühle bündig zusammen: „Das kann sich keiner vorstellen, der nicht Koch ist, was sich jetzt in mir abspielt.“ Die Gäste, so meint er, erwarteten nun jeden Tag „den dreifachen Salto mit sechsfacher Schraube“, und diesem Anspruch müsse eine solche Küche in jeder Sekunde gerecht werden.

Christian Jürgens ist der einzige neue Drei-Sterne-Koch in Deutschland

Jürgens ist in diesem Jahr der einzige neue Drei-Sterne-Koch in Deutschland. Zehn weitere gibt es noch, mehr als in jedem anderen europäischen Land außer Frankreich – das Lebensziel jedes ehrgeizigen Küchenchefs.

Der einzige neue Drei-Sterne-Koch: Christian Jürgens.
Der einzige neue Drei-Sterne-Koch: Christian Jürgens.

© AFP

In Berlin hat es noch nie jemand erreicht, aber die Zahl der Aspiranten steigt: Michael Kempf vom „Facil“ im Mandala-Hotel trägt ab sofort den zweiten Stern.

Er zeigte sich völlig überrascht und bestätigte damit indirekt, dass die Geheimhaltung beim Michelin viel besser funktioniert als früher: „Heute Morgen um zehn habe ich erfahren, dass ich hierherkommen soll“, sagte er, „das war alles, was ich wusste“. Kempf musste lange pausieren, weil das Hotel mitsamt Restaurant im Sommer mehrere Monate saniert werden musste – das hätte negative Folgen haben können, hatte es aber nicht. „Heute Abend werden wir erst mal ordentlich feiern.“ Auf die Frage nach den Schwerpunkten seiner Küche nennt er „Gewürze und Gemüse“. Die international viel beachteten vegetarischen Restaurants der Stadt allerdings werden im Michelin durchweg nicht erwähnt. Neben Kempf bleiben weiterhin vier andere Berliner Küchenchefs mit zwei Sternen ausgezeichnet: Daniel Achilles (Reinstoff), Christian Lohse (Fischers Fritz), Hendrik Otto (Lorenz Adlon Esszimmer) und Tim Raue. Neu in der Ein-Sterne-Kategorie sind das „Les Solistes by Pierre Gagnaire“ (Küchenchef Roel Lintermans), das „Cinco by Paco Perez“ und der „Pauly-Saal“ mit Küchenchef Michael Höpfl. Den Stern verloren hat das „Margaux“, das im Januar geschlossen wird. Auch Raue hat sich eine neue Auszeichnung verdienen können: Das von ihm konzipierte „La Soupe populaire“ in der ehemaligen Bötzow-Brauerei hat den „Bib Gourmand“ für sorgfältig zubereitetes preiswertes Essen erhalten. Gestrichen wurden in dieser Kategorie der „Bieberbau“ („über Preislimit“) und das „Alpenstück“.

Berlin baut seinen Vorsprung in Deutschland aus

Insgesamt sind das aktuell fünfmal zwei und neunmal ein Stern, zusammen 19 – ein Gesamtniveau, das Berlin zuvor noch nie erreicht hatte. Die Stadt hat damit ihren Vorsprung als kulinarisch interessanteste deutsche Großstadt ausbauen können; München bringt es auf 14, Hamburg auf 12 Sterne, und auch dort gibt es kein Restaurant der absoluten Spitze.

Michael Ellis, der Chef der Michelin-Führer weltweit, wand Deutschland vor der Presse in Berlin ein Kränzlein: Das Land sei eine der „most dynamic dining destinations“ der Welt, eines der dynamischsten Ziele fürs gutes Essen. Sein Beweis der positiven Entwicklung: Die Zahl der Sterne stieg im neuen Guide von 255 auf 274. Alle Unkenrufe, dass das besternte Essen aus der Mode komme, dürfen so als widerlegt gelten.

Sarah Henke
Sarah Henke

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Neben Michael Kempf sind Jörg Sackmann aus Baiersbronn und Andreas Krolik vom Frankfurter „Tiger-Restaurant“ neu unter den Zweibesternten. Die meisten neuen Sterne leuchten wie immer über Baden-Württemberg und Bayern, der Osten geht weitgehend leer aus. Allerdings gibt es Ausnahmen, die auch aus Berliner Sicht interessant sind: Tom Wickboldt (Heringsdorf/Usedom), Pierre Nippkow („Ostseelounge“/Dierhagen) und Ralf Haug („Freustil“, Binz/Rügen) tragen frische Sterne, und Sebastian Syrbe, der Neue in der „Nixe“ in Binz hat die Auszeichnung verteidigen können. In Brandenburg gab es keine Veränderungen, es bleibt bei den Sternen für „17fuffzig“ in Burg und „Bayrisches Haus“ in Potsdam.

Es gibt laut Michelin auch einen kleinen Trend hin zu mehr erfolgreichen Frauen in der Chefposition. Vier wurden in diesem Jahr neu mit einem Stern ausgezeichnet: Caroline Baum („Reisers am Stein“, Würzburg), Anna Sgroi aus Hamburg, Maria Groß vom „Clara“ im Erfurter Kaisersaal und Sarah Henke, die im „Spices“ im Arosa-Hotel in Sylt asiatisch kocht – eine Ausnahme in der deutschen Küchenszene. Allerdings zeigt dieses Restaurant auch deutlich, wie fragil das Glück der – nur selten profitablen – Spitzenküche ist. Denn Horst Rahe, der Eigner der Arosa-Hotels, hat vor gut zwei Wochen einen Kurswechsel verkündet, dem möglicherweise die Gourmet-Restaurants der Gruppe, darunter zwei mit zwei Sternen, zum Opfer fallen. Sarah Henke hielt sich am Donnerstag bedeckt: Sie weiß noch nicht, ob der Stern bleibt.

Der Guide Michelin Deutschland 2014 ist ab 8.11 im Buchhandel, Preis 29,95 €

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