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Panorama: Gute und böse Geister

Chinesen achten streng auf ein gutes Feng ShuiVON HARALD MAAS, HONKONGKaum etwas in Hongkong ist aufreibender als die Wohnungssuche.Das hat jetzt auch der zukünftige Regierungschef Tung Chee Hwa erfahren.

Chinesen achten streng auf ein gutes Feng ShuiVON HARALD MAAS, HONKONGKaum etwas in Hongkong ist aufreibender als die Wohnungssuche.Das hat jetzt auch der zukünftige Regierungschef Tung Chee Hwa erfahren.Seit Wochen ist der neue starke Mann Hongkongs auf der Suche nach einem repräsentativen Wohnsitz, in den er mit seiner Familie nach der Machtübernahme einziehen kann.Dabei könnte er es viel einfacher haben.Schließlich wird in der Nacht zum 1.Juli, wenn der letzte britische Gouverneur Chris Patten die Insel verläßt, das prächtige Gouverneurshaus leer.Doch darin will der neue Chef auf keinen Fall einziehen.Nicht weil es ein Überbleibsel der britischen Kolonialunterdrückung ist.Nein, weil das Feng Shui schlecht ist und deshalb nach chinesischer Tradition böse Kräfte in dem Haus walten. "Feng Shui", was wörtlich übersetzt "Wind und Wasser" bedeutet, ist die mehr als tausend Jahre alte chinesische Tradition, wonach jedes Haus und jedes Zimmer so gebaut und eingerichtet werden müssen, daß sie eine günstige Ausstrahlung auf den Menschen haben.Ausschlaggebend ist dabei das Qi, was in der chinesischen Philosophie ein Energiefluß ist und oft auch mit "Luft" übersetzt wird."Wenn das Qi in einem Haus nicht stimmt, werden die Menschen krank", sagt Feng-Shui-Meister Sung Siu-Kwong.Und was für viele in Hongkong noch schlimmer ist: Mit einem ungünstigen Feng Shui, so der Meister, "gehen auch die Geschäfte schlecht". Beim Gouverneurshaus sei der Fall eindeutig, sagt Meister Sung."Ursprünglich war das Feng Shui des Hauses eigentlich gut", erläutert der Meister.Doch seit dem Bau des neuen Hochhauses der "Bank of China" - es gilt als eines der schönsten modernen Gebäude der Welt (siehe Foto) und wurde von dem sinoamerikanischen Architekten I.M.Pei gebaut -, sei das Feng Shui im Gouverneurshaus ruiniert."Das sind die spitzen Winkel auf der Fassade der Bank", sagt Meister Sung.Wie "Messer und Pfeile" würden sie das Feng Shui der umliegenden Gebäude beschädigen.Pei setzte gigantische Dreiecke zum Wolkenkratzer zusammen, und bescheren Dreiecke sonst ein extrem schlechtes Feng Shui, symbolisieren sie hier das Element Feuer."Die Hochhäuser rundum ähneln Baumstämmen", heißt es, "und Holz nährt das Feuer.Die Bank of China wächst auf Kosten der Unternehmen, die sie umgeben." Überhaupt gebe es einige Dinge, die das Feng Shui eines Hauses kaputt machen können."Straßen, die direkt auf das Haus zuführen, sind ganz schlecht", sagt Meister Sung.Sie sind wie Flüsse, in denen das Geld wegschwimmt.Ungünstig sei auch, wenn das Gebäude auf einem Abhang steht."Sehen sie", sagt Meister Sung und zeichnet auf einem Blatt Papier ein Haus an einer Schräge, "das ganze Geld fließt aus dem Gebäude weg". Pfeile von spitzen Winkeln und fließendes Geld? Was sich für Europäer wie ein Aberglaube anhört, ist bis heute für Chinesen in aller Welt eine ernstzunehmende Wissenschaft.Kein Haus, das in Hongkong gebaut wird und keine Wohnung, die bezogen wird, ohne daß vorher ein Feng Shui Meister um Rat gefragt wird.Selbst die britischen Beamten der Kolonialverwaltung berücksichtigten bei der Stadtplanung die "günstigen Winde".Auch Sir Norman Foster, der britische Architekt der "Hong Kong Shanghai Bank" in Hongkong, mußte berücksichtigen, daß ein nördlicher Winkel von 219,375 Grad "Zerstörung und Zerfall" bedeutet, während 331,875 Grad "Brillianz und Friede" bescheren. Als Unicom, die Kabelbetreiberin der Nachrichtenagentur UPI, ein Büro in Hongkong eröffnete, brach sich ein Angestellter den Arm, andere litten an Eheproblemen, wieder andere kündigten und der Rest war krank.Der herbeigerufene Feng-Shui-Meister sah: Die schlechte Energie kam aus der Chefetage.Um die Energie abzulenken, hängte er einen großen Spiegel auf, der aber noch mehr Probleme verursachte.UPIs chinesische Sekretärinnen protestierten, die schlechte Energie werde in ihre Richtung gespiegelt.Ihrerseits hängten sie daraufhin Spiegel auf. Der Rat eines Feng-Shui-Meisters ist nicht billig.50 Hongkong Dollar pro Quadratmeter, umgerechnet etwa 12 Mark, verlangt Sung Siu-Kwong für seine Dienste.Bei Eröffnungen von Kaufhäusern oder Neubauten von Hochhäusern lassen es sich die Investoren bis zu 100 000 Mark kosten, die bösen Geister abzuhalten.Der Feng-Shui-Meister hat dafür auch einiges zu tun: So bestimmt er mit Hilfe seiner Instrumente den optimalen Tag für die Geschäftseinweihung, sucht günstige Farben für die Büroeinrichtung aus und sorgt mit Hilfe von Trennwänden und Spiegeln, daß das Qi auf einem "gesunden Weg" durch das Gebäude fließt. Sung Siu-Kwong, ein jugendlich wirkender Mitvierziger mit rosa Hemd und dunkelgrüner Krawatte, ist einer der angesehensten Feng-Shui-Meister in Hongkong.Seine Kunden sitzen in der ganzen Welt.Wie viele Traditionen gilt Feng Shui seit der Machtübernahme der Kommunisten 1949 in der Volksrepublik China offiziell als Aberglaube und wird von den Behörden bekämpft. "Im Westen denken viele, daß Feng Shui etwas mit Religion zu tun hat", sagt Meister Sung.Dabei sei Feng Shui eine "Wissenschaft, zu der ein großes Wissen, Mathematik und Einfühlungsvermögen gehört." In seinem Büro in einem modernen Hochhaus im Osten Hongkongs erläutert Meister Sung seine Arbeit."Als erstes schaue ich mir die Umgebung an", sagt er.Optimal sei die Lage, wenn "im Rücken ein Berg und nach vorne ein ruhiges Gewässer" liege.Als nächstes geht der Meister in die Wohnung oder das Büro, um sie zu "vermessen".Dazu läuft er mit einer Art Kompaß, der auf einer Holzplatte montiert und mit einer Vielzahl von Zeichen beschriftet ist, durch das Zimmer."Jetzt kann ich berechnen, wie das Qi fließt", sagt Meister Sung.Auf einem Blatt Papier beginnt er, verwirrende Schriftzeichen zu malen und Berechnungen anzustellen."Diese Ecke da", sagt er schließlich und deutet auf einen hinteren Winkel in seinem Büro, "ist ausgesprochen schlecht".Aus diesem Grund stehe dort der Archivschrank, um so die "schlechte Ecke zu blockieren". Wichtig ist auch die richtige Position der Toilette.Eine falsche Position der Toilette spüle den ganzen Reichtum hinunter, heißt es.Europäische Besucher, die irgendwo auf der Welt eine Wohnung oder ein Haus von Chinesen betreten, wundern sich oftmals, daß sie zunächst einmal fast gegen eine Wand rennen.Viele Eingänge sind so umgebaut, daß der Besucher direkt nach dem Eintreten um die Ecke gehen muß.Der Hintergrund ist die Vorstellung der Chinesen, daß böse Geister nicht um die Ecke gehen können.Ist der Eingang richtig gebaut, müssen sie draußen bleiben.Auch Brücken sind oft im Zickzack gebaut, damit die bösen Geister sie nicht betreten können. Ein ungünstiges Feng Shui ist noch kein Grund zum Verzweifeln.In ihrer pragmatischen Art hat die chinesische Tradition allerlei Möglichkeiten entwickelt.Statt einem Berg könne in heutiger Zeit durchaus auch "ein hohes Gebäude" im Rücken stehen", sagt Meister Sung.Statt "ruhigem Wasser", das eigentlich vor dem Haus fließen sollte, reiche zur Not auch "ein Aquarium".Zwei in Stein gehauene Löwen vor dem Eingang würden ebenfalls das Feng Shui verbessern.Nur ganz selten, etwa in einem von zwanzig Fällen, sagt Meister Sung, müsse er den Kunden raten, aus der Wohnung auszuziehen. Soweit ist der neue Hongkonger Regierungschef Tung Chee Hwa noch nicht.Er muß erst einmal eine finden.Und seine Feng-Shui-Berater überlegen sehr lange, bevor sie einem Domizil zustimmen.Dem mächtigen Mann Pekings wollen sie lieber kein Unglück bringen.

HARALD MAAS[HONKONG]

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