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Haarige Sache: Freibeuter-Stil kommt in Mode

Der Pferdeschwanz galt als ausgestorben. Mit dem Erfolg der Piratenpartei taucht er nun sogar im Fernsehen auf. Was sind das für Männer, die ihre Haare so tragen? Eine Phänomenologie.

Da standen sie nun, die Piraten. Einen Tag nach ihrem Wahlerfolg. Auf der Treppe zum Abgeordnetenhaus. Was sie zeigen wollten: dass mit ihnen zu rechnen ist. Was in Erinnerung blieb: die Frisuren. Martin Delius, der parlamentarische Geschäftsführer der Piratenfraktion, hatte seine Haare zum Zopf gebunden, ebenso der Abgeordnete Pavel Mayer. Hinzu kam mit Alexander Morlang ein weiteres Fraktionsmitglied, das auf dem Gruppenbild fehlte, aber ebenfalls einen Zopf trägt.

Damit hat sich ein Männertyp ins Rampenlicht verirrt, der eher scheu ist. Er hält sich von der Gesellschaft fern, weil dort Regeln gelten, die ihm nicht einleuchten, weil er als Romantiker seinem Herz folgen will und nicht den Launen der Zeit. Wenn alle Lady Gaga hören, legt er lieber Die Ärzte auf; wenn alle die deutsche Fußball-Elf beim Public Viewing bejubeln, hält er daheim „World of Warcraft“ die Treue; und wenn andere Männer sich schick machen, um Frauen zu gefallen, denkt er: Die inneren Werte zählen.

Die Piratenpartei hat einer Frisur zu ungeahnter Prominenz verholfen, die abseits des Mainstreams zu finden ist: auf Hardrockkonzerten und Gamerpartys, auf Mittelaltermärkten und Bikertreffs. Pferdeschwanzträger bilden die Gegenbewegung zu einem Männertyp, der vor einigen Jahren noch als zukunftsweisend gefeiert wurde: dem Metrosexuellen. Der blättert Modemagazine durch, manikürt sich die Nägel und gelt die Haare. Der Metrosexuelle sorge für Gleichheit unter den Geschlechtern, hieß es, denn er investiere genauso viel in Pflegeprodukte wie Frauen. Der Zopfträger erteilt diesem Schönheitskult nun eine Absage.

Ein Biotop findet der Haargummifetischist auf dem Wacken Open Air, dem größten Metalfestival der Welt, das in der schleswig-holsteinischen Einöde stattfindet. Dort legt er sein Stammeszeichen ausnahmsweise ab: Er löst das Gummi und schüttelt ekstatisch seine Mähne, wenn Manowar zum Headbangen einladen. Andere Pferdeschwanzträger fühlen sich in der Bikerszene wohl. Auf der Harley brausen sie dem Horizont entgegen und wähnen sich frei wie Dennis Hopper in „Easy Rider“, dem Roadmovie aus den 60er Jahren. Dass ihre Piste nicht die Route 66 ist, sondern eine Landstraße in der Eifel – geschenkt.

Doch Vorsicht: Der Pferdeschwanz ist eine riskante Frisur. Männer, die ihn tragen, mögen ein goldenes Herz haben, ihr Erscheinungsbild kann aber schnell ins Lächerliche kippen: Wenn sie den Zeitpunkt für den Gang zum Friseur verpasst haben. Der Zopf ist nur so lange attraktiv, wie sein Träger noch jung ist. Er ist dann ein Suchender, nach Sinn, nach Identität, nach einer Frau, die ihn liebt.

Es kann nur einen geben: Wer der Frauenschwarm unter den Piraten ist, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Dass ein solcher Typ überzeugen kann, lässt sich im mehrteiligen Hollywood-Epos „Fluch der Karibik“ beobachten. Der Freibeuter Will Turner, gespielt von Orlando Bloom, bricht aus seiner Heimat auf, um mit dem durchgeknallten Jack Sparrow durch die Weltmeere zu kreuzen. Seine schimmernde Mähne, die er öfters zum Pferdeschwanz bändigt, symbolisiert heroischen Edelmut. Dass die Schönheit einer solchen Figur nur von begrenzter Dauer sein kann, hat ihr Darsteller rechtzeitig bemerkt: Nachdem die dritte Folge vom „Fluch der Karibik“ abgedreht war, hat Orlando Bloom seinen vorzeitigen Ausstieg aus der Filmreihe bekanntgegeben. Will Turner blieb von der Bildfläche verschwunden, und die mythologische Erzählung des Films legt nahe, er sei glücklich liiert mit Elizabeth Swann, jener bildhübschen Piratin, die Keira Knightley verkörpert.

Die problematischen Pferdeschwanzträger, die Kippfiguren, sind ältere Männer. Wenn sie Pech haben, werden sie zum Gespött. Der Satiriker Wiglaf Droste hat ihnen eine Polemik gewidmet, „Der zopftragende Mann“. Drostes Urteil fällt hart aus. Er beschreibt, wie wir voller Abscheu auf die Sturheit der bezopften Männer blicken: „Viele sehen peinlich berührt zu Boden. Rasch huschen sie davon, andere wenden sich angeekelt ab. Nicht einer ist da, der dem zopftragenden Mann hilft in seinem Elend; die Menschen überlassen ihn sich selbst in seinem Schicksal. Diese Erfahrung macht den Zopfträger hart und bitter.“

Es gibt zwei Zopfträger, die kontinuierlich Spott auf sich zogen. Da ist zum einen Karl Lagerfeld: Seine beruflichen Verdienste als Modeschöpfer mögen epochal sein, als öffentliche Figur jedoch wandelt er am Rande des Grotesken. In die großen Talkshows wird er nur deshalb eingeladen, weil er jedes Klischee bedient, das Lieschen Müller von der Modebranche hat: der Fächer, die Sonnenbrille, das ganze aufgeregte Getue. Wenn Lagerfeld behauptet, er trage einen Zopf, weil es die bequemste Frisur sei, darf man davon ausgehen, dass er schwindelt. So viel modische Gleichgültigkeit ist unwahrscheinlich. Sein Pferdeschwanz dient pfauenhafter Selbstinszenierung – er verschafft ihm ein Alleinstellungsmerkmal mit maximalem Wirkungsgrad.

Außerdem ist da noch der Fernsehmoderator Cherno Jobatey. Die „FAZ“ hat ihn einmal als „heitersten Wecker der Nation“ bezeichnet. Seit 1992, einer halben Ewigkeit, moderiert er das „Morgenmagazin“ im ZDF. Er muss gespürt haben, dass sein Image als öffentlich-rechtlicher Li-La-Laune-Bär eine Sackgasse ist. Im Jahr 2006 ließ er seinen Zopf entfernen. „Mein Beitrag zum Mozartjahr“, kalauerte Jobatey gegenüber der „BZ“. Der Karriereschub ist bislang ausgeblieben.

Auf der nächsten Seite: Erinnerungen an die erste Grünen-Fraktion im Bundestag.

Und was denken Frauen über Männer, die möglicherweise längere Haare als sie tragen? Geht es um Schönlinge wie Orlando Bloom, sind sie nachsichtig. „Ihm steht das, er kann sich das erlauben“, hört man oft. Wenn aber Thomas, Peter oder Kai die Haare zusammenschnüren, pfeifen die Damen auf Diplomatie: nicht tragbar, ein Graus. Die Antipathie gegen Zottel jeder Art ist ein beliebtes Thema in den Kolumnen von Frauenzeitschriften. In der „Glamour“ berichtete zuletzt eine Autorin von ihrer „Ekelerfahrung“ mit einem „langmähnigen Nachbarn“: Er habe ihr beim Renovieren geholfen, dabei hätten seine „Krausehaare“ ihren Oberarm gestreift. Muss furchtbar gewesen sein.

Vor Verallgemeinerungen solcher Art sollte man sich hüten. Mag das Haargummi auch gleich sein, schlicht und in dunkler Farbe, so bietet der Schnitt jede Menge Möglichkeiten zur Distinktion. Da ist zum Beispiel der Messdienertyp, sein Merkmal ist der züchtige Mittelscheitel, der zurückgekämmt ist. Der Piraten-Abgeordnete Martin Delius bevorzugt diese Frisur, ebenso der Stargeiger David Garrett. Das Gegenteil wäre der Rundum-Sorglos-Typ: Die Haare hängen wie eine Schlingpflanze bis zum Hintern runter, und um zu verhindern, dass sich Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr darin verheddern, werden sie kunstvoll gebunden. Anzutreffen ist dieser Mann in der Metalszene oder bei Rollenspielen in Ritterburgen.

Es ist das Verdienst der Piraten, dass sie sich um die Integration dieser Bevölkerungsgruppe bemühen. Die Frauenquote mag zwar dürftig sein, dass aber ein guter Teil der Fraktion Pferdeschwänze trägt, kommt einer Revolution gleich. In anderen Parteien ist schließlich der zackige Kurzhaarschnitt die einzige Option, die jungen Politikern bleibt, um Karriere zu machen – FDP-Generalsekretär Christian Lindner wäre das entsprechende Vorbild.

Die Piraten dagegen signalisieren mit ihrer Haartracht die Bereitschaft zu einem alternativen Politikstil. Sie wollen „aufrecht“ bleiben, sich nicht „verbiegen lassen“ und, natürlich, „bürgernah“ sein. So wie Ende der 70er Jahre die Grünen, die in ihrer Gründungsphase ebenfalls modische Konventionen brachen, um ihren Idealismus glaubhaft zu vertreten. Heute wirken viele Grüne wie aus dem Ei gepellt: Cem Özdemir beispielsweise könnte auf einem Meeting voller Unternehmensberater auftauchen und würde kein Aufsehen erregen. Falls die Piraten weitere Parlamente erobern, vielleicht sogar in den Bundestag einziehen, werden sie sich ähnlich beschneiden. Solange sie noch die jungen Wilden der Politik sind, genießen sie Welpenschutz.

In seiner Polemik kommt Wiglaf Droste übrigens zu dem Schluss, dass „man beides, einen Zopf und eine Würde, nicht gut haben kann“. Das ist vielleicht ein bisschen zu streng: Es gibt Pferdeschwanzträger, die respektabel sind, obwohl ihre Jugend schon eine Weile her ist. Ein Idealtyp wäre der leider fiktive Vater von Kommissar Thiel aus dem Münsteraner „Tatort“, gespielt von Claus-Dieter Clausnitzer. Er ist ein kiffender Taxifahrer mit ergrautem Zopf, der seine Vergangenheit als Hippie nie abgestreift hat und seinen Polizistensohn ein ums andere Mal in Verlegenheit stürzt – weil er in kleine Gaunereien verstrickt ist, die von ihm zu Widerstandsaktionen verklärt werden. Trotzdem wirkt er lässig, denn er würzt seine Rolle als wunderlicher Narr mit der würdevollsten aller Haltungen: mit Selbstironie. Die ehrliche Einsicht, dass er ein Außenseiter ist, ein Desperado, macht ihn so sympathisch im manchmal verkrampften „Tatort“-Personaltableau.

Nicht ausgeschlossen, dass sich die bezopften Abgeordneten der Piratenpartei auch einmal in Käuze verwandeln – ein Szenario, das denkbar wäre, falls ihnen der Marsch durch die politischen Institutionen misslingt. Dann tuscheln die Reihenhausbewohner hinter ihren Gardinen nicht mehr über den „Alt-Hippie“, sondern über den „Alt-Nerd“. Und während „Tatort“-Opa Herbert Thiel in seinem Mundwinkel den Joint spazieren führt, sitzen die Piraten mit musemsreifen MacBooks auf der Parkbank und trinken Bionade.

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